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  • · Fachbeitrag · Arzthaftungsrecht

    OPs bei Kindern: Darf der Arzt auf Einwilligung auch des abwesenden Elternteils vertrauen?

    von Sascha Lübbersmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für StrafR, Kanzlei Ammermann Knoche Boesing, Münster, www.kanzlei-akb.de

    | Steht bei einem Kind ein Eingriff bevor, darf der Arzt bei einfachen bis mittelschweren Eingriffen darauf vertrauen, dass der abwesende sorgeberechtigte Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat. So lautet die Essenz aus einem Urteil des Oberlandesgerichts ( OLG) Hamm vom 29. September 2015 (Az. 26 U 1/15 ). Höhere Anforderungen gelten jedoch vor schweren Eingriffen mit erheblichen Risiken. |

    Der Fall

    Die klagenden Eltern eines verstorbenen Frühchens mit multiplen Krankheitssymptomen verlangen Schmerzensgeld sowohl wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler als auch wegen eines Aufklärungsmangels. Sie begründen diese Auffassung damit, dass das Aufklärungsgespräch vor der erfolgten operativen Biopsie des Neugeborenen allein mit der Mutter geführt worden sei, der Vater habe nicht selbst in die Operation ausdrücklich eingewilligt.

    Die Entscheidung

    Das OLG Hamm verwarf die Argumente der Kläger. Weder sei ein ärztlicher Behandlungsfehler feststellbar noch fehle es an der erforderlichen Zustimmung zu der Vornahme des ärztlichen Heileingriffs bei dem minderjährigen Kind. Richtig sei, dass es der Zustimmung beider sorgeberechtigter Eltern bedarf. Erscheine hingegen - wie hier - nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, so dürfe dieser - je nach Schwere des Eingriffs - darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt habe.

     

    Wenn nur ein Elternteil vor der Operation zum Aufklärungsgespräch in der Klinik erscheint, sei nach der Rechtsprechung wie folgt zu differenzieren:

     

    Fall 1: Einwilligung vor Routineeingriff

    In Routinefällen dürfe der Arzt - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände - davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihm erscheinende Elternteil die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den anderen Elternteil miterteilen darf.

     

    Fall 2: Einwilligung vor ärztlichen Eingriffen schwerer Art

    Bei ärztlichen Eingriffen schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken müsse sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe und wie weit diese reiche. Dabei dürfe er aber - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände - davon ausgehen, vom erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft zu erhalten.

     

    Fall 3: Einwilligung vor ärztlichen Eingriffen mit erheblichen Risiken

    Bei schwierigen und weitreichenden Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien (zum Beispiel bei Herzoperationen), liege eine Ermächtigung des abwesenden Elternteils zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff durch den anwesenden Elternteil nicht von vornherein nahe. Deshalb müsse sich der behandelnde Arzt in diesen Fällen darüber vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit der Behandlung einverstanden ist.

     

    OLG: Einordnung in „Fall 2“ hier zutreffend

    Die im vorliegenden Fall vorgesehene Biopsie sei als leichter bis mittelgradiger Eingriff mit normalen Anästhesierisiken zu bewerten und in die Kategorie des Falls 2 einzuordnen. Deswegen sei es ausreichend gewesen, dass sich der das Aufklärungsgespräch führende Arzt bei der Klägerin nach der Einwilligung des Klägers erkundigt habe und sich diese durch die Unterschrift der Klägerin auf dem Aufklärungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthalte, habe bestätigen lassen.

    Wie ist eine wirksame Einwilligung sicherzustellen?

    Die Vornahme eines ärztlichen Heileingriffs ohne rechtswirksame Einwilligung kann nicht nur zivilrechtliche Schmerzensgeldansprüche auslösen, sondern ist als rechtswidrige Körperverletzungshandlung auch strafbar. Ein jeder Operateur minderjähriger Patienten sollte deshalb dafür sorgen, dass sein Aufklärungsbogen den Passus enthält, dass der aufgeklärte anwesende Elternteil die Zustimmung auch befugtermaßen für einen gegebenenfalls abwesenden Mitsorgeberechtigten erteilen darf und erteilt.

     

    Ein ähnlich gelagertes Problem stellt sich bei der Behandlung von Kindern zudem in Fällen der Abtretung einer privatärztlichen Liquidation an eine gewerbliche Abrechnungsstelle. Das Landgericht Mannheim hat mit Urteil vom 20. November 2014 (Az. 10 S 44/14, Abruf-Nr. 143726, siehe CB 2/2015, Seite 12) nämlich jüngst klargestellt, dass die entsprechende Einwilligung in die hiermit verbundene Weitergabe personenbezogener Gesundheitsdaten ebenfalls der Zustimmung beider Elternteile bedarf. Andernfalls droht die Verletzung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 203 Strafgesetzbuch (StGB) und eine daraus resultierende Unwirksamkeit der Gebührenabtretung.

     

    PRAXISHINWEIS | Ist zweifelhaft, ob der vorzunehmende Eingriff dem Fall 2 oder aber dem Fall 3 unterfällt, dann sollte zur eigenen Sicherheit darauf bestanden werden, dass auch die Zustimmung des abwesenden Elternteils vorab ausdrücklich eingeholt wird - im Notfall telefonisch, was zu Beweissicherungszwecken schriftlich festgehalten werden sollte.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2015 | Seite 8 | ID 43739234