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  • · Fachbeitrag · Arzthaftung

    Frühgeburt mit ungünstiger Prognose: Mutter ist über lebenserhaltende Maßnahmen aufzuklären

    von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de

    | Selbst wenn ein kurz vor einer frühzeitigen Geburt stehendes Kind kaum Überlebenschancen hat, müssen behandelnde Ärzte die Mutter auch über mögliche lebenserhaltende Maßnahmen aufklären. Andernfalls liegt ein Behandlungsfehler vor, der einen Schmerzensgeldanspruch begründet (Landgericht [LG] Köln, Urteil vom 29.06.2016, Az. 25 O 424/10). |

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin erlitt in der 23. Schwangerschaftswoche (SSW) einen Blasensprung mit Fruchtwasserabgang. Im Krankenhaus wurden die Überlebenschancen des ungeborenen Kindes als sehr gering eingeschätzt. Eine interne Anweisung des Krankenhauses sah vor, dass lebensrettende bzw. -erhaltende Maßnahmen erst ab der 24. SSW (d. h. ab vollendeter SSW 23 + 1 Tag) durchgeführt werden sollten. Der hinzugezogene Kinderarzt stellte den Eltern aber nur zur Wahl, entweder die Schwangerschaft sofort abzubrechen (ohne lebenserhaltende Maßnahmen) oder unter Antibiotikatherapie abzuwarten (mit dem Ziel, die 24. SSW zu erreichen). Am Tag nach diesem Gespräch kam das Kind zur Welt. Es verstarb knapp eine Stunde nach der Geburt. Vor Gericht machte die Mutter u. a. geltend, der Kinderarzt habe ihr nicht angeboten, lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen, d. h. zu versuchen, das Kind nach der Frühgeburt künstlich am Leben zu erhalten. Es sei über ihren Kopf hinweg entschieden worden, solche Maßnahmen nicht durchzuführen. Das Gericht gab der Mutter insofern Recht und sprach ihr ein Schmerzensgeld von 15.000 Euro zu.

     

    Entscheidungsgründe

    Das Gericht sah es als unzureichend an, dass die Ärzte die fragliche Entscheidung ohne die Eltern getroffen haben. Davon, dass ein lebenserhaltendes Vorgehen aussichtslos gewesen sei, war im vorliegenden Fall nicht auszugehen: Zwar war ein Überleben des Kindes unwahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen, ggf. mit schwersten Behinderungen. Zudem haben die Eltern nach Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 1626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) das Recht und die Pflicht, für ihr un- bzw. neugeborenes Kind Sorge zu tragen und ggf. Entscheidungen in dessen wohlverstandenem Interesse zu treffen.

     

    PRAXISHINWEIS | Auch bei einer Frühgeburt ungünstiger Prognose, dürfen Sie als Arzt vorab keine Entscheidung ohne Eltern treffen. Die Leitlinie zur „Frühgeburt an der Grenze der Lebensfähigkeit des Kindes“ (online unter http://tinyurl.com/ybsxqk82) empfiehlt für solche Fällen ein gemeinsames Gespräch zwischen Eltern, Geburtshelfer und Neonatologen. Klären Sie die Eltern über lebenserhaltende Maßnahmen auf. Erklären Sie ihnen, dass das Kind möglicherweise schwerstbehindert wird, wenn es überlebt. Dokumentieren Sie das Gespräch so schnell wie möglich. Kurze, handschriftliche Vermerke (auch Abkürzungen) sind in der Behandlungsakte ausreichend, aber auch dringend anzuraten.

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2017 | Seite 16 | ID 44752909