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  • 24.03.2016 · IWW-Abrufnummer 146693

    Oberverwaltungsgericht Münster: Urteil vom 25.11.2015 – 6t A 2679/13.T

    Zur Verletzung der ärztlichen Dokumentationspflicht.


    Oberverwaltungsgericht NRW

    6t A 2679/13.T

    Tenor:

    Die Berufung wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die dem Beschuldigten auferlegte Geldbuße auf 1.500 Euro reduziert wird.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beschuldigte zu 4/5. Seine notwendigen Auslagen werden zu 1/5 der Staatskasse auferlegt.

    Die Gebühr für das Berufungsverfahren wird auf 300 Euro festgesetzt.

    1

    Gründe:

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    I.

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    Der am 17. Februar 1961 geborene Beschuldigte legte am 30. Juni 1987 das medizinische Staatsexamen ab und erhielt mit Wirkung vom 24. September 2002 die Approbation als Arzt. Er ist seit dem 26. November 2005 berechtigt, die Bezeichnung "Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe" zu führen. Vom 17. August 2009 bis zum 9. November 2009 war er als Oberarzt im St. K. -Hospital in E. beschäftigt. Vom 10. November 2009 bis zum 16. Mai 2010 war er arbeitslos. Vom 17. Mai 2010 bis Ende September 2013 war er als Oberarzt im St. N. -Hospital in P. beschäftigt und von Anfang Oktober 2013 an im Krankenhaus N1. in T. . Seit Mai 2015 ist er im St. W. Krankenhaus in N2. tätig.

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    Der Beschuldigte operierte im Rahmen seiner Tätigkeit in der Gynäkologischen Abteilung des St. K. -Hospital in E. als verantwortlicher Operateur eine Reihe von Patientinnen. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bat der Geschäftsführer der Katholischen St. M. Gesellschaft mbH, der Trägerin des Krankenhauses, D. H. , die Antragstellerin mit Schreiben vom 13. April 2010 um Mithilfe, weil der Beschuldigte bei neun von ihm operierten Patientinnen keinen Operationsbericht erstellt habe und er sich weigere, dies nachzuholen. Der Beschuldigte habe es versäumt, den Verlauf der Operation zu diktieren. Es lägen auch keine handschriftlichen Aufzeichnungen über den Verlauf der Operationen vor. Im Einzelnen handelt es sich ausweislich einer Aufstellung des Krankenhauses vom 6. Mai 2010 und der Operationsprotokolle um Operationen folgender Patientinnen, deren Nachnamen geschwärzt wurden:

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    1. Ursula B., geb. 8. August 1949, OP-Datum 24. August 2009, Diagnose laut Operationsprotokoll u.a.: Ovarialtumor, Prozedur u.a.: Ovariektomie;

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    2. Helga K., geb. 30. Mai 1926, OP-Datum 25. August 2009, Diagnose: Bösartige Neubildung Endometrium, Prozedur: Hysterektomie;

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    3. Karin W., geb. 28. Juni 1942, OP-Datum 3. September 2009, Diagnose u.a.: Uterovaginalprolaps, Prozedur: Hysterektomie;

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    4. Sandy L., geb. 23. November 1979, OP-Datum 7. September 2009, Diagnose u.a.: Endometriose des Beckenperitoneums, Prozedur: Laparoskopie;

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    5. Heidi L.-H., geb. 8. Oktober 1987, OP-Datum 7. September 2009, Prozedur: Sectio caesarea;

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    6. Annegret B., geb. 25. September 1944, OP-Datum 10. September 2009, Diagnose: Tumor Axilla, Mammakarzinom, Prozedur: Mamma-PE, Inzision von Lymphknoten;

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    7. Maria T., geb. 30. Juli 1919, OP-Datum 11. September 2009, Diagnose: Mammatumor, Prozedur: Mamma-Segmentresektion;

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    8. Laura G., geb. 11. Februar 1982, OP-Datum 11. September 2009, Diagnose: Paraurethraler Abszeß, Harnblasenverletzung intraoperativ, Prozedur: Inzision und Drainage eines periurethralen Abszesses, Rekonstruktion der Urethra;

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    9. Gudrun K., geb. 18. September 1951, OP-Datum 8. September 2009, Diagnose: Zustand nach Konisation bei CIN III; Rezidivierende HPV-Abstriche, Prozedur: Vaginale Hysterektomie unter Belassung beider Adnexe.

