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  • 27.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130670

    Verwaltungsgericht Stuttgart: Urteil vom 29.11.2012 – 12 K 3019/12

    Nr. 1814 GOÄ kann nicht zum Ansatz kommen, wenn eine Harnleiterbougierung lediglich erfolgt, um Instrumente überhaupt erst einführen zu können.

    Der Ansatz der Nr. 2402 GOÄ ist zulässig, wenn eine Probeexzision aus dem Bereich des Operationsfeldes während einer anderen Operation erfolgt, um aus der histologischen Untersuchung der Probeexzision (im sog. "Schnellschnitt") Konsequenzen für die weitere Durchführung der Operation zu ziehen oder wenn die Entnahme gesonderter Probeexzisionen erforderlich ist, um daraus Entscheidungen für das postoperative therapeutische Vorgehen zu treffen.


    VG Stuttgart

    29.11.2012

    12 K 3019/12

    In der Verwaltungsrechtssache
    gegen
    wegen Kassenleistungen
    hat das Verwaltungsgericht Stuttgart - 12. Kammer - durch den Richter am Verwaltungsgericht XXX als Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung
    am 29. November 2012
    für R e c h t erkannt:
    Tenor:

    Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für Aufwendungen aufgrund der Rechnung der PVS R. vom 20.02.2012 weitere Kassenleistungen in Höhe von 30,74 EUR zu gewähren.

    Die Bescheide der Beklagten vom 08.03.2012 und 19.04.2012 und deren Widerspruchsbescheid vom 15.08.2012 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 83 v. H., die Beklagte 17. v. H.
    Tatbestand
    1

    Der Kläger begehrt weitere Kassenleistungen für Aufwendungen aufgrund einer Prostata-Operation.
    2

    Der Kläger ist B 1-Mitglied der Beklagten mit einem Bemessungssatz für Kassenleistungen von 50%.
    3

    Am 23.02.2012 stellte der Kläger einen Antrag auf Kassenleistungen für Aufwendungen u.a. aufgrund der Rechnung der PVS R. vom 20.02.2012 über 2.157,60 EUR für Behandlungen vom 09.01.2012 bis 18.01.2012 wegen eines Prostata Karzinoms.
    4

    Mit Bescheid vom 08.03.2012 gewährte die Beklagte insoweit Kassenleistungen von 310,56 EUR.
    5

    Danach übersandte der Kläger den Operationsbericht vom 10.01.2012. Die Beklagte holte daraufhin ein Ärztliches Kurzgutachten von M. C. vom 14.03.2012 ein. Im Anschluss daran gewährte sie mit Bescheid vom 19.04.2012 weitere Kassenleistungen, nunmehr von insgesamt 902,63 EUR.
    6

    Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und legte ein Schreiben der PVS R. vom 24.04.2012 vor.
    7

    Nachdem die Beklagte ein weiteres Ärztliches Gutachten von M. C. vom 13.05.2012 eingeholt hatte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2012 zurück. Zur Begründung bezog sie sich auf die eingeholten Gutachten.
    8

    Am 12.09.2012 hat der Kläger Klage erhoben. Er beruft sich darauf, er habe sich zu 100 Prozent krankenversichert. Deshalb sei der von der Beklagten vorgenommene Abzug nicht gerechtfertigt.
    9

    Der Kläger beantragt bei sachdienlicher Auslegung,

    die Beklagte zu verpflichten, ihm für Aufwendungen aufgrund der Rechnung der PVS R. vom 20.02.2012 weitere Kassenleistungen in Höhe von 176,17 EUR zu gewähren und die Bescheide der Beklagten vom 08.03.2012 und 19.04.2012 und deren Widerspruchsbescheid vom 15.08.2012 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
    10

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.
    11

    Sie bezieht sich im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
    12

    Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
    Entscheidungsgründe
    13

    Im Einverständnis der Beteiligten kann der Berichterstatter anstelle der Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 87 a, 101 Abs. 2 VwGO).
    14

