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  • · Fachbeitrag · Prozessoptimierung

    Lean Healthcare ‒ das schlanke Krankenhaus der Zukunft

    von Dr. med. Stefan Beyerlein, Geschäftsführer Lean Healthcare GmbH, www.lean-healthcare.de

    | Mehr denn je sind Krankenhäuser mit steigendem Leistungs- und Kostendruck, zunehmender Bürokratie und schwieriger Personalentwicklung konfrontiert. Verschiedene Managementansätze versuchen sich diesen Problemen anzunehmen. Lean Healthcare gilt für viele als besonders vielversprechend, denn es fokussiert nicht auf einzelne Prozesse, sondern hat das Gesamtsystem im Blick. |

    Was ist Lean Healthcare?

    Viele Optimierungs- und Qualitätssicherungssysteme setzen auf eine zunehmende Verdichtung der Arbeitsweisen bei gleichzeitiger Kostenreduktion. Somit steigen die Anforderungen und der Leistungsdruck für die Mitarbeiter jedoch noch weiter und wichtige Investitionen werden zurückgestellt. Dies kann kurzfristige Engpässe durchaus ausgleichen, führt jedoch bereits mittelfristig zu zahlreichen Problemen.

     

    Aufgrund abnehmender zeitlicher und materieller Ressourcen sinkt die Qualität der Arbeit. Dies führt zu weiteren Kosten und Nacharbeit. Unzufriedene Mitarbeiter und Patienten sind die Folge. So entsteht eine Abwärtsspirale, der sich viele Chefärzte derzeit ausgesetzt fühlen.

     

    Das Lean-Healthcare-System verfolgt einen anderen Managementansatz. Anstelle Arbeit zu verdichten, geht es bei Lean Healthcare darum, alles Unnötige ‒ Lean spricht hier von Verschwendung ‒ aus dem Behandlungsweg zu eliminieren. Ziel ist es, eine Patientenbehandlung aus einem Guss zu erschaffen. Leistungen sollen nur wenn sie erforderlich sind, in der benötigten Menge und am besten Ort erbracht werden.

     

    Dafür werden mittels verschiedenster Tools die Strukturen, Prozesse und Schnittstellen analysiert und anschließend neu ausgerichtet und optimiert. Somit durchläuft der Patient die einzelnen Behandlungsschritte, ohne dass unnötige Leistungen oder Wartezeiten entstehen und gleichzeitig Fehler, Rückfragen oder Nacharbeit vermieden werden.

     

    Hierdurch frei werdende finanzielle und zeitliche Ressourcen stehen dann für eine verbesserte Patientenversorgung und weiterführende Optimierungen zur Verfügung. So entsteht eine nachhaltige kontinuierliche Verbesserungskultur (KAIZEN), welche

     

    • die Mitarbeiter entlastet,
    • die Patientenzufriedenheit steigert
    • sowie Zeit und Kosten einspart.

     

    • Leitmotive des Lean-Healthcare-Systems
    • Patientenorientierung: Bei allen Optimierungen steht der Patient stets im Mittelpunkt und alle Abläufe werden an ihm ausgerichtet.
    • Beseitigung von Verschwendung: Unnötige oder komplizierte Prozesse werden eliminiert oder vereinfacht.
    • Fließende Prozesse: Die einzelnen optimierten Prozesse werden so miteinander verknüpft, dass der Patient seine Leistungen wie aus einem Guss erhält.
    • Standardisierung: Durch das Festlegen von Behandlungsstandards wird die Qualität und Patientensicherheit erhöht. Standards sind darüber hinaus der Ausgangspunkt für weitere Optimierungen.
    • Kontinuierliche Verbesserung: Durch die Einführung eines Systems zur kontinuierlichen Verbesserung steigt stetig die Qualität und eine selbst lernende und sich selbst optimierende Abteilung entsteht.
     

    Wie wird Lean Healthcare im Krankenhaus eingesetzt?

    Krankenhäuser sind hochkomplexe Einrichtungen mit zahlreichen Hierarchie- und Fachebenen sowie Schnittstellen. Daher kann das ursprünglich aus der Industrie stammende Lean-Management-Konzept nicht 1:1 auf das Krankenhaus übertragen werden. Bei der Umsetzung von Lean im Krankenhaus gilt es vielmehr, die speziellen Anforderungen des Gesundheitswesens zu berücksichtigen und eine effiziente und hoch qualitative Patientenversorgung in den Mittelpunkt zu stellen.