    24

    Diese Säumnis des Beschuldigten habe insbesondere im Fall der Patientin Gudrun K. bereits nachteilige Folgen gehabt, da diese einen Schadensersatzanspruch aus einem Behandlungsfehler gegen das Krankenhaus geltend gemacht habe und das Krankenhaus aufgrund des fehlenden Operationsberichts dem Gericht keine vollständige Patientendokumentation habe überreichen können.

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    Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Krankenhaus und dem Beschuldigten. Ausweislich eines Vermerks des Geschäftsführers H. vom 25. Juni 2010 gab der Beschuldigte im Rahmen eines Termins vor dem Arbeitsgericht E1. die ihm bzw. seinem Rechtsbeistand zwecks nachträglichem Diktat in Kopie am 31. Mai 2011 überlassenen Behandlungsunterlagen der neun Patientinnen ungeöffnet zurück und erklärte sich außerstande, die noch fehlenden Operationsberichte zu diktieren, da ihm die Handhabung des Diktiergerätes unverständlich und die Erstellung der Diktate somit unmöglich sei. Der arbeitsgerichtliche Rechtsstreit wurde beendet, ohne dass die Parteien eine Regelung über die fehlenden Operationsberichte trafen.

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    Mit Schreiben vom 18. Mai und 24. Juni 2010 forderte die Antragstellerin den Beschuldigten zur Stellungnahme und mit Schreiben vom 8. November 2010 zur umgehenden Erstellung der fehlenden Operationsberichte auf. Nach ersten Äußerungen mit Schreiben vom 6. Juli 2010 und 20. Oktober 2010 nahm der Beschuldigte mit weiterem Schreiben vom 20. Dezember 2010 zu den Vorwürfen Stellung. Er erklärte, er sei bis zu seinem Ausscheiden aus dem Krankenhaus nicht zur Erstellung der Operationsberichte aufgefordert worden. Bei der Übergabe seines Arbeitsplatzes sei dieser "frei von schriftlichen Arbeiten" gewesen. Man habe ihm weder zu diesem Zeitpunkt noch nach der Operation Patientenunterlagen vorgelegt. Die Operationsberichte hätten besser von seinem damaligen Assistenten erstellt werden können; er, der Beschuldigte, könne sie nach dem nun eingetretenen Zeitablauf nicht mehr erstellen. Lediglich in der Sache der Patientin Gudrun K. habe er im Rahmen eines Schriftverkehrs mit der zuständigen Versicherung einen Operationsbericht erstellt. Den - undatierten - Bericht legte er vor.

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    Mit Schreiben vom 8. März 2011 forderte die Antragstellerin den Beschuldigten unter Hinweis auf seine berufsrechtlichen Verpflichtungen letztmalig auf, die fehlenden acht Operationsberichte zu erstellen und die Erstellung ihr gegenüber zu bestätigen. Hierauf äußerte sich der Beschuldigte mit Schreiben vom 25. März 2011 wie folgt: Er habe während seiner Tätigkeit im Krankenhaus alle ihm vorgelegten Akten abgearbeitet. Die "so genannten fehlenden Berichte" hätten ihm bis zu seinem Ausscheiden nicht vorgelegen und seien ihm nicht bekannt gewesen. Die Erstellung eines Operationsberichts nach langer Zeit sei eine "Illusion und eine Fälschung der Patientinnendaten". Die Antragstellerin fordere ihn in ihrem Schreiben auf, eine Straftat zu begehen. Selbst bei vorliegenden Akten werde er sich auch mit bestem Willen an den Verlauf oder den Situs der Operationen nicht erinnern können. Ein fehlender Operationsbericht werde keine Patientin kränker oder gesünder machen.

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    Mit Schreiben vom 29. April 2011 wies die Antragstellerin den Beschuldigten nochmals auf seine berufsrechtliche Verpflichtung zur Dokumentation hin und kündigte an, dass nunmehr ihr Vorstand über das aus berufsrechtlicher Sicht zu Veranlassende entscheiden werde.

    29

    Auf entsprechenden Beschluss ihres Vorstands vom 21. September 2011 beantragte die Antragstellerin mit am 13. Oktober 2011 beim Berufsgericht eingegangenem Schreiben vom 4. Oktober 2011 die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens. Der Beschuldigte habe gegen die Berufspflichten aus § 10 Abs. 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 24. März 2007 (BO) verstoßen, die erforderlichen Aufzeichnungen über die in Ausübung des Berufs gemachten Feststellungen und Maßnahmen zu machen, indem er es im Rahmen seiner Tätigkeit als angestellter Arzt im St. K. -Hospital in E. in acht Fällen unterlassen habe, über die von ihm im August und September 2009 als verantwortlichem Operateur durchgeführten Operationen einen Operationsbericht zu erstellen.

