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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Der Unfall nach dem Unfall: Haftungsfragen rund um Zweitunfälle, Bergen und Unfallhilfe

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | Nach dem Unfall ist oft vor dem Unfall. Gefahrenlagen können fortwirken, können aber auch von neuen überlagert oder abgelöst werden. Das wirft schwierige Zurechnungsfragen auf. Wer kann wofür in welchem Umfang verantwortlich gemacht werden? Und wie ist die Rechtsposition von Pannenhelfern und der Halter von schleppenden und geschleppten Fahrzeugen? Der Beitrag gibt anhand von aktueller Rechtsprechung Antworten auf diese Fragen. |

     

    Rechtsprechungsübersicht / Aktuelle Rechtsprechung zum Haftungsgrund

    Fragen des Haftungsgrunds - Zurechnung, Mithaftung, Gesamtschuld - sind die zentralen Themen der nachfolgenden Entscheidungen.

    Sachverhalt

    Lösung

    Entscheidung

    Tragische Unfallhilfe: 

    Pkw I gerät auf BAB ins Schleudern und kommt auf Seitenstreifen zum Stehen. Fahrer von Pkw II will helfen, wird dabei von Pkw III erfasst und schwer verletzt. Er klagt gegen Fahrer/Halter/VR von Pkw I und III.

    BGH: volle Gesamtschuld aller fünf Bekl., keine Mithaftung des Kl. wg. Selbstgefährdung.

     

    • Haftung Pkw I entfällt nicht wegen der schuldhaften Beteiligung von Pkw III;
    • zwischen Fahrfehler Pkw I und den Verletzungen des Kl. besteht Zurechnungszusammenhang;
    • Zurechnung auch zur Betriebsgefahr Pkw I bejaht (§ 7 StVG);
    • kein Ausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG.

    BGH 5.5.10,

    VI ZR 286/09, VA 11, 24

     

    ähnliche Konstellation: OLG München 9.6.11, 24 U 619/10, Abruf-Nr. 131208;

    zum Mitverschulden eines BAB-Pannenhelfers auch BGH NJW 01, 149.

    Absicherung der Unfallstelle und Sorgfaltspflicht des Folgeverkehrs:

    Transporter bleibt auf linkem BAB-Fahrstreifen liegen; unter strittigen Begleitumständen (Sichtbehinderung durch andere Fahrzeuge, Warnblinklicht) kollidiert ein

    Kradfahrer mit dem Transporter und verletzt sich dabei tödlich.

    OLG Brandenburg: 60:40 pro Witwe und Kinder (Verstoß des Bekl. gegen § 1 Abs. 2, § 15 StVO, Verstoß des Kradfahrers gegen das Sichtfahrgebot).

     

    BGH sieht Abwägungsfehler zulasten beider Seiten und hebt OLG-Urteil auf. Ausführungen zu folgenden Fragen:

     

    • Wohin ausrollen, wo stehen bleiben?
    • Warnblinkanlage (defekt oder nicht?)
    • Sicht für Kradfahrer frei oder behindert?
    • Betriebsgefahr von Motorrädern, allg. und konkret.

    BGH 1.12.09,

    VI ZR 221/08, VA 10, 58

    Fahrer/Beifahrer auf der Fahrbahn und Betriebsgefahr: 
Nach Unfall wird Pkw auf Standstreifen abgestellt, Fahrer und Beifahrerin steigen aus. Lkw I weicht aus, Lkw II fährt auf Lkw I auf, Anhänger Lkw II erfasst Fahrer/Beifahrerin (Sozialversicherungsträger-Regress).

    Wegen Mithaftung der Versicherten (= Beifahrerin) Einzel- und Gesamtabwägung; dabei auch zu berücksichtigen: Betriebsgefahr des Pkw auf Standstreifen (Beifahrerin war Halterin); Erhöhung durch ggf. unvorsichtiges Verhalten von Fahrer und Beifahrerin.

    BGH 13.12.05, 
VI ZR 68/04, VA 06, 38;

    s.a. OLG Hamm NJW-RR 09, 901 (Ausweichreaktion wg. Lkw und ausgestiegenen Fahrers auf Autobahn).

    Zusammenhang Erst- und Zweitunfall:

    Auf BAB kollidieren Pkw I und Pkw II und blockieren die 2. und 3. Spur. Fahrer Pkw III erkennt Gefahr, hält auf Mittelspur an, schaltet Warnblinkanlage ein, aktiviert Rückfahrscheinwerfer und stellt Warndreieck auf. Mehrere Kfz fahren an Unfallstelle vorbei. Pkw IV fährt ungebremst auf Pkw III auf. VR Pkw IV nimmt Regress bei VR/Fahrer Pkw I.

