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  • · Fachbeitrag · Arzthaftung

    OLG Naumburg: Abweichen vom medizinischen Standard kann sogar geboten sein!

    von Dr. Rainer Hellweg, Fachanwalt für Medizinrecht, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de

    | Standards und Leitlinien werden in medizinischen Fachkreisen häufig als sehr bedeutend eingeschätzt. Als Konsequenz aus der bedingungslosen Einhaltung solcher Standards beklagen einige eine zunehmende „Defensivmedizin“, in der nur noch Scores befolgt werden und nicht mehr auf den einzelnen Patienten geschaut wird. Dass es aber medizinisch und juristisch sogar geboten sein kann, vom medizinischen Standard abzuweichen, zeigt das jetzt veröffentlichte Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg vom 24. September 2015 (Az. 1 U 132/14, Abruf-Nr. 185998 ). |

    Der Fall

    Im Urteilsfall ging es um eine Patientin, die an Bauchschmerzen litt. Sie wurde stationär aufgenommen, um eine Eierstockzyste zu entfernen. Der Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde nahm den Eingriff vor. Bei dem Versuch einer laparoskopischen Exstirpation zeigte sich eine hochgradige Entzündung, die Adhäsionen im gesamten Bauchraum verursacht hatte. Deshalb ging man zur Laparotomie über. Anschließend wurde eine Adhäsiolyse vorgenommen. Dabei verletzte der operierende Chefarzt die Dünndarmserosa an zwei Stellen. Einen kleineren Defekt versorgte er noch selbst. Für die Versorgung des weiteren Defekts - 5 bis 7 cm groß - zog er einen Viszeralchirurgen hinzu. Dieser verschloss die Serosaläsion mit einer Längsnaht. Nach dem Eingriff verschlechterte sich der Zustand der Patientin; es ergab sich ein Ileus im tiefen Dünndarm. Daher musste eine Re-Laparotomie vorgenommen werden. Dabei stellte man im terminalen Ileum eine deutliche Einengung des Lumens fest.

     

    Die Patientin erhob Haftungsklage und machte mehrere Behandlungsfehler geltend: Zum einen sei die operative Lösung der Adhäsionen fehlerhaft erfolgt, was sich an dem bis zu 7 cm großen Serosadefekt zeige. Zum anderen sei dieser nicht ordnungsgemäß versorgt worden. Die Längsnaht bei Versorgung der Serosaläsion sei nicht lege artis gewesen, weshalb es später zu dem Ileus gekommen sei. Auch sei die Dokumentation lückenhaft, weshalb sich die Beweislast zulasten des Chefarztes umkehren müsse.