    30

    Das Berufsgericht hat mit Beschluss vom 10. September 2012 antragsgemäß das berufsgerichtliche Verfahren eröffnet. Gleichzeitig hat es dem Beschuldigten wegen Berufsvergehens einen Verweis erteilt sowie eine Geldbuße von 2.000 Euro auferlegt. Der Beschuldigte habe seine Berufspflicht aus § 29 Abs. 1 HeilBerG, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, sowie seine Berufspflicht aus § 10 Abs. 1 Satz 1 BO, die erforderlichen Aufzeichnungen über die in Ausübung des Berufs gemachten Feststellungen und Maßnahmen zu machen, verletzt, indem er es im Rahmen seiner Tätigkeit als angestellter Arzt im St. K. -Hospital in E. in acht Fällen unterlassen habe, über die von ihm im August und September 2009 als verantwortlichem Operateur durchgeführten Operationen einen Operationsbericht zu erstellen.

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    Der Beschuldigte hat am 28. Dezember 2012 einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt und diesen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden, weil er unter einer falschen Adresse angeschrieben worden sei. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Der Vorwurf der fehlenden Unrechtseinsicht sei unzutreffend. Er verkenne nicht, dass die ordnungsgemäße Dokumentation der von ihm durchgeführten Behandlungen eine eigene ärztliche Berufspflicht auch direkt gegenüber dem behandelten Patienten darstelle. Er sei grundsätzlich bereit, Operationsberichte zu erstellen. Außer in dem besonderen Fall der Patientin Gudrun K. sei ihm das aber rein tatsächlich nicht mehr möglich, nachdem der Arbeitgeber über ein halbes Jahr zugewartet habe, bis er ihn hierzu aufgefordert habe. Er habe zudem vor seinem Ausscheiden seinen Arbeitgeber gefragt, ob noch weitere Arbeiten zu erledigen seien. Dies sei ihm gegenüber zunächst verneint worden. Jedenfalls seien ihm die entsprechenden Patientenakten vor seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht zur zeitnahen Bearbeitung vorgelegt worden. Hieran treffe ihn kein organisatorisches Verschulden.

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    Der Beschuldigte hat beantragt,
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    von einer berufsrechtlichen Maßnahme abzusehen.

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    Die Antragstellerin hat beantragt,

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    dem Beschuldigten einen Verweis zu erteilen und eine Geldbuße aufzuerlegen, die die Höhe von 2.000 Euro nicht unterschreitet.

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    Das Berufsgericht hat mit Urteil vom 23. Oktober 2013 dem Beschuldigten wegen Berufsvergehens einen Verweis erteilt sowie eine Geldbuße von 2.000 Euro auferlegt und dabei wiederum angenommen, dieser habe gegen die Berufspflichten verstoßen,

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     seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen,

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     die erforderlichen Aufzeichnungen über die in Ausübung des Berufs gemachten Feststellungen und Maßnahmen zu treffen,

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    indem er es im Rahmen seiner Tätigkeit als angestellter Arzt im St. K. -Hospital in E. in acht Fällen unterlassen habe, über die von ihm im August und September 2009 als verantwortlichem Operateur durchgeführten Operationen einen Operationsbericht zu erstellen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.