    Regressklage in allen Instanzen abgewiesen:

     

    • Zwar sei der Erstunfall (Pkw I ./. Pkw II) adäquat kausal für die Folgen des Zweitunfalls gewesen. Es fehle jedoch der für die Verschuldenshaftung erforderliche Zurechnungszusammenhang (Unfallstelle abgesichert, nur noch „äußerlicher“ Zusammenhang zwischen Erst- und Zweitunfall);
    • Haftung nach § 7 StVG gleichfalls verneint; zwar naher örtlicher und zeitlicher Zusammenhang, aber selbst bei fortwirkender Betriebsgefahr aus Gründen der Abwägung keine Haftung Pkw I.

    BGH 10.2.04,

    VI ZR 218/03, NJW 04, 1375;

     

    s.a. OLG Brandenburg 27.9.07, 12 U 6/07, Abruf-Nr. 073301 (fortwirkende Betriebsgefahr von BAB-Unfall I bejaht, 70:30 gegen Pkw, der an liegengebliebenem Fahrzeug vorbeifährt).

    Liegenbleiben oder unzulässiges Halten:

    Fahrer Lkw I hatte auf BAB-Seitenstreifen angehalten, angeblich zur Kontrolle der Ladung. Lkw II kollidiert mit Lkw I, dessen Eigentümer die restlichen 30 Prozent einklagt.

    OLG Celle bestätigt erstinstanzliche Klageabweisung. Durch Verschulden gesteigerte Betriebsgefahr auf Kl.-Seite. Kein Liegenbleiben i.S.d. § 15 StVO, sondern unzulässiges Halten auf Seitenstreifen (§ 18 Abs. 8 StVO).

    OLG Celle 12.12.07,

    14 U 80/07, Abruf-Nr. 131209; NZB durch BGH 10.6.08, VI ZR 10/08, zurückgewiesen mit Hinweis auf Abgrenzung § 15, § 18 Abs. 8 StVO.

    Kollision mit umgestürztem Lkw: 

    Lkw gerät auf Autobahn wegen eines Reifenschadens ins Schleudern und stürzt um. Ein nachfolgender Pkw kollidiert bei Dunkelheit.

    OLG Celle hebt Teilurteil auf und geht in seinen Segelanweisungen ein auf:

     

    • Unabwendbarkeit für Pkw-Fahrer (entgegen LG wohl nein),
    • Sichtfahrgebot,
    • Unabwendbarkeit für LkW-Fahrer schon wegen Reifenschadens nein,
    • Betriebsgefahr Lkw.

    OLG Celle 5.9.07,

    14 U 71/07,

    OLGR 07, 854

    Tod beim Wegschieben:

    Pkw I bleibt bei Dunkelheit auf BAB liegen. Beifahrer hilft beim Wegschieben und wird dabei von Pkw II erfasst und tödlich verletzt. Hinterbliebene klagen gegen Halter/VR Pkw II.

    Volle Haftung der Bekl., keine Anspruchskürzung wg. Mitverschuldens, auch nicht wg. Betriebsgefahr des liegengebliebenen Pkw. Getöteter war nur Beifahrer, keine Führereigenschaft durch bloßes Schieben. § 8 Nr. 2 StVG von vornherein unanwendbar.

    OLG Düsseldorf 20.8.07, I-1 U 31/07,

    Abruf-Nr. 131210

    Absicherung der Unfallstelle und Sorgfaltspflicht des Nachfolgenden: 

    Pkw I prallt gegen Mittelleitplanke und kommt auf Überholspur zum Stehen. Warnblinklicht eingeschaltet, aber Ausfall, kein Warndreieck, als Pkw II, gleichfalls zu schnell, mit Pkw I kollidiert. Am unbeteiligtem Pkw III war das Warnblinklicht eingeschaltet und für Fahrer Pkw II sichtbar.

    Haftungsverteilung 50 : 50:

     

    • unfallursächliches Verschulden auf beiden Seiten,
    • Ausführungen zu den Anforderungen an die Sicherung nach § 15 StVO, Verschulden insoweit verneint.

    OLG Düsseldorf 14.5.07, I-1 U 8/07, Abruf-Nr. 131211;

    ähnliche Fallgestaltung, aber mit Beifahrerin als Kl. (Fahrer Pkw II = Ehemann) LG Wiesbaden 17.3.11, 9 O 342/08, Abruf-Nr. 131212.

    Unfallortsicherung:

    Pkw I kollidiert auf Bundesstraße mit Pkw II und bleibt auf der linken der beiden Spuren liegen. Pkw III fährt bei Dunkelheit auf Pkw I auf (Warnblinklicht an, kein Warndreieck). Fahrerin Pkw III verlangt 75 Prozent Ersatz.

    Haftungsverteilung 60 : 40 gegen die Kl., die gegen das Sichtfahrgebot verstoßen hat, ferner gegen § 1 Abs. 2 StVO; auf Beklagtenseite kein Verschulden, weder an Vorunfall noch bzgl. Absicherung; Erhöhung der Betriebsgefahr durch Ort des Liegenbleibens.