     

    1. Schritt: Die Analyse

    An erster Stelle steht die individuelle Prüfung der internen Strukturen und Prozesse. Hierfür stehen im Lean Management eine Reihe von einfachen Methoden und Tools zu Verfügung. Der große Unterschied zu anderen Methoden liegt hier in der Herangehensweise. Anstatt strategische Entscheidungen ausschließlich auf der Basis von Daten zu treffen, wird im Lean Healthcare darüber hinaus die tatsächliche Situation unmittelbar vor Ort analysiert. Dies gelingt sowohl in kleinen Einheiten, wie beispielsweise einer Bettenstation oder einer Sprechstunde, als auch in komplexen interdisziplinären Strukturen, wie die eines OPs oder einer Notaufnahme. Bei dieser Begehung (im Lean als Gemba bezeichnet) werde typischerweise folgende Fragen geklärt:

     

    • Welchen Weg nimmt der Patient durch den Bereich und was passiert auf diesem Weg?
    • An welcher Stelle werden durch wen welche Leistungen erbracht?
    • Wie sind die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten?
    • Wie sind der Informationsfluss und die Schnittstellenkommunikation?
    • An welchen Stellen wird Material gelagert?
    • Sind die Prozesse passgenau für die jeweiligen Anforderungen?

     

    Diese Strukturen werden gemeinsam grafisch (z. B. in einem Swimlane oder Spaghetti-Diagramm) aufgearbeitet, damit sie für alle erkennbar und transparent sind. Häufig ergeben sich bereits durch das Sichtbarmachen von Abläufen von alleine zahlreiche Optimierungsansätze. Lean unterstützt hierbei, in dem es den Fokus auf das Aufspüren von unnötigen, zu komplizierten und nicht zielführenden Vorgehensweisen legt.

     

    Die unnötigen, zu komplizierten und nicht zielführenden Vorgehensweisen werden im Lean Healthcare als Verschwendung bezeichnet und in sieben Gruppen unterteilt.

     

    Verschwendungsart
    Beschreibung
    Beispiele

    Unnötige Bewegung

    Nicht erforderliche Bewegung von Material, Mitarbeitern oder Patienten

    • Suchen von Material, Befunden
    • Mehrfache Zimmerwechsel des Patienten
    • Nicht ergonomischer Arbeitsplatz

    Wartezeit

    Zeit, in der gewartet wird

    • Patient im Wartezimmer
    • Arzt wartet auf Material, Befunde
    • Schwester wartet auf Information von Arzt

    Transport

    Materialien oder Patienten werden unnötig transportiert

    • Unnötige Bewegung von Akten- und Arztbriefen
    • Material nicht dort gelagert, wo es benötigt wird

    Lagerbestände

    Über oder unter dem Bedarf bestehende Lagerbestände

    • Zu viel Material
    • Material verfällt
    • Material nicht rechtzeitig nachbestellt

    Qualitätsmangel, Fehler, Nacharbeit

    Prozess oder Ergebnis sind fehlerhaft und müssen ggf. erneut durchgeführt werden

    • Fehlende Standardisierung
    • Erhobene Information nicht an benötigter Stelle verfügbar
    • Falsche Medikation verabreicht

    Über(ver)arbeitung

    Prozesse sind unnötig kompliziert und ineffizient

    • Mehrfache Erhebung der Anamnese
    • Komplizierter Anmeldevorgang

    Überproduktion

    Materialproduktion oder Tätigkeiten werden ausgeführt, obwohl kein Bedarf für sie besteht

    • Nicht erforderliche Diagnostik
    • Bereitstellung Material ohne Bedarf
    • Überflüssige Dokumentation
     

    2. Schritt: Die Optimierung

    Nach der Analyse der Strukturen und Prozesse sowie der Ermittlung der Verbesserungspotenziale, geht es im nächsten Schritt um die praktische Durchführung der Optimierung. Auch hier setzt Lean Healthcare, im Gegensatz zu anderen Managementprinzipien, auf einen menschenzentrierten Ansatz.