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    Gegen das ihm und seinem Beistand am 31. Oktober 2013 zugestellte Urteil hat der Beschuldigte am 23. November 2013 Berufung eingelegt. Er macht geltend: Seine Tätigkeit im St. K. -Hospital sei nicht frei von Belastungen gewesen. Er habe keinen Einfluss auf die Organisation der Abteilung erhalten und in medizinischen Fragen keine eigenen Entscheidungen treffen können. Im Operationsbereich habe es seinerzeit keine Möglichkeit zur sofortigen Erstellung eines Operationsberichts gegeben, insbesondere keine Diktatmöglichkeiten. Es seien nur kurze Operationsprotokolle gefertigt worden, die mit der Krankenakte verbunden worden und dort verblieben seien. Eine zwingende Vorlage der Krankenakte habe es nicht gegeben. Der Operateur habe bei sich bietender Gelegenheit die Berichte aus der Erinnerung diktiert. Falls dies unterblieben sei, sei der Bericht angefertigt worden, wenn dem Operateur die Krankenakte zufällig oder nach Rechnungserstellung und Entlassung vorgelegt worden sei. Er, der Beschuldigte, habe vergeblich gebeten sicherzustellen, dass ihm die Akten postoperativ regelmäßig vorgelegt wurden. Er habe sich allerdings bemüht, immer alle erforderlichen Berichte zu erstellen. Dazu habe er sich Notizen gemacht, Unterlagen beschafft und versucht, Akten aufzufinden. Vor Beendigung seines Arbeitsverhältnisses habe er um Vorlage aller zu ergänzenden Krankenakten gebeten. Tatsächlich sei ihm eine Reihe von Akten vorgelegt worden, die er bearbeitet habe. Dass noch Operationsberichte fehlten, habe ihm nicht bewusst sein können. Er sei erst ein halbes Jahr später im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung im März 2010 zur Erstellung der fehlenden Berichte aufgefordert worden. Man habe ihm die Akten erst zwei Monate später zukommen lassen. Nach nunmehr einem Dreivierteljahr habe er sich nur an eine der Operationen so erinnern können, dass er einen Bericht habe nacherstellen können. Die nachträgliche Erstellung erfülle den eigentlichen Dokumentationszweck nicht.

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    Der Beschuldigte beantragt,

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    das angefochtene Urteil zu ändern und festzustellen, dass eine Verletzung von Berufspflichten nicht vorliegt, hilfsweise auf eine mildere Maßnahme zu erkennen.

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    Die Antragstellerin beantragt,

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    die Berufung zurückzuweisen.

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    Sie führt aus: Die in § 10 Abs. 1 Satz 1 BO geregelte Pflicht zur ausführlichen, sorgfältigen und vollständigen Dokumentation der ärztlichen Behandlung stelle eine eigenständige selbstverständliche therapeutische Pflicht des Arztes gegenüber dem Patienten dar. Ebenso wenig, wie es der Arzt innerhalb einer Behandlung unterlassen könne, medizinisch indizierte Maßnahmen zu ergreifen, dürfe er die Dokumentation der Behandlung auslassen. Schuldner der Dokumentationspflicht sei derjenige Arzt, der die Behandlung des Patienten verantwortlich übernommen habe, im konkreten Fall der Beschuldigte als der die Operation durchführende Arzt. Jeder Arzt, der eine dokumentationspflichtige Maßnahme durchführe, trage auch die Verantwortung für deren Dokumentation. Soweit der Beschuldigte vortrage, das Problem des Unterlassens des Anfertigens der Operationsberichte liege im organisatorischen Bereich seines Arbeitgebers, da ihm entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten auf den Ablauf nicht gestellt worden seien, befreie ihn das nicht von seiner eigenen Pflicht. Es komme auch nicht darauf an, dass sein ehemaliger Arbeitgeber bei seinem Ausscheiden erklärt haben solle, es seien keine Arbeiten mehr zu erledigen, und ihn erst nach einem halben Jahr zur Erstellung der Operationsberichte aufgefordert und ihm die Akten übermittelt habe. Denn es liege in der ureigenen Verantwortlichkeit des Arztes, die Berichte über die von ihm durchgeführten Operationen zu erstellen. Dazu gehöre auch, sich eigenständig um die Vorlage der entsprechenden Unterlagen zu kümmern und nicht erst auf entsprechende Anforderung des Arbeitgebers tätig zu werden. Auch der Einwand des Beschuldigten, eine spätere Dokumentation sei ihm nicht möglich gewesen, da aufgrund der Vielzahl der Fälle die Erinnerungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt seien, entlaste ihn nicht.

    46

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragstellerin Bezug genommen.

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    II.

    48

    Die zulässige Berufung des Beschuldigten bleibt im Wesentlichen ohne Erfolg. Bezogen auf die Feststellung, dass der Beschuldigte seine Berufspflichten schuldhaft verletzt hat, ist sie unbegründet. Bezogen auf die Maßnahmebemessung ist sie zum Teil begründet.

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    Der Beschuldigte hat seine Berufspflichten schuldhaft verletzt (1.). Die Erteilung eines Verweises und die Auferlegung einer Geldbuße von 1.500 Euro sind hierfür tat- und schuldangemessene berufsgerichtliche Maßnahmen (2.).

