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  • · Fachbeitrag · Krankenhausmanagement

    Chefarzt und Radiologe Dr. Martin Sailer im Interview: „Junge Ärzte haben es heute schwer“

    | Längst nicht mehr alle, aber immer noch viele junge Ärzte streben an, später einmal Chefarzt zu werden. Doch der Weg zu dieser Position, die viel Ruhm und Ehre verspricht, ist steinig. Viel steiniger als früher, meint zumindest Dr. med. Martin Sailer. Der Chefarzt der Radiologie und Nuklearmedizin des St.-Elisabeth-Krankenhauses Dorsten (NRW) spricht im Interview mit dem „Chefärzte Brief“ offen darüber, warum es heute junge Krankenhausärzte schwerer haben als zu seiner Zeit als frischgebackener Arzt. Das Interview führte unser Redakteur Dr. Lars Blady. |

     

    Dr. Lars Blady (Redakteur): Herr Dr. Sailer, Sie sind jetzt seit knapp 15 Jahren Chefarzt, davor waren sie zehn Jahre Leitender Oberarzt. Wenn Sie Ihre heutige Tätigkeit mit Ihrem ersten Jahr als Oberarzt vergleichen: Was hat sich am meisten geändert?

     

    Dr. med. Martin Sailer: In den 1980er- und 1990er-Jahren hatten wir ja die sogenannte Ärzteschwemme. Das hat um die Jahrtausendwende umgeschlagen. Seitdem ist es immer schwerer geworden, sehr qualifizierte Assistenz- und Oberärzte zu finden - gerade auch für kleinere Häuser wie unser St.-Elisabeth-Krankenhaus in Dorsten.

     

    Redakteur: Liegt das an der geringeren Qualifikation der jungen Ärzte, oder sind diese heute anspruchsvoller als früher?

     

    Dr. Sailer: Ich denke das liegt daran, dass viele ärztliche Kollegen nicht mehr allein in die Krankenhäuser streben, sondern auch zu Versicherungen, Beratungsunternehmen oder ins Ausland - etwa in die Schweiz oder nach Norwegen. Meine Tochter ist selbst Radiologin: Sie macht Ihre Facharzt-Weiterbildung in den Niederlanden. Viele Medizinstudenten und junge Ärzte sind heute zudem weiblich; viele von ihnen möchten nach ihrer Facharzt-Ausbildung in Teilzeit arbeiten. Das ist gerade für kleinere Kliniken ein Problem, da dort leitende Ärzte zumeist als Vollzeitkräfte gesucht werden.

     

    Redakteur: Und wo finden Sie bzw. Ihr Haus dann die Ärzte?

     

    Dr. Sailer: Wir werden vor allem im Ausland fündig. Dabei spielen Ärzte aus EU-Staaten kaum eine Rolle, sondern eher Ärzte aus Osteuropa oder dem Nahen Osten. Ich selbst habe Kollegen aus dem Irak und dem Jemen. Ohne diese ausländischen Ärzte, die zum Teil ausgezeichnet qualifiziert sind, hätten wir große Probleme, unsere Aufgaben als Klinik zu erfüllen

     

    Redakteur: In meinem Bekanntenkreis gibt es zwei junge Ärztinnen, die heilfroh sind, die Klinik hinter sich gelassen zu haben. Die eine ist zum TÜV gewechselt und dort Betriebsärztin, die andere ist jetzt bei einem niedergelassenen Arzt angestellt. Der Grund für die Abkehr vom Krankenhaus war bei beiden, dass sie sich dort überlastet gefühlt hatten - Stichwort „24-Stunden-Schicht“ -, und auch überfordert. Können Sie dies nachvollziehen?

     

    Dr. Sailer: Das kann ich absolut nachvollziehen! Es ist doch so: Früher waren die Ärzte wenigstens noch relativ gut bezahlt, etwa im Vergleich zu Diplom-Kaufleuten. Das hat sich inzwischen geändert. Um am Anfang des Berufslebens genauso viel wie ein Betriebswirt zu verdienen, muss ein Arzt schon viele Nacht- und Wochenenddienste machen. Solche Bereitschaftsdienste sind verpflichtend, dem kann sich keiner entziehen.

     

    Redakteur: War der Stress denn früher weniger? Mussten Sie zum Beispiel in Ihrer „frühen“ Zeit als Arzt nicht auch diese Dienste absolvieren?

     

    Dr. Sailer: Doch doch, die musste ich auch machen, zum Beispiel an der Uniklinik, an der ich gearbeitet habe ...

     

    Redakteur: ... das hieße aber doch im Umkehrschluss, dass die heutige Ärzte-Generation weniger belastbar ist als Ihre damalige?

     

    Dr. Sailer: Vorsicht! Früher war die Leistungsdichte und damit auch der Leistungsdruck geringer als heute. Das hängt zum Beispiel mit den Verweildauern der Patienten zusammen: 1991 lag diese noch bei 14 Tagen, heute sind wir bei fast der Hälfte angekommen. Früher haben die Patienten daher weniger Arbeit gemacht. Heute muss in viel kürzerer Zeit viel mehr am Patienten gearbeitet werden - dadurch steigt der Druck für Ärzte und Pfleger.

