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  • 10.05.2011 · IWW-Abrufnummer 104263

    Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 21.05.2010 – L 8 R 213/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    L 8 R 213/10 B ER

    Tenor:
    Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.1.2010 wird zurückgewiesen.

    Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

    Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.991,25 EUR festgesetzt.

    Gründe
    Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23.9.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2009 anzuordnen.

    Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen. Die Entscheidung, ob sie ausnahmsweise dennoch angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des privaten Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

    Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können im Regelfall nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs (Widerspruch oder Klage) überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung im Eilverfahren mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschlüsse v. 24.06.2009, L 8 B 4/09 R ER, und v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R ER, jeweils juris und sozialgerichtsbarkeit.de).

    Nach diesen Grundsätzen hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage zu Recht nicht angeordnet. Denn nach dem gegenwärtigen Sachstand spricht jedenfalls nicht mehr dafür als dagegen, dass sich der Bescheid vom 23.9.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2009 im Klageverfahren als rechtswidrig erweisen wird.

    Nach §§ 25 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch, 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, in der Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Abhängig beschäftigt ist hiernach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Erforderlich ist insbesondere eine Eingliederung in den Betrieb und die Unterordnung unter ein Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers. Demgegenüber ist die selbstständige Tätigkeit in erster Linie durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.

    Nach diesen Grundsätzen ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH zu dieser in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht. Eine Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft ist nicht bereits durch die Stellung des Geschäftsführers als Gesellschafter ausgeschlossen. Beim am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer ist der Umfang der Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenen Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal. Bei Fremdgeschäftsführern, die nicht am Gesellschaftskapital beteiligt sind, ist dementsprechend regelmäßig eine abhängige Beschäftigung anzunehmen, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die eine Weisungsgebundenheit im Einzelfall ausnahmsweise aufheben. Vergleichbares gilt bei Geschäftsführern, die zwar zugleich Gesellschafter sind, jedoch weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine so genannte Sperrminorität verfügen (vgl. zu den vorstehenden Kriterien zusammenfassend BSG, Urteil v. 4.7.2007, B 11a AL 5/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 8 m.w.N.).

    Derartige einzelfallbezogene Umstände, die gleichwohl unabhängig von den Gesellschafterrechten eine für das Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers L1 von der Antragstellerin zu vermeiden vermögen, sind bislang nicht ersichtlich bzw. glaubhaft gemacht. Der Geschäftsführer L1 verfügte nach dem Gesellschaftsvertrag nur über einen Geschäftsanteil von einem Viertel. Nach § 10 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrages werden alle Beschlüsse der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, wobei je DM 100,- eine Geschäftsanteils eine Stimme gewähren. Der Geschäftsführer L1 ist aufgrund dessen grundsätzlich nicht in der Lage, ihm nicht genehme Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Insbesondere steht ihm keine Sperrminorität zu. Hinsichtlich der Geschäftsführung ist er nach § 8 des Gesellschaftsvertrages u.a. verpflichtet, die Geschäfte in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Gesellschafter zu führen. Ob er dabei im Außenverhältnis wirksam vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 Bürgerliches Gesetzbuch) befreit worden ist, oder ob hiergegen - wie das SG eingehend unter Hinweis auf entsprechende Rechtsprechung der Zivilgerichte dargelegt hat - die fehlende Eintragung der Befreiung in das Handelsregister spricht, kann der Senat im Ergebnis unentschieden lassen. Denn jedenfalls ist eine solche Befreiung bei einer kleineren GmbH nicht untypisch. Sie spricht daher nicht zwingend für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit (BSG, Urteil v. 4.7.2007, aaO.).

    Über die Regelungen des Gesellschaftsvertrages hinaus liegen zur tatsächlichen Handhabung lediglich eidesstattliche Versicherungen des Mehrheitsgesellschafters L und des Gesellschafter-Geschäftsführers L1 dahingehend vor, dass Letzterer selbstständig Entscheidungen treffen, z.B. selbstständig Arbeitnehmer einstellen oder kündigen, Lieferanten auswählen und Kundengespräche führen könne. Dies entspricht freilich den üblichen Vertretungsbefugnissen eines Geschäftsführers gemäß § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), wie sie auch bei abhängig beschäftigten Fremdgeschäftsführern bestehen. Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächliche Ausübung des Einflusses der Gesellschaft durch den Mehrheitsgesellschafter L im Sinne einer regelmäßigen Kontrolle der Tätigkeit des Geschäftsführers L1 nicht stattfindet, ergeben sich daraus nicht, sodass von einer Bindung des Geschäftsführers L1 an die Entscheidungen der Gesellschaftersversammlung und insoweit von einer Weisungsgebundenheit bei seiner Tätigkeit als Geschäftsführer auszugehen ist.

