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  • · Fachbeitrag · Selbstfürsorge

    Achtsamkeit im Klinikalltag ‒ Mind-Body-Medizin

    von Prof. Dr. med. Gustav Dobos, Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin und der Studienambulanz der KEM | Kliniken Essen-Mitte

    | Wenn wir eine Leitungsbesprechung haben, dann beginnen wir mit einem Zimbel-Klang, dem leisen „Ping“ zweier gewölbter Messingschalen. Ruhe kehrt ein. Nach einer gefühlten Minute ertönt der Laut ein zweites Mal, und dann beginnen wir mit der Tagesordnung. Jetzt ist es natürlich nicht so, dass die Budgetprobleme kleiner werden oder die Personalfragen weniger, kein buddhistischer Frieden senkt sich über die Anwesenden. Aber die Zimbel hilft doch dabei, sich bewusst zu machen, dass die Patienten und die Angehörigen sowie die Behandlungspläne und Kurven zurückbleiben, gezielt für eine bestimmte Zeit ausgeblendet werden, weil es jetzt um anderes geht. |

    Mindfulness-Based-Stress-Reduction

    Achtsamkeit ‒ vor 20 Jahren, als unsere Klinik innerhalb des damaligen Knappschaftskrankenhauses gegründet und aufgebaut wurde, hatten wir den „Erfinder“ der Achtsamkeit, Jon Kabat-Zinn, persönlich eingeladen und waren schon damals zutiefst beeindruckt, welche Intensität und Kraft von den Übungen ausging, die er mit uns machte. Als Molekularbiologe und Sohn eines Immunologen hatte Kabat-Zinn sich früh für die Folgen von Stress auf den Organismus interessiert und schon in den 70er-Jahren eine „Stress Reduction Clinic“ gegründet. Dort entwickelte er aus Yoga, Zen und Vipassana-Meditation seine MBSR-Lehre ‒ die Mindfulness-Based-Stress-Reduction, häufig verkürzt „Achtsamkeit“ genannt. Heute hat sie Millionen Anhänger in der ganzen Welt, und sie ist auch Teil unseres Behandlungsprogramms für schwer chronisch kranke Menschen. Denn die Kunst, im Augenblick zu leben und jeden Moment unmittelbar wahrzunehmen lehrt, mit Anforderungen besser umzugehen, also „Stress“ zu reduzieren ‒ Voraussetzung und Basis für beinahe jede Erkrankung, sich zu bessern oder vielleicht sogar auszuheilen.

     

    MBSR ist eigentlich keine Therapie, sondern eine Haltung dem Leben gegenüber. Man kann Achtsamkeit überall praktizieren, in einer Meditation, beim Yoga, aber auch beim Staubsaugen oder beim Halt an der Ampel. Allerdings braucht es einige Geduld und Durchhaltevermögen, es zu lernen. Bei der MBSR-Schulung lernen die Teilnehmer die „Rosinen-Übung“ kennen: Man nehme eine Rosine in die Hand, betrachte sie, rieche daran, ertaste sie mit zwei Fingern, bevor man sie in den Mund schiebt und dort zwischen Zunge und Gaumen erkundet, bevor man schließlich draufbeißt und sie irgendwann hinunterschluckt. Eigentlich ein banaler Vorgang, ähnlich wie die tönende Zimbel, aber für viele Teilnehmer solcher Achtsamkeits-Übungen ein echtes Aha-Erlebnis, wird ihnen doch bewusst, wie wenig sie im Alltag eigentlich noch von dem mitbekommen, was sie sich in den Mund stecken.