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  • 01.03.2005 | Pflichtversicherungsgesetz

    21 wichtige Fragen zu § 6 PflVersG

    von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm

    Nach § 6 PflVersG macht sich strafbar, wer auf öffentlichen Wegen oder Plätzen ein Fahrzeug gebraucht oder den Gebrauch gestattet, obwohl für das Fahrzeug der nach § 1 PflVersG erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht mehr besteht. Das ist in der Praxis häufig der Fall, wenn der Versicherungsnehmer seine Kfz-Haftpflichtprämie nicht oder nicht vollständig bezahlt hat und deshalb das Fahrzeug von der Zulassungsstelle gem. § 29d StVZO still gelegt wird. Wenn der Versicherungsnehmer dann dennoch fährt, kann ein Verstoß gegen § 6 PflVersG vorliegen. Wir zeigen Ihnen, worauf Sie in diesen Fällen als Verteidiger achten müssen.  

     

    Checkliste

    Frage  

    Antwort  

    1. Für welche Tatobjekte gilt § 6 Abs. 1 PflVersG?  

    Erfasst werden „Fahrzeuge“. Unter diesen Begriff fallen Kraftfahrzeuge und Anhänger.  

    2. Was ist ein Kfz i.S. des § 6 Abs. 1 PflVersG?  

    Die Bestimmung des Begriffs „Kraftfahrzeug“ folgt aus § 1 Abs. 2 StVGbzw. aus § 4 Abs. 1 S. 1 StVZO (BGHSt 16, 246). Danach ist Kraftfahrzeug jedes Landfahrzeug, das durch Maschinenkraft bewegt werden kann, ohne an Bahngleise gebunden zu sein (zum Begriff s. auch BayObLG DAR 00, 532 = NZV 00, 509 m.w.N.).  

    3. Reicht jedes Kfz als taugliches Tatobjekt?  

    Nein. Von § 6 Abs. 1 PflVersG werden nur Fahrzeuge erfasst, für die auch eine Versicherungspflicht besteht. Die Versicherungspflicht stimmt im Wesentlichen mit der Zulassungspflicht nach § 18 StVZO überein. Jedoch sind auch die nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 StVZO zulassungsfreien Kfz mit Ausnahme der in § 2 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a, b PflVersG genannten versicherungspflichtig (zur Zulassungspflicht einer selbstfahrenden Arbeitsmaschine vgl. OLG Koblenz VRS 105, 6).  

    4. Was sind Anhänger?  

    Anhänger sind hinter Kfz mitgeführte Fahrzeuge, auf Bauart und Bestimmung des Anhängers kommt es nicht an (OLG Bremen NJW 63, 726). Der Begriff ist wie in §§ 18 Abs. 1 S. 1, 32a, 33 StVZO auszulegen.  

    5. Zählen auch abgeschleppte betriebsunfähige Fahrzeuge zu den Anhängern?  

    Nein. Abgeschleppte betriebsunfähige Fahrzeuge sind keine Anhänger, aber auch keine zulassungspflichtigen Kfz (OLG Düsseldorf VM 77, 94). Es besteht daher keine Versicherungspflicht (OLG Düsseldorf, VRS 59, 58; OLG Frankfurt, VRS 58, 147). Voraussetzung für die Versicherungsfreiheit ist jedoch, dass das Fahrzeug nur abgeschleppt wird. Darunter fällt nur die Notbehelfsnahme, die durch das Betriebsunfähigwerden des Fahrzeugs im Verkehr oder i.V.m. dem Verkehr erforderlich wird (Erbs/Kohlhaas, PflVersG, § 1 Rn. 9 m.w.N.). Für die Versicherungspflicht ist es gleichgültig, ob das Fahrzeug von der Stelle, an der es betriebsunfähig geworden ist, oder von einer anderen abgeschleppt wird. Gleichgültig ist auch, wohin es geschleppt wird.  

     

    Praxishinweis: Dem Abschleppen steht das Anschleppen zum Zweck der Ingangsetzung gleich (OLG Düsseldorf, VRS 54, 369, Greuel DAR 80, 332, a.A. OLG Frankfurt, VRS 58, 147).  