     

    Redakteur: Hauptgrund für den Rückgang der Verweildauer waren ja auch die DRG. Sind diese somit der Übeltäter?

     

    Dr. Sailer: Das stimmt, die DRG waren tatsächlich der Knackpunkt, mit dem sich Vieles gewandelt hat. Die jungen Kollegen müssen also heute in ihrem Bereitschaftsdienst weitaus mehr leisten als wir damals, davon bin ich fest überzeugt.

     

    Redakteur: Die Anforderungen an die heutige Ärzte-Generation hat sich also gewandelt. Wie ist es aber umgekehrt: Haben sich - gerade in Zeiten des Ärztemangels - nicht auch die Anforderungen der jungen Ärzte an die Kliniken gewandelt, Stichwort Work-Life-Balance? Ist es nicht gerade für Frauen attraktiver, etwa in ein MVZ zu gehen und dort eine 40-Stunden-Woche zu haben?

     

    Dr. Sailer: Das Krankenhaus muss sich heutzutage wandeln, keine Frage. Man bietet heute auch bewusst mehr Teilzeitstellen an, die Arbeitszeiten werden flexibler. In der hiesigen Radiologie arbeitet eine Oberärztin, die eine halbe Stelle besetzt. Für die Lebensqualität ist das natürlich super. Das war damals ihre Bedingung für die Annahme der Stelle.

     

    Redakteur: In Zeiten des Ärztemangels sind es also die jungen Ärzte, die die Bedingungen stellen, und nicht die Kliniken?

     

    Dr. Sailer: In der Tat. In meiner Abteilung gibt es einen Assistenzarzt,

     

    der ist ein hervorragender Organist und als solcher auch unterwegs. Bei uns arbeitet er daher in Teilzeit. Allerdings ist der Personalschlüssel gerade bei kleinen Häusern knapp bemessen - insofern kann das Rad hier auch nicht unendlich weitergedreht werden. Bei meinem Chef früher war das anders: Hat man da als junger Arzt Forderungen gestellt, wurde kurz die Schublade aufgezogen und der Stapel der restlichen Bewerber gezeigt. Da war die Diskussion dann schnell beendet.

     

    Redakteur: Wie gelingt es Ihnen denn trotzdem, für ein mittelgroßes Haus wie das St.-Elisabeth-Krankenhaus junge Ärzte zu gewinnen?

     

    Dr. Sailer: Es gelingt schon, aber wir müssen den jungen Assistenzärzten natürlich auch etwas bieten - gerade bei der Weiterbildung. Das heißt: Wir können sie nicht im Alltagsgeschäft verschleißen, wir brauchen auch Freiräume, damit sie etwas lernen. Nicht nur in der Radiologie gibt es ja eindeutige Weiterbildungskataloge von der Ärztekammer, die genau vorgeben, was alles gemacht werden muss. Wird das nicht geboten, wandern die jungen Kollegen in größere Kliniken ab.

     

    Redakteur: Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem es kleine Häuser besonders schwer haben, eine entsprechende Weiterbildung anzubieten?

     

    Dr. Sailer: Nehmen Sie etwa die Mammographie: Diese ist konzentriert in Screening-Zentren und radiologischen Praxen niedergelassener Ärzte. Wir machen in der Klinik lediglich die kurative Mammographie, das heißt, wir behandeln die Patienten, die zum Beispiel bereits einen Mammatumor haben. Das Vorfeld-Screening führen wir hier in der Regel aber nicht durch - wir können es daher in der Facharzt-Weiterbildung auch nicht anbieten.

     

    Redakteur: Stichwort Facharzt-Weiterbildung: Wie war das zu Ihrer Zeit?

     

    Dr. Sailer: Naja, wir haben tagsüber die Patienten versorgt und abends unsere Papers geschrieben für die Veröffentlichungen, um dann vielleicht einmal habilitieren zu können. Da habe ich mich damals aber bewusst dagegen entschieden - zu der Zeit hatte ich bereits vier kleine Kinder. Mein Chef war über diese Entscheidung regelrecht beleidigt. Ich kenne einige Kollegen, die diesen Weg gegangen sind - allerdings um den Preis, dass Ihre Partnerschaft bzw. Ehe daran zerbrochen ist.

     

    Redakteur: Zum Abschluss die Frage zu Ihrem Geheimrezept: Sie hatten im Vorgespräch angedeutet, dass es Ihnen ganz gut gelingt, in Ihrer Abteilung Unstimmigkeiten frühzeitig gütlich beizulegen. Wie lautet also Ihr Geheimrezept hierfür, das sicherlich viele Ihrer Kollegen gerne ausprobieren möchten?

     

    Dr. Sailer: Manche Leute brauchen die Reibung und Auseinandersetzung, ich selbst hingegen weniger. Zudem versuche ich bei Konflikten - und die gibt es ja immer - die fachliche und die persönliche Seite auseinanderzuhalten: Fachliche Konflikte trenne ich von der persönlichen Ebene.

     

    Redakteur: Herr Dr. Sailer, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 13 | ID 42413350