    Die Klage ist zulässig. Sie ist auch im Umfang des Tenors begründet. Der Kläger hat in diesem Umfang Anspruch auf Kassenleistungen. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Einen darüber hinausgehenden Anspruch auf Kassenleistungen hat der Kläger nicht.
    15

    Der Anspruch auf Kassenleistungen ist in der Satzung der Beklagten (Satzung) geregelt; dabei ist maßgebend die Satzung in der Fassung, die zu dem Zeitpunkt gegolten hat, in dem die Aufwendungen entstanden sind, für die die Kassenleistungen begehrt werden. Dies ist vorliegend der Zeitraum vom 09.01.2012 bis 18.01.2012.
    16

    Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 der Satzung haben die Mitglieder für sich und die mitversicherten Angehörigen Anspruch auf die in den §§ 31 bis 48 der Satzung festgelegten Leistungen. Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 der Satzung sind Aufwendungen erstattungsfähig, wenn sie beihilfefähig und Leistungen dafür in der Satzung vorgesehen sind. Aufwendungen nach den §§ 31 bis 42 der Satzung sind nur aus Anlass einer Krankheit erstattungsfähig (§ 30 Abs. 1 Satz 3 der Satzung). Die erstattungsfähigen Höchstsätze ergeben sich aus den Leistungsordnungen, die Bestandteil der Satzung sind (§ 30 Abs. 1 Sätze 4 und 5 der Satzung). Die Mitglieder der Gruppe B 1 erhalten Leistungen nach der Leistungsordnung B (§ 30 Abs. 1 Satz 7 der Satzung).
    17

    Aufwendungen für ärztliche bzw. zahnärztliche Leistungen sind erstattungsfähig (§ 31 Abs. 1 der Satzung bzw. § 32 Abs. 1 der Satzung). Die Rechnungen müssen nach der Gebührenordnung für Ärzte (§ 31 Abs. 3 Satz 4 der Satzung) bzw. nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (§ 32 Abs. 3 der Satzung) erstellt sein.
    18

    Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kassenleistungen für den Ansatz der Nrn. 2382 a und 1814 GOÄ. Denn deren Ansatz entspricht nicht der Gebührenordnung für Ärzte.
    19

    Nr. 2382 a GOÄ [schwierige Hautlappenplastik oder Spalthauttransplantation]
    20

    Diese Gebühren-Nummer wurde nach dem Schreiben der PVS R. vom 24.04.2012 für eine besondere Form der Rekonstruktion angesetzt.
    21

    Im Ärztlichen Gutachten von M. C. vom 13.05.2011 wird hierzu ausgeführt: "Integraler Bestandteil der Leistungspositionen A 1870 bis A 1873 ist neben anderen die Zielstellung 'Rekonstruktion des Blasenhalses und der Schließmuskelfunktion'. Dafür gibt es verschiedene methodische Varianten, die alle die gleiche Zielstellung, den Erhalt der Schließmuskelfunktion (möglichst so wie vor der Operation) beinhalten. ... Neben Nr. A 1871 kann also eine derartige Maßnahme zur möglicherweise verbesserten postoperativen Kontinenz nicht zusätzlich berechnet werden." Diese Ausführungen sind überzeugend.
    22

    Nr. 1814 GOÄ [Harnleiterbougierung]
    23

    Diese Gebühren-Nummer wurde nach dem Schreiben der PVS R. vom 24.04.2012 für eine Bougierung angesetzt, weil die Harnleiter nicht intubierbar waren.
    24

    Das Gericht schließt sich insoweit den übereinstimmenden Auffassungen an, dass Nr. 1814 GOÄ nicht zum Ansatz kommen kann, wenn die Harnleiterbougierung lediglich erfolgt, um Instrumente überhaupt erst einführen zu können (Hoffmann/Kleinken, GOÄ, 3. Aufl., Nrn. 1812 bis 1825 (K) [7]; Brück, GOÄ, 3. Aufl., S. 722).
    25

    Dagegen entspricht der Ansatz der Nr. 2402 GOÄ [Probeexzision aus tiefliegendem Körpergewebe (z.B. Fettgewebe, Faszie, Muskulatur) oder aus einem Organ ohne Eröffnung einer Körperhöhle (wie Zunge)] der Gebührenordnung für Ärzte.
    26

