Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Nachricht · Rechtsprechung

    Schizophrenie: Zwangsbehandlung durch EKT im Regelfall nicht genehmigungsfähig

    | Ärztliche Zwangsbehandlungen sind nur gegen den Willen eines Patienten möglich, wenn die Maßnahme einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspricht. Das hat der unter anderem für Betreuungs- und Unterbringungsrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe heute mit einem veröffentlichten Beschluss klargestellt (Az. XII ZB 381/19). Der BGH hatte konkret über die Frage zu entscheiden, eine gerichtliche Genehmigung einer Zwangsbehandlung mittels EKT bei einem an Schizophrenie erkrankten Betroffenen gerichtlich genehmigt werden durfte. |

    Der Fall

    Der Betroffene leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Seit Februar 2018 war er wiederholt untergebracht und wurde ‒ überwiegend zwangsweise i‒ mit verschiedenen Medikamenten letztlich erfolglos behandelt. Der zuständige Betreuer hat daraufhin eingewilligt in die

    • Durchführung einer EKT in Form der elektrischen Auslösung von sechs großen zerebralen Anfällen mithilfe von uni- oder alternativ bilateral angelegten Elektroden innerhalb von zwei Wochen,
    • außerdem in die Einleitung einer Narkose durch Anästhesisten
    • und ‒ wenn der Betroffene von den ärztlichen Maßnahmen nicht überzeugt werden kann ‒ in die Anwendung von Gewalt (Festhalten, 3- bis 5-Punkt-Fixierung).

     

    Dies hat das Amtsgericht Heidelberg nach Befürwortung durch ein Sachverständigengutachten genehmigt (Beschluss vom 11.06.2019, Az. W 4018 XVII 71/18). Hiergegen legten der Betroffene und seine Mutter Beschwerde beim Landgericht Heidelberg ein, die zurückgewiesen wurde (Beschluss vom 29.07.2019, Az. 2 T 35/19). Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Mutter an den BGH hatte Erfolg.

    Die Entscheidung des BGH

    Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in diese ‒ unter näheren gesetzlichen Voraussetzungen ‒ nur dann einwilligen, wenn die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden (§ 1906 a Abs. 1 Nr. 1 BGB).

     

    • § 1906 a Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen
    • (1) Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in die ärztliche Zwangsmaßnahme nur einwilligen, wenn
    • 1. die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,
    • 2. ...
     

     

    Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass als „notwendig" im Sinne des Gesetzes nur solche Behandlungen angesehen werden können, deren Durchführung einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspricht, und zwar sowohl was die Therapie als solche betrifft als auch deren spezielle Durchführungsform im Wege der Zwangsbehandlung gegen den Widerstand des Patienten. Ein derartiger Konsens kann seinen Ausdruck in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Beirats der Bundesärztekammer sowie in medizinischen Leitlinien finden.

     

    Die in Bezug auf die EKT veröffentlichten Stellungnahmen und Leitlinien vermitteln allerdings keinen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens, wonach die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme bei einem an (nicht katatoner und nicht akut exazerbierter) Schizophrenie leidenden Betroffenen gerechtfertigt wäre. Zwar kann eine EKT nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch zur Behandlung der Schizophrenie bei vorliegender schwerer depressiver Verstimmung mit Suizidalität indiziert sein. Ein depressives Krankheitsbild haben die sachverständig beratenen Instanzgerichte indes nicht festgestellt.

     

    Die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme ist daher im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig.

     

    Quelle: Pressemitteilung des BGH

     

    Quelle: ID 46369973