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  • · Fachbeitrag · Arzthaftungsrecht

    Oberlandesgericht Hamm: Verspätete Mammographie ist grober Behandlungsfehler

    von Rechtsanwältin Dr. Christina Thissen, Kanzlei am Ärztehaus, Münster, www.kanzlei-am-aerztehaus.de 

    | Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm verurteilt einen Facharzt für Gynäkologie in einer Entscheidung vom 12. August 2013 (Az. 3 U 57/13, Abruf-Nr. 133083 ) unter anderem zur Zahlung von 20.000 Euro Schmerzensgeld. Der Arzt hatte es versäumt, einer Patientin, bei der bereits im Jahr 2010 Brustkrebs diagnostiziert wurde, im Rahmen der jährlichen Krebsvorsorge im Jahr 2008 zu einer Mammographie zu raten. Dies wertete das Gericht als „groben Behandlungsfehler“. Es folgte damit dem Sachverständigen, nach dem die Mammographie-Untersuchung im Jahr 2008 die einzig sichere Methode zur Senkung des Mortalitätsrisikos bei Brustkrebs gewesen sei. |

    Brustkrebs unerkannt trotz regelmäßiger Vorsorge seit 2001

    Im Jahre 2001 wurde bei der heute 66-Jährigen eine befundlose Mammographie durchgeführt. Ab 2002 besuchte sie jährliche Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen bei dem beklagten Gynäkologen. Neben der klinischen Untersuchung wurde dabei jeweils nur eine Sonographie der Brust veranlasst.

     

    Tumordiagnose im Jahr 2010

    Erst im Jahr 2010 fand eine weitere Mammographie statt. Aus dieser Untersuchung ergab sich der Verdacht eines Mammakarzinoms, der sich nach weiteren Untersuchungen schließlich bestätigte. Der Tumor wurde durch eine Operation entfernt. Die Patientin hatte bereits befallene Lymphknoten, die ebenfalls entnommen werden mussten.

     

    Anschließende Strahlen- und Chemotherapie notwendig

    Die Patientin musste sich im Anschluss an die Operation einer sehr belastenden Strahlen- und Chemotherapie unterziehen, wofür sie ihren Gynäkologen umfassend auf materiellen Schadensersatz und 25.000 Euro Schmerzensgeld verklagte. Hätte der Gynäkologe ab dem Jahr 2002 im Rahmen der jährlichen Vorsorge zu einer Mammographie geraten, wäre der Brustkrebs nach Ansicht der Patientin in einem früheren Stadium erkannt und dadurch weniger belastend behandelbar gewesen.

    Die Entscheidung des OLG Hamm

    Das OLG änderte die Entscheidung der Vorinstanz teilweise ab und sprach der Patientin Schmerzensgeld von 20.000 Euro zu. Im Jahr 2008 sei eine Mammographie als einzig sichere Methode zur Senkung des Mortalitätsrisikos anerkannt gewesen. Im selben Jahr habe die Forderung der Fachgesellschaft bestanden, dass die niedergelassenen Gynäkologen diese Vorsorgeuntersuchung aktiv vermitteln sollten. Die Mammographie sollte Bestandteil jedes ärztlichen Gesprächs im Rahmen der Brustkrebsvorsorge sein.

     

    Unterlassener Rat war „grober Behandlungsfehler“

    Im besonderen Fall der Klägerin stellte sich der unterlassene Rat, an einem Mammographiescreening teilzunehmen, nach Ansicht des OLG Hamm sogar nicht nur als einfacher, sondern als „grober Behandlungsfehler“ dar. Die Patientin hatte für den Arzt ersichtlich besonders großen Wert auf die Minimierung des Brustkrebsrisikos gelegt. Hinzu kam, dass der verklagte Arzt ihr kurz zuvor ein Medikament verordnet hatte, das potenziell zu einem erhöhten Brustkrebsrisiko beiträgt - somit war auch aus diesem Gesichtspunkt heraus besondere Vorsicht geboten.

     

    Ohne Fehler wahrscheinlich weniger belastende Behandlung im Jahr 2008

    Zugunsten der Patientin ging das Gericht im Einklang mit dem gerichtlichen Sachverständigen davon aus, dass man das Karzinom bei einer Mammographie im Jahr 2008 wahrscheinlich bereits entdeckt hätte und sich zu diesem Zeitpunkt noch keine Metastasen gebildet hätten. Entsprechend hätte man den Tumor durch eine weniger belastende Operation entfernen können. Eine Chemotherapie wäre nicht notwendig geworden. Schließlich hätte eine frühere Diagnose und damit einhergehend eine frühere Behandlung eine günstigere Prognose für die 5-Jahres-Überlebensrate ergeben.

    Kein Beweis des Gegenteils durch Gynäkologen

    Der Gynäkologe blieb nach Ansicht des Oberlandesgerichts den Beweis des Gegenteils schuldig. Er habe nicht darlegen können, dass eine frühere Diagnose sich nicht auf den Behandlungsverlauf ausgewirkt hätte.

     

    Das OLG Hamm entschied daher zugunsten der Patientin. Lediglich bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes waren die Richter arztfreundlich: Anstelle der von der Klägerin geforderten 25.000 Euro erachteten sie 20.000 Euro für angemessen.

     

    PRAXISHINWEIS |  Im Arzthaftungsprozess ist die Einordnung eines Behandlungsfehlers in die Kategorien „einfach“ oder „grob“ von besonderer Bedeutung für die Beweislast. Bei einem „einfachen“ Behandlungsfehler muss der Patient als Kläger beweisen, dass ein Behandlungsfehler, ein Schaden sowie ein kausaler Zusammenhang zwischen beiden vorliegt. Bei einem „groben“ Behandlungsfehler wird der Kausalzusammenhang zugunsten des Patienten vermutet. Der Arzt muss in diesem Fall das Gegenteil beweisen, um der Haftung zu entgehen.

     

    Wichtig | Chefärzte sollten hierbei berücksichtigen, dass auch Befunderhebungsfehler als Behandlungsfehler eingeordnet werden. Ist schon die unterlassene Befunderhebung für sich gesehen grob fehlerhaft, gilt auch hier die erläuterte Beweislastumkehr zugunsten des Patienten. Bei einem einfachen Befunderhebungsfehler muss der Patient zunächst darlegen, dass der Befund wahrscheinlich positiv, also reaktionspflichtig gewesen wäre. Hätte der Arzt auf diesen (vermuteten) Befund nicht reagiert und wäre diese unterlassene Reaktion ein fundamentaler Fehler gewesen, geht die Rechtsprechung davon aus, dass der einfache Befunderhebungsfehler rechtlich wie ein grober Behandlungsfehler zu behandeln ist.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 12 | ID 42312869