    50

    1. Der Beschuldigte hat seine Berufspflicht aus § 10 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 15. November 2003 (SMBl. NRW 21220), zum Zeitpunkt der Berufspflichtverletzung zuletzt geändert am 24. März 2007 (MBl. NRW S. 365) - im Folgenden: BO - über die in Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen, in dem vom Eröffnungsbeschluss erfassten Umfang verletzt. Darin liegt zugleich eine Verletzung seiner Berufspflicht aus § 29 Abs. 1 HeilBerG NRW, § 2 Abs. 2 BO zur gewissenhaften Berufsausübung.

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    Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BO haben Ärztinnen und Ärzte über die in Ausübung ihres Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Diese sind nach Satz 2 der Vorschrift nicht nur Gedächtnisstützen für die Ärztin oder den Arzt, sie dienen auch dem Interesse der Patientin oder des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.

    52

    Die Norm statuiert eine Pflicht zur ausführlichen und sorgfältigen Dokumentation der ärztlichen Behandlung. Sie obliegt demjenigen Arzt, der die Behandlung des Patienten verantwortlich übernommen hat. Jeder Arzt, der eine dokumentationspflichtige Maßnahme durchführt, trägt demnach auch die Verantwortung für deren Dokumentation. Zweck der Dokumentationspflicht ist die Therapiesicherung, daneben auch die Beweissicherung und Rechenschaftslegung. Die Dokumentation soll insbesondere eine sachgerechte (Weiter-) Behandlung des Patienten gewährleisten, indem sie jeden mit- und nachbehandelnden Arzt in die Lage versetzt, sich über durchgeführte Maßnahmen und die angewandte Therapie kundig zu machen.

    53

    Näher Schlund in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage 2010, § 55 Rn. 5 mit weiteren Nachweisen.

    54

    Dies gilt in besonderer Weise für Berichte über durchgeführte Operationen, die wichtige Informationen über das gebotene postoperative Vorgehen vermitteln. In zeitlicher Hinsicht hat die Dokumentation in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behandlung oder dem Eingriff zu erfolgen,

    55

    vgl. Schlund in Laufs/Kern, a.a.O., Rn. 12,

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    jedenfalls aber in einem Zeitraum, in dem dem Arzt die Einzelheiten der Behandlung noch präsent sind.

    57

    Der Beschuldigte als derjenige Arzt, der die Operationen durchgeführt hat, war mithin im Streitfall verpflichtet, zeitnah im Anschluss an die durchgeführten Operationen einen Operationsbericht zu erstellen, in dem Einzelheiten über deren Verlauf niedergelegt waren. Diese Berufspflicht hat er verletzt, indem er es im Rahmen seiner Tätigkeit als angestellter Arzt im St. K. -Hospital in E. in acht Fällen unterlassen hat, über die von ihm im Zeitraum August und September 2009 als verantwortlichem Operateur durchgeführten Operationen einen Operationsbericht zu erstellen. Dies hatte - ohne dass es darauf ankäme - nach Feststellung des für die Antragstellerin berichtenden Arztes Dr. X. auch in mindestens drei Fällen zur Folge, dass die sachgerechte Weiterbehandlung gefährdet war bzw. ist, weil wichtige Informationen fehlten bzw. fehlen - beispielsweise, ob, wo und in welchem Umfang Lymphknoten reseziert wurden.

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    Soweit der Beschuldigte vorträgt,

    59

     im Operationsbereich habe es im St. K. -Hospital in E. seinerzeit keine Möglichkeit zur sofortigen Erstellung eines Operationsberichts und kein geordnetes Wiedervorlagesystem gegeben;

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     er habe die organisatorischen Mängel dem Chefarzt gegenüber beanstandet;

    61

     er habe vor Beendigung seines Arbeitsverhältnisses um Vorlage aller zu ergänzenden Krankenakten gebeten und die ihm vorgelegten Akten bearbeitet; dass noch Operationsberichte fehlten, sei ihm nicht bewusst gewesen,