    6. Wo muss das Fahrzeug gebraucht worden sein?  

    Die Tat muss auf „öffentlichen Wegen oder Plätzen“ begangen werden. Für die Bestimmung dieses Begriffs gilt dasselbe wie für § 1 Abs. 1 S. 1 StVG. Das Gebrauchen auf öffentlichen Wegen oder Plätzen i.S.d. § 6 Abs. 1 PflVersG richtet sich also nach der allg. Definition des öffentlichen Straßenverkehrsraums.  

     

    Praxishinweis. Nach st. Rspr. ist ein Verkehrsraum öffentlich, wenn er ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird Dabei nimmt es der Verkehrsfläche nicht den Charakter der Öffentlichkeit, wenn für die Zufahrt mit Fahrzeugen eine Parkerlaubnis oder für die Nutzung ein Entgelt verlangt wird (BGH NJW 04, 1965; DAR 04, 529). Entscheidend sind die äußeren Gegebenheiten. Ihnen kommt maßgebliche Bedeutung zu (BGH, a.a.O.).  

    7. Welche weiteren Tatbestandsvoraus- setzungen ergeben sich aus § 6 PflVersG?  

    § 6 PflVersG setzt voraus, dass ein nach § 1 PflVersG erforderlicher Haftpflichtversicherungsvertrag mit den Erfordernissen nach §§ 1 ff., insbesondere also § 4 PflVersG (Deckungsumfang) und § 5 PflVersG (inländisches Haftpflichtversicherungsunternehmen) nicht oder nicht mehr besteht. Strafbarkeitsvoraussetzung ist, dass ein Versicherungsvertrag gar nicht abgeschlossen oder aber durch Kündigung, Rücktritt (gem. §§ 16 ff. VVG), Anfechtung (§ 22 VVG) oder in anderer Weise aufgelöst worden ist.  

    8. Welche Auswirkungen hat eine vorläufige Deckungszusage?  

    Die vorläufige Deckung nach § 1 Abs. 2 AKB steht dem Versicherungsvertrag gleich. Wenn diese rückwirkend entfällt, begründet das allerdings nicht die Strafbarkeit nach § 6 PflVersG (BGH NStZ 85, 415).  

    9. Ist die Nachhaftung der Versicherung nach § 3 Nr. 5 PflVersG für die Strafbarkeit von Bedeutung?  

    Nein. Für die Strafbarkeit ist es nicht von Bedeutung, dass die Haftung des Versicherers erst einen Monat nach der Anzeige des Nichtbestehens des Versicherungsverhältnisses gegenüber der zuständigen Stelle endet (BGHSt 32, 152; 33, 172).  

    10. Führt eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers (§ 6 Abs. 1 VVG) zum Verlust des Versicherungsschutzes?  

    Nein, wenn ein Versicherungsvertrag besteht, hat eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers nicht den Verlust des Versicherungsschutzes gegenüber einem geschädigten Dritten zur Folge. Sie ist also strafrechtlich ohne Bedeutung (vgl. OLG Schleswig NZV 03, 184 = VersR 03, 637 für Trunkenheit im Verkehr und Fahren ohne Fahrerlaubnis).  

    11. Welche Folgen habe technische Veränderungen?  

    Wenn nur technische Veränderungen am Fahrzeug vorgenommen werden, hat das keine Auswirkungen auf die Versicherungspflicht (OLG Bremen VRS 63, 395). Technische Veränderungen an einem Mofa zwecks Erzielung einer höheren Geschwindigkeit bewirken lediglich eine Gefahrerhöhung (§ 23 VVG) mit der Rechtsfolge eines Kündigungsrechts des Versicherers (§ 24 VVG).  

     

    Praxishinweis: Das in der Praxis häufige „Frisieren” des Fahrzeuges führt daher nicht zu einem Verstoß gegen § 6 PflVersG (OLG Köln VRS 106, 218 = DAR 04, 283).  

    12. Kann der Versicherungsnehmer die Strafbarkeit rückwirkend beseitigen?  

    Eine rückwirkende Beseitigung der Strafbarkeit kann der Versicherungsnehmer nicht dadurch erreichen, dass er die Prämienzahlung innerhalb eines Monats nachholt und dadurch den Versicherungsvertrag nach § 39 Abs. 3 S. 3 VVG wiederaufleben lässt (BGH NStZ 84, 123; BGHSt 32, 152; 33, 172, 176).  

