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  • · Fachbeitrag · Interview

    „Patienten der Hämodialyse können Kraft und Ausdauer im Dialysezentrum trainieren!“

    | Sport während der Dialyse? Geht das? Das Projekt „DiaTT ‒ Dialyse Trainings-Therapie“ soll Gesundheit und Wohlbefinden von Dialysepatienten verbessern. Dazu nehmen die Patienten von Dialysezentren in Sachsen, Thüringen, Bayern und Nordrhein-Westfalen an einer Studie teil. Sie trainieren während der Hämodialyse sowohl Kraft als auch Ausdauer. Der Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) finanziert die Studie für drei Jahre mit ca. 5,2 Mio. Euro. Ursula Katthöfer ( www.textwiese.com ) fragte dazu den Leiter und Koordinator der Studie, den Ärztlichen Direktor des Klinikums rechts der Isar, Prof. Dr. Martin Halle. |

     

    Frage: Wie breit ist Ihre Studie angelegt? Mit welchem Ziel sind Sie gestartet?

     

    Antwort: Es ist weltweit die bisher größte Versorgungsstudie zu diesem Patientenkollektiv. Insgesamt nehmen 1.100 Patienten in 28 Dialysezentren teil. 14 dieser Zentren werden mit Sportgeräten ausgestattet, die übrigen 14 Zentren bilden die Kontrollgruppe. Das Training startete zum 01.04.2019. Aus einer Pilotstudie, die vor einigen Jahren stattfand, wissen wir, dass sowohl Lebensqualität als auch klinische Eckpunkte sich durch regelmäßiges Training verbessern. Die Dialyseeffizienz steigt. Die Mortalität liegt zurzeit bei acht Prozent. Wir gehen davon aus, dass sie zurückgeht. Mit der Studie möchten wir demonstrieren, dass DiaTT sich in die Regelversorgung übertragen lässt. (Anm. d. Red.: Weitere Details unter www.diatt.de )

     

    Frage: An einem Dialysegerät ist die Mobilität eingeschränkt. Welche Übungen machen die Patienten?

     

    Antwort: Das Training hat zwei Komponenten von jeweils 30 Minuten: Kraft und Ausdauer. Für den Kraftteil nutzen wir kleine Gewichte und Bälle. Als Bauchmuskeltraining nehmen die Patienten die Bälle zwischen ihre Füße und heben diese an. Oder sie drücken aus der Liegeposition Rücken und Becken nach oben. Für das Ausdauertraining nutzen wir spezielle Ergometer aus der Neurorehabilitation, die über den Dialysesessel geschoben werden, sodass die Patienten die Pedale während der Dialyse auf Bauchhöhe haben. Ein kleiner Motor kann unterstützend eingesetzt werden, die Patienten können selbst bei null Watt in die Pedale treten. Den Arm mit dem Shunt können sie währenddessen ruhig halten. Außerdem nutzen wir flexible Dialysenadeln.

     

    Frage: Wie gut sprechen die Patienten auf die Sporttherapie an?

     

    Antwort: Vom fitten Patienten, der kurz vor einer Transplantation steht, bis zur schwer an Diabetes erkrankten 85-Jährigen sind alle mit Begeisterung dabei. Das Training macht großen Spaß, weil die Patienten nicht nur drei Stunden liegen, fernsehen oder Zeitung lesen, sondern ihre Zeit sinnvoll nutzen. Die Zeit vergeht viel schneller, wenn auch der Nachbar trainiert und der Physiotherapeut das Üben organisiert. Bisher mussten die Patienten außerhalb der Dialysezeit trainieren, beispielsweise spazieren gehen. In unserem überwachten Setting benötigen sie keine zusätzliche Motivation.

     

    Frage: Wie wirkt sich das Training gesundheitlich aus?

     

    Antwort: Die Dialyse wird effizienter. Die Bewegung führt dazu, dass die Flüssigkeiten sich im Körper besser verteilen. So entstehen weniger Muskelkrämpfe als Nebenwirkung durch die Elektrolytverschiebungen. Vor allen Dingen in den weniger gut durchbluteten Geweben werden toxische Substanzen abgebaut. Es müssen weniger Medikamente verschrieben werden, z. B. wegen einer Anämie. Auch subjektiv berichten die Patienten, dass die Beschwerden besser werden.

     

    Frage: Gehen Sie davon aus, dass der Krankheitsverlauf verlangsamt und dass Folgeerkrankungen vermieden werden können?

     

    Antwort: Das ist genau die Frage. Zum einen geht es darum, Patienten für die Transplantation fit zu machen. Das zweite ist, den Krankheitsprozess zu verbessern und die Hospitalisierungsraten zu reduzieren. Dialysepatienten leiden unter Bewegungsmangel. Das führt zu Muskelabbau, Koordinationsstörungen mit Gangunsicherheit, erhöhtem Sturzrisiko und häufigen Krankenhauseinweisungen und Pflegebedürftigkeit. Mit der verbesserten Ausdauer steigt die Belastbarkeit. Das Muskeltraining vermindert beispielsweise die hohe Sturzgefahr bei Patientinnen mit Osteoporose.

     

    Frage: Sie haben eine Kontrollgruppe mit Patienten eingerichtet, die nicht an der Sporttherapie teilnehmen. Wie ist ihre Hypothese?

     

    Antwort: Wir gehen davon aus, dass perioperative Parameter wie Gebrechlichkeit zumindest konstant bleiben.

     

    Frage: Ärzte und Pflegepersonal arbeiten bei der Sporttherapie mit Physiotherapeuten und Sportlehrern zusammen. Wer hat den Hut auf?

     

    Antwort: Beim Training sind es die Physio- und Sporttherapeuten. Doch das Training muss standardisiert sein und unter Anleitung eines Arztes stattfinden. Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Diabetes, Vitalkapazität und andere Begleiterkrankungen müssen mit dem Arzt besprochen werden. Er ist letztendlich verantwortlich.

     

    Frage: Was muss ein Dialysezentrum tun, um die Sporttherapie anbieten zu können?

     

    Antwort: Für Ärzte und Pflegepersonal werden sogenannte ReNi-Schulungen zu Rehabilitationssport für chronisch Nierenkranke angeboten. Für die speziellen Ergometer existieren verschiedene Leasing- und Kauf-Modelle. Ein Ergometer mit Motorunterstützung kostet etwa 7.000 Euro. Doch Dialysezentren können auch mit Krafttraining beginnen. Hanteln und Bälle sind zu überschaubaren Preisen erhältlich.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2019 | Seite 11 | ID 45805769