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  • 01.07.2007 | Haftpflichtprozess

    Aktuelle Fragen des Sachverständigenbeweises: Teil 2: Unfallfolgen

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    In VA 07, 101 ff., ging es um Fragen des Sachverständigenbeweises im Zusammenhang mit der Unfallrekonstruktion. Nicht weniger wichtig ist der Sachverständigenbeweis zur Aufklärung des Schadenumfangs:  

     

    I. Der Fahrzeugschaden

    1. Recht auf Privatgutachten 

    Dass ein Geschädigter einen qualifizierten Sachverständigen seiner Wahl zur Ermittlung des Fahrzeugschadens einschalten darf, ist im Grundsatz unumstritten. Die Kosten gehören zu dem nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung – Instandsetzung oder Ersatzbeschaffung – erforderlich und zweckmäßig ist (st. Rspr., BGH NJW 07, 1450).  

     

    Bagatellschadensgrenze: Für die Frage, ob die Sachverständigenkosten zu erstatten sind, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht (BGH NJW 05, 356). Der später ermittelte Schadensumfang kann aber bei der Erforderlichkeitsprüfung nach § 249 Abs. 2 BGB (Beweislast beim Geschädigten) indizielle Bedeutung haben (BGH NJW 05, 356). Nach h.M. liegt die Grenze derzeit bei ca. 750 EUR.  

     

    Höhe der Sachverständigenkosten: Eine Pflicht des Geschädigten, auf dem ihm zugänglichen Markt einen möglichst günstigen Sachverständigen ausfindig zu machen, besteht grundsätzlich nicht (BGH NJW 07, 1450). Dass der Sachverständige sein Honorar, wie üblich, in Relation zur Schadenshöhe und nicht nach seinem Zeitaufwand berechnet hat, geht i.d.R. nicht zu Lasten des Geschädigten (BGH NJW 07, 1450). Kein Vertrauensschutz bei erkennbarer Überteuerung und im Fall eines Auswahlverschuldens (LG Saarbrücken DAR 07, 270).  

     

    2. Gerichtsgutachten 

    a) Schadenkompatibilität: Ist die Kollision als solche unstreitig oder bewiesen, geht der Streit oft darum, ob sämtliche geltend gemachten Beschädigungen unfallbedingt („kompatibel“) sind. Die Beweisführungslast trägt der Geschädigte (Beweismaß § 287 ZPO). Bei strittiger Kollision gilt für die behauptete Berührung als solche („Primärbeschädigung“) der Strengbeweis nach § 286 ZPO. Standardbeweismittel ist das Sachverständigengutachten.

     

    Einwendungen gegen das erstinstanzliche Gerichtsgutachten können auch noch in zweiter Instanz durch erstmalige Vorlage eines Privatgutachtens untermauert werden, ohne dass dies ein Fall der Nachlässigkeit i.S.d. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ist (BGH NJW 06, 152). Mitunter ist der auf das Privatgutachten gestützte Vortrag nicht einmal neu, sondern nur eine weitere Konkretisierung von Altvorbringen (vgl. BGH NJW 06, 152).

     

    Sofern der Gerichtsgutachter zum Ergebnis kommt, dass die Beschädigungen nicht oder nur teilweise kompatibel sind, ist die Begründung dafür sorgfältig zu prüfen und mit dem Mandanten zu erörtern. Mögliche Angriffspunkte: keine Gegenüberstellung, Zuladung nicht untersucht, Fahrzeugveränderungen wie Tieferlegung außer acht gelassen. Zur Notwendigkeit einer Gegenüberstellung der Fahrzeuge und zu den Folgen eines Unterbleibens, auch mit Blick auf die Haftung des Sachverständigen nach § 839 a BGB, siehe KG 10.1.07, 12 W 61/06, Abruf-Nr. 071944. Zu den (begrenzten) Möglichkeiten, einen Sachverständigen mit Hilfe einer Streitverkündung oder der Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens „herauszuschießen“, siehe BGH NJW 06, 3214, und BGH zfs 07, 24. Zu weiteren Fragen der Vorschadenproblematik siehe VA 06, 411 ff., und aktuell OLG Frankfurt 21.9.06, 16 U 75/06, Abruf-Nr. 063490 = OLGR 07, 272

     

    b) Reparaturkostenkalkulation: Zumal bei fiktiver Abrechnung sind Kostenkalkulationen von Sachverständigen nicht selten Gegenstand gerichtlicher Kontrolle. Auslöser sind substantiierte Einwände des Schädigers/Versicherers i.S.v. BGH NJW 89, 3009. Sie können den Reparaturweg, aber auch die Kalkulation und deren Grundlagen betreffen, etwa die Höhe des Stundenverrechnungssatzes, UPE-Aufschläge und Verbringungskosten. Wie man sich gegen derartige Kürzungen zur Wehr setzen kann, wird in der August-Ausgabe näher dargestellt.

     

    c) Merkantiler Minderwert: Den merkantilen Minderwert durch einen Sachverständigen schätzen zu lassen, ist allemal sehr viel besser als eine Berechnung nach irgendeiner allgemeinen Methode (LG Frankfurt/M. zfs 07, 266). Im Streitfall führt in der Tat kein Weg an der Einholung eines Gutachtens vorbei. Welche Kriterien der Sachverständige zu beachten hat, ist in den Leitsätzen des Instituts für das Sachverständigenwesen (IfS), 2. Aufl., 2006, unter Punkt 8 erläutert. Bei einem älteren Kfz mit hoher Laufleistung kann der Richter ausnahmsweise ohne gutachterliche Hilfe einen merkantilen Minderwert verneinen (vgl. BGH NJW 05, 277).