     

    In vielen Krankenhäusern werden Entscheidungen zu Strategie und Abläufen in einer Top-down-Strategie angegangen. In der Lean Philosophie versteht sich Führung als tägliche und transparente Leistung vor Ort und als Unterstützung des Gesamtsystems. Mit dem Fokus auf dem Patienten werden die Optimierungen vor Ort fachbereichsübergreifend erarbeitet und durchgeführt. Hierzu leitet die Führungsebene die Mitarbeiter durch zielgerichtete Fragestellungen und wirkt unterstützend bei deren Lösung (Bottom-up-Strategie).

     

    Durch das Einbeziehen der Mitarbeiter gelingt es, die Verbesserungen dauerhaft zu verankern und so eine Basis für weitere Optimierungen zu schaffen. So entsteht ein selbst lernendes und sich kontinuierlich verbesserndes System, von dem Führungskräfte, Mitarbeiter und Patienten gleichermaßen profitieren.

     

    Bei den ersten Schritten der Optimierung ist es wichtig, sich zunächst auf solche Verbesserungen zu konzentrieren, die zeitnah für die Mitarbeiter und Patienten spürbar werden. Motiviert vom Erfolg gelingt die Umsetzung weiterer Schritte dann merklich leichter.

     

    3. Schritt: Der Wandel zum schlanken Krankenhaus

    Durch die Verbesserung der Abläufe ergeben sich zahlreiche positive Konsequenzen. Sind Abläufe, Zuständigkeiten und Behandlungen standardisiert und festgelegt, steigt die Qualität und Effektivität der Behandlung. Nachfragen und Nacharbeit entfallen. Die Patienten erfahren dies durch geringere Wartezeiten und bessere Informationen, was zu mehr Zufriedenheit führt. Auch die Belastung der Mitarbeiter sinkt spürbar.

     

    Durch eine optimierte und differenzierte Lagerhaltung entfallen Such- und Laufwege. Transporte werden reduziert und die Kosten werden gesenkt. Die hierdurch gewonnenen zeitlichen Ressourcen können nun wieder eingesetzt werden, um weitere Verbesserungen anzugehen.

     

    Hierzu sind regelmäßige Teamsitzungen ein gutes Mittel. Unter Zuhilfenahme von Schautafeln oder einem Kaizen Board sollte der aktuelle Stand der Verbesserungsprojekte für alle Beteiligten transparent gemacht werden. Wichtig ist es hierbei, die einzelnen Projekte an einem größeren Ziel auszurichten. Durch eine regelmäßige, zielgerichtete und auf nachhaltige Ergebnisse ausgerichtete Strategie kann die Lean Philosophie schrittweise in der Unternehmenskultur verankert werden. So werden aus ursprünglich kleinen Verbesserungsschritten, lokale Optimierungen einzelner Bereiche, welche dann schrittweise durch weitere Vernetzung und Zusammenführungen zu einem Gesamtprojekt heranwachsen, mit dem Ziel der Transformation in ein Lean-Hospital.

    Zusammenfassung

    Lean Healthcare stellt ein auf Patienten und Mitarbeiter ausgerichtetes Managementprinzip dar. Anstatt Arbeit zu verdichten, setzt es auf das

    • Eleminieren von Verschwendung und
    • Optimieren von Abläufen und Schnittstellen

    und führt so zu einer

    • verbesserten Patientenbehandlung und
    • Entlastung der Mitarbeiter.

     

    FAZIT | Durch die stetige Verbesserung in kleinen Schritten im Rahmen des Lean Healthcare entsteht ein selbst lernendes und sich selbst optimierendes System, das die Zufriedenheit der Patienten und Mitarbeiter steigert, die Qualität verbessert und die Kosten senkt.

     

    Über den Autor

    • Dr. med. Stefan Beyerlein studierte Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Nach seinem Abschluss absolvierte er die Facharztausbildung zum Kinderchirurgen und arbeitete an den größten Kliniken in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Bereits von Beginn seiner ärztlichen Tätigkeit an war er aktiv in der Prozessoptimierung und Qualitätsentwicklung und absolvierte u. a. die Ausbildungen zum Lean-Healthcare-Experten und zum OP-Manager. Nach zahlreichen Jahren als medizinische Führungskraft hat er sich der Lean-Healthcare-Philosophie verschrieben und unterstützt Krankenhäuser, Arztpraxen und Gesundheitseinrichtungen bei der Optimierung ihrer Prozesse und Organisationsstrukturen.
    Quelle: Ausgabe 09 / 2019 | Seite 2 | ID 46084626