    Zwar wird die Auffassung vertreten, dass eine Probeexzision aus dem Bereich des Operationsfeldes während einer anderen Operation nicht vom Leistungsinhalt der Nrn. 2401 und 2402 GOÄ erfasst wird (vgl. Brück, a.a.O., S. 793; Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, 2. Aufl. [2006], L 63). Das Gericht schließt sich aber der Auffassung von Hoffmann/Kleinken (a.a.O., Nrn. 2380 bis 2408 (L) [17]) an, die überzeugend ist. Danach besteht die Indikation zur gesonderten Probeexzision während einer anderen Operation, wenn aus der histologischen Untersuchung der Probeexzision (im sog. "Schnellschnitt") Konsequenzen für die Durchführung der weiteren Operation oder notwendige Weiterungen des operativen Vorgehens entstehen oder wenn die Entnahme gesonderter Probeexzisionen erforderlich ist, um daraus Entscheidungen für das postoperative therapeutische Vorgehen zu treffen.
    27

    So lag es im vorliegenden Falle, wo die Entnahme von keilförmigen Probeexzisionen dazu führte, dass weitere Tumorbereiche bekannt wurden, bei denen dann eine Nachresektion erfolgte. Dies zeigt deutlich, dass die Probeexzisionen neben der Prostatektomie als Zielleistung eigenständige Nebenleistungen waren. Diese Auslegung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Zielleistungsprinzip (vgl. Urt. v. 05.06.2008, BGHZ 177, 43). Nach diesem Urteil kann die Frage, ob im Sinn des § 4 Abs. 2 a Satz 2 GOÄ und des Absatzes 1 Satz 1 und 2 der Allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts L der GOÄ einzelne Leistungen methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung sind, nicht danach beantwortet werden, ob sie im konkreten Einzelfall nach den Regeln ärztlicher Kunst notwendig sind, damit die Zielleistung erbracht werden kann. Vielmehr sind bei Anlegen eines abstrakt-generellen Maßstabs wegen des abrechnungstechnischen Zwecks dieser Bestimmungen vor allem der Inhalt und systematische Zusammenhang der in Rede stehenden Gebührenpositionen zu beachten und deren Bewertung zu berücksichtigen. Es erschließt sich vorliegend auch ohne weitere ärztliche Kenntnisse, dass Probeexzisionen nicht zwingend zu einer radikalen Prostatektomie gehören.
    28

    Der Kläger hat aber nach der Leistungsordnung B Nr. 1. a) bei dieser Gebühren-Nummer nur Anspruch auf Kassenleistungen für den Ansatz des 1,9-fachen Gebührensatzes der GOÄ, nicht für den in der Rechnung erfolgten Ansatz des 3,0-fachen Gebührensatzes der GOÄ. Denn es sind keine Besonderheiten der in § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ genannten Bemessungskriterien genannt, die die Überschreitung der Schwellenwerte rechtfertigen (Leistungsordnung B Nr. 1. g)). Zwar enthält die der Rechnung von 20.02.2012 beigefügte Anlage eine ganze Reihe von Begründungen, die sich (wohl) auf die Überschreitung des 2,3-fachen des Gebührensatzes beziehen (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 GOÄ). Eine Begründung in Bezug auf die Probeexzisionen selbst ist aber darin nicht enthalten.
    29

    Damit beträgt der erstattungsfähige Höchstsatz vorliegend 81,97 EUR (21,57 EUR x 1,9 x 2). Dieser Betrag mindert sich nach § 6 a Abs. 1 GOA um 25% auf 61,48 EUR. Die erstattungsfähigen Aufwendungen betragen demnach 61,48 EUR.
    30

    Diese Aufwendungen sind auch beihilfefähig (§§ 14 Satz 1, 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV)
    31

    Daraus ergibt sich bei einem Bemessungssatz für Kassenleistungen von 50% ein Betrag in Höhe von 30,74 EUR an Kassenleistungen, auf die der Kläger Anspruch hat.
    32

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO.
    33

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.