    13. Wie ist der Begriff des „Gebrauchens“ zu verstehen?  

    Das Gebrauchen und Gestatten des Gebrauchs ist nicht auf das Führen und den Betrieb des Kfz beschränkt, da nach dem Schutzzweck des § 6 PflVersG sämtliche Schadensrisiken eines Kfz abgedeckt werden sollen. Das Gebrauchen umfasst daher sämtliches bestimmungsgemäßes Benutzen eines Fahrzeugs zum Zwecke der Fortbewegung (BGHSt 11, 47).  

    14. Kann der Mitfahrer auch Täter sein?  

    Nein, ein Mitfahrer kann allenfalls Gehilfe oder Anstifter sein.  

    15. Deckt sich der Begriff des Gebrauchens i.S. des § 6 PflVersG mit dem des Führens in § 21 StVG?  

    Nein, nach dem Schutzzweck der Norm geht das Gebrauchen nach § 6 PflVersG weiter als das Führen in § 21 StVG (vgl. dazu Burhoff VA 04, 122). Es setzt somit nicht voraus, dass die bestimmungsgemäßen Antriebskräfte fortgesetzt zum Zwecke der Fortbewegung einwirken.  

     

    Praxishinweis: Gebrauchen i.S.d. § 6 PflVersG ist  

    • das Fortbewegen eines Kfz durch Betätigen des Anlassers (BayObLG DAR 81, 241 bei Rüth),
    • der Gebrauch eines Mopeds auf einer Gefällestrecke durch Ausnutzen der Schwerkraft (BayObLG VRS 67, 373),
    • der Gebrauch eines Mopeds durch Treten (KG VRS 45, 475),
    • nicht das Abstoßen eines Mofa 25 mit den Füßen vom Boden (OLG Düsseldorf VRS 62, 193) und
    • nicht das Ziehen eines Fahrzeugs durch Menschen oder Tiere (KG VRS 67, 154).

    16. Wie ist der Begriff des „Gestatten des Gebrauchs“ zu verstehen?  

    Dieser Begriff stimmt mit dem Tatbestand des vorsätzlichen Anordnens oder Zulassens des § 21 StVG überein (vgl. dazu Burhoff VA 04, 177). Für § 6 PflVersG wird jedoch darüber hinaus für das Gestatten grds. eine zumindest konkludente Willenserklärung des Täters, dessen Sachherrschaft am Fahrzeug derjenigen des Kfz-Führers, nicht notwendig des Halters, übergeordnet ist, verlangt (BGH NJW 74, 1086).  

     

    Praxishinweis: Maßstab ist, ob sich der Fahrer, wenn er ohne oder gegen den Willen dieser Person das Fahrzeug gebraucht, sich ihr gegenüber rechtswidrig verhält, da dann i.S.d. § 6 PflVersG kein Gestatten vorliegt. Ein bloßes Ermöglichen des Gebrauchs ist also nicht tatbestandsmäßig (OLG Stuttgart VRS 19, 213).  

    17. Gelten für die Übergabe eines Fahrzeugs vom Verkäufer an den Käufer Besonderheiten?  

    Nein. In der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer liegt kein Gestatten des Gebrauchs (BGH NJW 74, 1086; NJW 79, 2309).  

     

    Praxishinweis: Die Aushändigung eines nicht versicherten Fahrzeugs durch den Verkäufer an den Käufer kann aber Beihilfe zu einem Verstoß gegen § 6 PflVersG sein (OLG München VRS 57, 328). Entsprechendes gilt, wenn der Händler die alten Nummernschilder an dem Kfz belässt (BGH NJW 74, 1087).  

    18. Worauf ist bei sog. roten Kennzeichen zu achten?  

    Eine wirksame Zulassung des Kfz wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Empfänger des roten Kennzeichens dieses einem Dritten zum Gebrauch überlässt. Weder braucht der Empfänger des roten Kennzeichens Eigentümer des Kfz zu sein, an dem das Kennzeichen angebracht wird, noch ist es notwendig, dass die Fahrt demjenigen wirtschaftlich zugute kommt, dem das Kennzeichen zugeteilt worden ist (BayObLG DAR 03, 81 = NZV 03, 147).  