    62

    befreit ihn das nicht von seiner eigenen Pflicht. Unabhängig von möglichen organisatorischen Mängeln in der Sphäre des Arbeitgebers ist der Arzt selbst gehalten, im Blick zu behalten, welche Behandlungsmaßnahmen er (noch) zu dokumentieren hat, und hierfür die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Dass die Dokumentation überhaupt möglich war, bestätigt der Beschuldigte selbst mit dem Vortrag, in den allermeisten Fällen habe er die erforderliche Dokumentation vorgenommen. Da es sich um eine dem Arzt selbst obliegende Pflicht handelt, kommt es für das Vorliegen der Berufspflichtverletzung auch nicht darauf an, dass der ehemalige Arbeitgeber des Beschuldigten - wie dieser behauptet - bei seinem Ausscheiden erklärt haben soll, es seien keine Arbeiten mehr zu erledigen. Abgesehen davon dürfte es dem Beschuldigten angesichts des Zeitablaufs und der Zahl der durchgeführten Operationen schon zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Tätigkeit im St. K. -Hospital kaum mehr möglich gewesen sein, eine den Zwecken der Verpflichtung genügende, ins Einzelne gehende Dokumentation der acht Operationen zu erstellen. Denn die Operationen, zu denen Berichte fehlen, sind angesichts der Daten der stationären Aufenthalte der Patientinnen und der OP-Protokolle im August oder September 2009 und damit in der ersten Hälfte der Beschäftigungszeit des Beschuldigten im St. K. -Hospital durchgeführt worden. Sie lagen zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Beschuldigten zum 9. November 2009 damit teils deutlich über einen Monat zurück. Der Beschuldigte hat selbst vorgetragen, er habe in der Zeit seiner Beschäftigung im St. K. -Hospital an mehreren Operationen täglich und geschätzt an insgesamt 75 Operationen mitgewirkt. Bei einer solchen Zahl erscheint es so gut wie ausgeschlossen, nach über einem Monat zu zurückliegenden Operationen noch eine den vorbenannten Anforderungen genügende Dokumentation zu erstellen. Erst recht ohne Belang ist es, dass dem Beschuldigten dies - wie er nachvollziehbar geltend macht - nach einem halben Jahr oder gar längerem Zeitablauf nicht mehr möglich gewesen sein mag, weil er sich an die Einzelheiten der Operationen nicht mehr erinnerte. Der Umstand, dass der Berufspflichtverstoß nach gewissem Zeitablauf nicht mehr zu beheben ist, stellt zwar die Sinnhaftigkeit der Aufforderungen der Antragstellerin zur Erstellung der Berichte noch mit Schreiben vom 8. März 2011 - also annähernd 1 ½ Jahre nach den Operationen - in Frage, nicht aber die Verletzung der Dokumentationspflicht; vielmehr belegt der Umstand gerade die Bedeutung einer zeitnahen Dokumentation.

    63

    Der Beschuldigte hat auch zumindest grob fahrlässig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Als Arzt muss er die einschlägigen Bestimmungen des HeilBerG NRW und der BO und die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen kennen.

    64

    Die Erteilung eines Verweises sowie die Auferlegung einer Geldbuße ist nach allem erforderlich, um den Berufsverstoß zu ahnden und den Beschuldigten künftig zur Beachtung seiner berufsrechtlichen Pflichten anzuhalten. Der Senat hat zu Gunsten des Beschuldigten berücksichtigt, dass er bislang berufsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Er unterstellt ferner zu seinen Gunsten als richtig, dass er gegenüber dem Chefarzt seiner Abteilung die organisatorischen Mängel beanstandet und seinen Arbeitgeber anlässlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis aufgefordert hat, die noch "offenen" Patientenakten vorzulegen. Im Hinblick auf dieses - wenn auch unzureichende - Bemühen sowie vor allem mit Blick auf den inzwischen eingetretenen erheblichen Zeitablauf erscheint eine Reduzierung der Geldbuße auf 1.500 Euro angemessen. Eine weitere Reduzierung der Geldbuße kam nicht in Betracht. Dem Beschuldigten ist die Bedeutung der Dokumentationspflicht und ferner vor Augen zu führen, dass ihn auch etwaige Organisationsmängel im Bereich seines Arbeitgebers nicht von dieser Verpflichtung entbinden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der vom Berufsgericht verhängten Geldbuße angesichts des insgesamt eröffneten Rahmens von bis zu 50.000 Euro (§ 60 Abs. 1 lit. d HeilBerG NRW) und der gehobenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten ohnehin eher symbolischer Charakter zukommt.

    65

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 107, 108 HeilBerG NRW.

    66

    Die Entscheidung über die Verfahrensgebühr beruht auf § 107 Abs. 2 HeilBerG NRW.

    RechtsgebietHeilBerGVorschriften§ 29 Abs. 1 HeilBerG