    OLG Koblenz 2.7.07,

    12 U 258/06,

    Abruf-Nr. 072279

     

     

    Checkliste / Weitere Praxisfragen für die Fallbearbeitung

    Für die anwaltliche Praxis sind die folgenden Punkte gleichfalls wichtig:

     

    1. Haftungsprivileg für Pannenhelfer

    Verursacht ein Pannenhelfer einen Personenschaden und wird deshalb von demjenigen, dem er helfen wollte (hier: Starthilfe) in Anspruch genommen, kommt ihm die Haftungsprivilegierung des § 105 SGB VII zugute (OLG Düsseldorf 12.6.12, I-1 W 12/12, NZV 12, 581 m. Anm. Küppersbusch = r+s 12, 462 m. Anm. Lemcke). Zur Frage der Aussetzung des Verfahrens nach § 108 SGB VII siehe in gleicher Sache OLG Düsseldorf 12.5.11, I-1 W 10/11, r+s 12, 45 m. Anm. Lemcke.

     

    2. Ansprüche des Unfallhelfers

    Leistet jemand in Unglücksfällen Hilfe (Nothelfer), ist seine Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII versichert. Er hat Ansprüche gegenüber dem gesetzlichen Unfallversicherungsträger. Zivilrechtliche Ansprüche sind nicht nach § 104 SGB VII ausgeschlossen (BGH NJW 06, 1592). Anders kann es bei „einfacher“ Pannen- oder Bergungshilfe sein (OLG Jena NZV 04, 466). Zum Mitverschulden des Unfallhelfers BGH VA 11, 24; OLG München 9.6.11, 24 U 619/10, Abruf-Nr. 131208).

     

    3. Unfall mit Abschleppgespann

    Folgender Fall: Pkw I schleppt Pkw II mittels Stange ab, beim Abbiegen kollidiert Motorrad mit dem Heck des Pkw II, der seinerseits gegen Pkw I stößt. Der Eigentümer des Krades verlangt Ersatz seines Schadens von dem Fahrer Pkw I (= Halter beider Pkw), der Führerin des Pkw II und von dem VR, bei dem beide Pkw (!) haftpflichtversichert sind.

     

    Problematisch ist die Haftung der Führerin des abgeschleppten Pkw II nach § 18 StVG. Das LG Dessau-Roßlau verneint ein Verschulden, sieht also den Entlastungsbeweis als geführt an. Die Haftung der übrigen Bekl. wird im Umfang von 70 Prozent bejaht (1.6.12, 2 O 289/10, Abruf-Nr. 131213). Zur Sorgfaltspflicht des Führers des ziehenden Fahrzeugs beim Verlassen der Autobahn s. OLG Hamm NZV 12, 73 (aus zwei Lkw bestehendes Abschleppgespann).

     

    4. Beschädigung beim Abschleppen

    Wird das abgeschleppte Fahrzeug beschädigt, sind die beiderseitigen Betriebsgefahren gegeneinander abzuwägen. Jedenfalls ein mit Seil oder Stange abgeschlepptes Fahrzeug, das gelenkt werden muss, stellt eine von dem abschleppenden Fahrzeug gesonderte, eigenständige Gefahrenquelle dar. Hier besteht eine eigenständige Haftung nach § 7 StVG und Mithaftung nach § 17 StVG (OLG Celle 14.11.12, 14 U 70/12, Abruf-Nr. 123544). Die StVG-Haftung greift auch bei einer Beschädigung auf Privatgelände ein (OLG Celle a.a.O. - 2 Lkw). Zwei weitere Probleme:

     

    • stillschweigender Haftungsausschluss
      • für Fehler des Schleppers,
      • für Fehler des Geschleppten?
    • Mitverschulden und Sorgfaltsmaßstab.

     

    Wenn, wie meist, für beide Fahrzeuge KH-Schutz besteht, dürfte ein stillschweigender Haftungsausschluss schon daran scheitern. Kaskoschutz entfällt für beide Seiten (A 2.3.2).

     

    5. Welche Ansprüche hat ein Kfz-Eigentümer gegen ein von der Polizei beauftragtes Abschleppunternehmen? Fall: Der Volvo V 70 hatte einen Absperrpfosten umgefahren und saß fest. Das von der Polizei beauftragte Abschleppunternehmen machte den Wagen wieder flott - angeblich unter weiterer Beschädigung (Ölwanne kaputt). Zu den einzelnen Anspruchsgrundlagen s. OLG Saarbrücken NJW-RR 07, 681: kein vertraglicher Anspruch, kein deliktischer Anspruch wg. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, aber Anspruch aus § 7 StVG möglich (hier verneint, weil Abschleppwagen beim Bergen als „Arbeitsmaschine“, nicht als Transportmittel eingesetzt wurde).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zum Ersatz von Abschleppkosten im Haftpflichtschadensfall siehe den Schwerpunktbeitrag VA 12, 61.
    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 79 | ID 39036910