     

    Praxishinweis: Ein Kfz mit roten Kennzeichen ist auch dann i.S.d. Sonderbedingung zur Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung für Kfz-Handel und -Handwerk „versehen”, wenn die Kennzeichen im Fahrzeuginnern so angebracht sind, dass sie von Außen abgelesen werden können. Ein Verstoß gegen § 6 PflVersG scheidet bei ordnungsgemäß ausgegebenen roten Kennzeichen in einem derartigen Fall aus (BayObLG DAR 03, 81 = NZV 03, 147).  

    19. Wann liegt ein vorsätz- licher Verstoß gegen § 6 PflVersG vor?  

    Der Täter muss positiv wissen, dass das Kfz nicht versichert ist, obwohl es der Versicherungspflicht unterliegt: Bedingter Vorsatz, z.B. bei Diebstahl oder bei Nichtzahlung der Folgeprämie + Be-ginn einer längeren Reise, reicht aus (OLG Frankfurt VRS 35, 396).  

     

    Praxishinweis: Der Irrtum über das Nicht- oder Nichtbestehen des Haftpflichtversicherungsvertrages ist Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt, die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tatbegehung nach § 16 Abs. 1 StGB aber unberührt lässt.  

    20. Kann § 6 PflVersG auch fahrlässig begangen werden?  

    Ja. Die Fahrlässigkeit kann darin liegen, dass der Täter den Versicherungsvertrag für wirksam bestehend hält oder nicht an die Notwendigkeit des Versicherungsschutzes denkt oder diese in Erwägung zieht, aber verneint. Grundsätzlich kann der Versicherungsnehmer jedoch solange auf die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages vertrauen, bis ihm ein Kündigungsschreiben des Versicherers zugeht (BayObLG DAR 1982, 252 bei Rüth).  

    21. Worauf muss bei der Prüfung des Urteils, durch das der Mandant wegen eines Verstoßes gegen § 6 PflVersG verurteilt wird, geachtet werden?  

    Bei einer Verurteilung wegen (fahrlässigen) Fahrens ohne Haftpflichtversicherungsschutz muss das Urteil im Falle der Auflösung des Versicherungsvertrages die Tatsachen feststellen, aus denen sich die Wirksamkeit der Vertragsauflösung ergibt. Insoweit sind auch Feststellungen dazu erforderlich, dass sowohl die Mahnung nach § 39 Abs. 1 VVG als auch die Kündigung nach § 39 Abs. 3 VVG dem Versicherungsnehmer zugegangen ist (KG VRS 102, 128 = NZV 02, 200).  

     

    Praxishinweis: Verteidigungstaktisch erhebliche Bedeutung hat also die Frage, ob der Haftpflichtversicherungsschutz zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich erloschen war. Zivilrechtlich muss der Versicherer sowohl den Zugang als auch die Absendung eines Kündigungsschreibens beweisen (BGH VersR 81, 921). Im Strafverfahren kann der Nachweis des Zugangs des Mahn- und des Kündigungsschreibens nur durch positive Beweisanzeichen festgestellt werden. Hierfür reicht allein der Nachweis der Aufgabe zur Post aber nicht aus (OLG Köln VRS 73, 153; KG VRS 102, 128 = NZV 02, 200). Auch die Grundsätze des Anscheinsbeweises greifen insoweit nicht ein. Ist daher nicht auszuschließen, dass zumindest eines der Schreiben auf dem Postweg verloren gegangen sein könnte, ist nicht nachgewiesen, dass der Versicherungsvertrag durch Kündigung aufgelöst worden ist (KG, a.a.O.) .Der Tatrichter darf auch allein aus der Mitteilung der Kfz-Zulassungsstelle, dass der nach § 1 PflVersG erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag zur Tatzeit nicht mehr bestand, nicht ohne weiteres auf die Rechtswirksamkeit der mitgeteilten Vertragsauflösung schließen und eine Strafbarkeit gemäß § 6 PflVersG annehmen (KG 5.6.00, (3) 1 Ss 5/00 (31/00), n.v., Abruf-Nr. 050344).  

     

    Quelle: Ausgabe 03 / 2005 | Seite 53 | ID 90761