    Diese Annahme wird schließlich auch durch die nach dem Geschäftsführervertrag vom 10.1.2006 vorgesehene Ausgestaltung der Geschäftsführertätigkeit bestätigt. Alle insoweit maßgebenden Indizien (feste Monatsvergütung gemäß § 3 Abs. 1 des Vertrages, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach den gesetzlichen Bestimmungen gemäß § 4 Abs. 4, der jährliche Urlaubsanspruch von 30 Tagen gemäß § 4 Abs. 1, die Stellung eines Firmenwagens gemäß § 3 Abs. 6) sprechen für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung. Dass demgegenüber keine festen Vorgaben hinsichtlich der einzuhaltenden Arbeitszeiten geregelt waren, verliert angesichts der Verpflichtung, die gesamte Arbeitskraft ausschließlich der Gesellschaft zu widmen, grundsätzlich seine Bedeutung. Im Übrigen kommt es insoweit wesentlich darauf an, welche Anforderungen sich aus der Tätigkeit selbst ergeben. Insoweit ist in den genannten eidesstattlichen Versicherungen lediglich vorgetragen, dass der Geschäftsführer L1 seine Anwesenheitszeiten selbst bestimmen könne. Inwieweit sich die Notwendigkeit zur Anwesenheit jedoch aus den Anforderungen an die Geschäftsführertätigkeit gleichsam von selbst ergibt - mit der Folge, dass das Recht der freien Bestimmung der Anwesenheitszeiten aufgrund der Erfordernisse der Gesellschaft gleichsam leer läuft -, wird daraus nicht ersichtlich. Nicht von wesentlicher Bedeutung ist auch, dass der Geschäftsführer L1 nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen seinen Jahresurlaub "nicht von der Geschäftsleitung genehmigen lassen" muss. Nach Lage der Dinge kann es sich bei der "Geschäftsleitung" nur um den anderen Geschäftsführer, den Mehrheitsgesellschafter L, handeln. Da die Gesellschaft in der Praxis jedenfalls handlungsfähig bleiben muss, ist ohne nähere Darlegung der tatsächlichen Umstände davon auszugehen, dass sich die Geschäftsführer hinsichtlich ihrer Abwesenheitszeiten - wenn auch nicht im Sinne einer "Genehmigung" - jedenfalls einverständlich absprechen. Derartige einvernehmliche Regelungen beseitigen jedoch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers im Konfliktfall noch nicht (BSG, Urteil v. 6.3.2003, B 11 AL 25/02 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 1).

    Gegenüber diesen Gesichtspunkten reicht die Gewährung eines Darlehns in Höhe von 10.0000,00 EUR nicht aus, ein unternehmerisches Risiko des Geschäftsführers L1 zu begründen, das auch eingedenk der für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Umstände die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit nach dem gegenwärtigen Sachstand rechtfertigen würde. Zwar kann die Hingabe eines solchen Darlehns außerhalb von Zeiten der gesellschaftlichen Krise ein Indiz für Selbstständigkeit darstellen (BSG, Urteil v. B 12 KR 34/00 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 17). Entscheidend kommt es jedoch immer auf die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Höhe und die Umstände der Darlehnsgewährung an (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 10.12.2009, L 5 KR 124/09, juris). Insoweit ist hier die eher geringe Höhe des Darlehns und zudem - Risiko mindernd - der Umstand zu berücksichtigen, dass der Rückzahlungsanspruch mit Austritt aus der Gesellschaft sofort fällig wird.

    Den von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Wertungswiderspruch dahingehend, dass der Geschäftsführer L1 zwar einerseits abhängig Beschäftigter sein, andererseits aber im Falle einer Vollstreckung der sich daraus ergebenden Beitragsforderung nach Maßgabe der §§ 64, 43 GmbHG bzw. der Grundsätze über die Durchgriffshaftung gegenüber den GmbH-Geschäftsführern persönlich wie ein Unternehmer haften solle, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Grundsätzlich haftet bei der GmbH für die Verbindlichkeiten der Gläubiger, auch der Sozialversicherungsträger, nach § 13 Abs. 2 GmbHG nur das Gesellschaftsvermögen. Eine Haftung der Geschäftsführer kommt insbesondere nach § 43 Abs. 2 GmbHG bei Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes sowie nach § 64 Satz 1 und 2 GmbHG bei Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in Betracht, soweit diese nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind. Auch die übrigen Haftungstatbestände setzen jeweils die Verletzung rechtlicher Pflichten voraus. Inwiefern jedoch die Gefahr einer Haftung für Verstöße gegen die Rechtsordnung ein spezifisches unternehmerisches Risiko oder gar die Freistellung von gesetzlichen Beitragspflichten begründen soll, erschließt sich dem Senat nicht.

    Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Vollstreckung der Beitragsforderung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, sind derzeit nicht ersichtlich oder vorgetragen. Insoweit fehlt jeglicher aussagekräftige Vortrag zur gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft. Soweit die beigeladene Einzugsstelle darauf hinweist, in der augenblicklichen Wirtschaftskrise sei der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit bei Begleichung der Beitragsforderung glaubhaft, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung, weil mit dieser Begründung die Beitreibung jeglicher Beitragsforderungen eingestellt werden könnte. Dies entspräche jedoch erkennbar nicht dem Willen des Gesetzgebers. Im Übrigen hat es die Beigeladene in der Hand, Zahlungsschwierigkeiten der Antragstellerin beispielsweise mit dem Mittel der Stundung nach § 76 Abs. 2 SGB IV zu begegnen. Dahingehende Überlegungen hat sie mit Schriftsatz vom 13.4.2010 auch bereits angestellt, ohne dass die Antragstellerin darauf allerdings bislang erkennbar reagiert hätte.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da diese keinen ausdrücklichen Antrag zur Sache gestellt hat und somit kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist (§ 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.

    Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

    Hinweise

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