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  • · Fachbeitrag · Interview

    vlk-Präsident Weber: „Die Krankenhäuser brauchen einen Befreiungsschlag!“

    | PD Dr. med. Michael A. Weber, Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (vlk) e.V., wirft ‒ vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zur Krankenhausstrukturreform ‒ mit CB-Autorin Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) einen Blick in die Zukunft der Krankenhauslandschaft. Weber ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie und war jahrelang Chefarzt und Ärztlicher Direktor am Klinikum Dachau. |

     

    Frage: Laut einer Studie, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt wurde, könnten Patienten besser versorgt werden, wenn es in Deutschland statt 1.400 nur 600 Krankenhäuser gäbe (Details im CB 09/2019, Seite 6). Wäre solch ein radikaler Bettenabbau der richtige Weg?

     

    Antwort: Diese Studie ist eine unfaire Kampagne gegen Krankenhäuser. Anhand von komplexen Diagnosen wie Operation eines Pankreaskarzinoms, Herzinfarktbehandlung oder Hüft-Re-Operationen, für die kleinere Krankenhäuser eher nicht geeignet sind, wird deren gesamte Existenzberechtigung hinterfragt. Auch wird das Beispiel Dänemark immer gern herangezogen. Doch wir können die Versorgung in einem kleinen, wohlsituierten Land nicht mit Deutschland vergleichen!

     

    In Deutschland gibt es enorme Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen den einzelnen Bundesländern, getriggert durch unterschiedliche sozioökonomische Verhältnisse. In sozialen Brennpunkten, wie z. B. in einigen Duisburger Stadtteilen, haben wir multimorbide Patienten, die zunächst nie einen Arzt aufsuchen und wenn es ernst wird, die Notaufnahme nutzen. Das ist am Starnberger See ganz anders. Die Krankenhausstruktur ist also äußert komplex und schwer zu interpretieren. Es ist unseriös, alle diese Faktoren zu verschweigen und monokausal darzustellen.

     

    Frage: An einer Strukturreform kommen die deutschen Krankenhäuser dennoch nicht vorbei. Wo könnten Häuser geschlossen werden?

     

    Antwort: Wir sind bereit, über die Schließung oder Umwidmung des einen oder anderen Standorts zu reden. In Ballungsräumen müssen wir prüfen, ob zwei Kliniken, die nahezu das Gleiche machen, nebeneinander existieren können. Auf dem Land wird man sich von kleinen Häusern trennen müssen ‒ vor allem, wenn man die Struktur nicht an die heutigen Anforderungen anpassen kann und keine Ärzte mehr bekommt. Wir brauchen einen gesunden Mix an Kliniken, der einerseits einer wohnortnahen Versorgung gerecht wird und andererseits den Maximal- und Schwerpunktversorgern komplexe Eingriffe vorbehält.

     

    Frage: Wie groß ist die Gefahr für ein Krankenhaus, in eine Abwärtsspirale zu geraten, wenn einzelne Abteilungen schließen?

     

    Antwort: Zurzeit befinden sich alle in einer Abwärtsspirale. Kassen, Bundesgesundheitsminister und Medizinischer Dienst betreiben eine kalte Strukturbereinigung. Es ist absurd, dass alle Kliniken durch Überregulierung und finanzielle Abschläge extrem unter Druck stehen. 2018 schrieben 47 Prozent der Häuser rote Zahlen. Die Zahlen von 2019 haben wir noch gar nicht. Sie werden nicht besser sein.

     

    Frage: Und alle Häuser suchen händeringend Personal. Würde der Personalmangel sich entspannen, wenn Krankenhäuser schließen?

     

    Antwort: Auch das ist ein Trugschluss. Wenn man Krankenhäuser auf dem Land schließt, bleiben die ehemals Beschäftigten in ihrer Region ‒ schon wegen der relativ geringen Lebenshaltungskosten. Sie wechseln eher zu einem Pflegedienst als in die große Stadt. Patienten wären nicht mehr gut versorgt. Hinzu käme eine unverantwortliche Verknappung bei der Notfallversorgung. Der aktuelle Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums plant eine Reduktion der Notfallstandorte um ca. 50 Prozent. Damit bräche das Rückgrat der Notfallbehandlung.

     

    Frage: Wie kann es Chefärztinnen und Chefärzten vor diesem Hintergrund gelingen, Ruhe in ihre Abteilung zu bringen?

     

    Antwort: Sie müssen konstruktiv arbeiten, um ihren Mitarbeitern eine gesicherte Zukunftsperspektive zu bieten und die Weiterbildung zu sichern. Wichtig sind z. B. Intensivstationen, die diesen Namen auch verdienen, ein teleradiologischer Anschluss, eine gute Notfallversorgung und ein Schwerpunkt in der Geriatrie. Eine Langzeitperspektive bedeutet, dass der Standort für die nächsten zehn Jahre gesichert sein muss.

     

    Frage: Was empfehlen Sie, wenn die Abteilung akut von der Schließung bedroht ist? Kampf oder Kooperation?

     

    Antwort: Das hängt von der Situation ab. Jeder Chefarzt muss sich die Frage stellen, ob er langfristig konkurrieren möchte oder ob er sich mit anderen Häusern abstimmt. Wenn der Standort den heutigen Qualitätsanforderungen langfristig nicht genügt, macht es keinen Sinn, auf dem sinkenden Schiff zu bleiben. Zurzeit ist der Druck so hoch, dass die Zeichen eher auf Zusammenlegung stehen.

     

    Frage: Wie ist Ihre Vision, um die Krankenhauslandschaft zum Positiven zu verändern?

     

    Antwort: Wir brauchen dringend einen Krankenhausgipfel. Wir sind offen für Gespräche und halten eine gewisse Zentralisierung für sinnvoll. Wir müssen die Kliniken stärken, auf die wir uns einigen werden. Denn die Krankenhäuser dürfen nicht weiter drangsaliert werden. Wir brauchen eine ausreichende Deckung der Betriebskosten und der Investitionsmittel. Die Strukturreform muss dahin führen, dass der Streit um die Finanzen zwischen Chefärzten und Geschäftsführungen endlich aufhört. Die Krankenhäuser brauchen einen Befreiungsschlag.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2020 | Seite 15 | ID 46315779