     

    d) 130 %-Fälle: Der Integritätszuschlag von bis zu 30 % hängt bekanntlich vom Nachweis einer fachgerechten und vollständigen Instandsetzung ab (BGH NJW 05, 1108). Vollständig bedeutet: Reparatur in einem Umfang, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (BGH NJW 05, 1108). Gemessen an diesen strengen BGH-Vorgaben bleiben die meisten Eigenreparaturen (do it yourself) ohne das erforderliche Prädikat. Da hilft auch keine Reparaturbestätigung des Privatgutachters, zumal sie oftmals nur auf einer Sichtprüfung beruht. Ob die Kosten einer Reparaturbestätigung bzw. eines Nachbesichtigungsgutachtens erstattungsfähig sind, ist strittig (bejahend AG Aachen NZV 06, 45). Ist der Unfallwagen inzwischen veräußert, lehnen manche Gerichte die Einholung eines Gutachtens ab (so AG Darmstadt 5.10.06, 304 C 513/05, Abruf-Nr. 071945 , rkr.). Bei beabsichtigter Veräußerung ist die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens ratsam. Die nötige Qualität der Instandsetzung kann auch mit Hilfe von (sachverständigen) Zeugen nachgewiesen werden.

     

    Bei unstreitiger Teilreparatur ebenso wie in Fällen nicht nachgewiesener Vollreparatur wird der Geschädigte nicht in jedem 130 %-Fall auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert ./. Restwert) zurückgeworfen. Die mögliche Zwischenlösung (siehe OLG Düsseldorf VA 06, 55, Abruf-Nr. 060779; Greiner, zfs 06, 63, 67) ist nach wie vor bei Anwälten und Gerichten weitgehend unbekannt. Nach welchen Kriterien die Werthaltigkeit einer in Eigenleistung durchgeführten (Teil)Reparatur einzuschätzen ist (Stichwort „Pfuscherabschlag“), ist eine offene Frage.

     

    e) Abrechnung auf Neuwagen-Basis: Ohne erhebliche Beschädigung besteht beim „unechten Totalschaden“ kein Anspruch auf Finanzierung eines Neufahrzeugs. Zwar stellt der BGH nicht auf die Schwere der Beschädigungen ab, auch nicht auf die Höhe der Reparaturkosten. Ihm kommt es auf den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit an. Um das beurteilen zu können, ist der Richter in Grenzfällen auf sachverständige Beratung angewiesen. Zu den Aufgaben des Sachverständigen in einem solchen Fall siehe LG Kiel 14.12.06, 5 O 232/05, Abruf-Nr. 071946 (Prozess nach § 839a BGB).

     

    f) Wiederbeschaffungswert: Die traditionelle Definition des Wiederbeschaffungswertes (WBW) ist mit Rücksicht auf die gewandelten Verhältnisse auf dem „seriösen“ Gebrauchtwagenmarkt nur noch bedingt tauglich. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten scheinen die Sachverständigen das MwSt-Problem jetzt im Griff zu haben. Nach dem IfS-Grundsatz 9.1.3 ist zu erläutern, ob und in welcher Höhe MwSt im ermittelten Fahrzeugwert enthalten ist. Mit Blick auf ältere Fahrzeuge heißt es ergänzend, dass bei einer Beschränkung auf den Privatmarkt der WBW steuerneutral anzugeben sei. Hier wie bei der Alternative regelbesteuert/differenzbesteuert orientieren sich die Gerichte in Fällen ohne konkrete Ersatzbeschaffung an dem – gutachterlich zu klärenden – Kriterium der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGH NJW 06, 2181; KG 4.12.06, 12 U 206/05, Abruf-Nr. 071967 – 8 Jahre alter Audi A 4 überwiegend Privatmarkt).

     

    In die Zuständigkeit des Kfz-Sachverständigen fallen naturgemäß auch die vielfältigen Spezialprobleme, die sich bei Sonderfahrzeugen stellen (z.B. Oldtimer, Youngtimer, Taxis etc.). Die Weiterverwendbarkeit nicht beschädigter Extras (Radio, Navi, Telefon, Hardtop u.a.) im anzuschaffenden Ersatzfahrzeug und die dabei anfallenden Umbaukosten sind gleichfalls Sachverständigenthemen.

     

    g) Restwert: Auf dem Boden der BGH-Rspr. begeht der Sachverständige keinen Fehler, wenn er sich bei der Ermittlung des Restwerts auf den „allgemeinen Markt“ beschränkt, den „Sondermarkt“ der Restwertehändler und Verwertungsbetriebe also unbeachtet lässt (BGH NJW 05, 3134; OLG Celle VA 06, 150, Abruf-Nr. 062361). Den Versicherungen bleibt der Einwand, der vom Sachverständigen ermittelte Restwert bzw. der deckungsgleiche Veräußerungserlös sei nach den Gegebenheiten auf dem allgemeinen regionalen Markt erheblich zu niedrig. Diesem Einwand muss das Gericht durch Einholung eines Gutachtens nachgehen.
     

     

    II. Sachfolgeschäden, insbesondere Mietwagenkosten
    1. Ausfallzeit: Die Uhr läuft grundsätzlich vom Moment des Unfalls an bis zur Wiedererlangung von Mobilität durch Reparatur oder Ersatzbeschaffung. Bei (fiktiver) Abrechnung eines Reparaturschadens ohne Werkstattrechnung wird häufig eine Reparaturbestätigung eines Sachverständigen vorgelegt, um die Tatsache der Reparatur bzw. deren Dauer nachzuweisen. Ob die Kosten einer solchen Bestätigung ersatzfähig sind, ist ungeklärt (bejahend AG Rüdesheim NZV 07, 245). Bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis hat die Zeitprognose des Schadengutachters Vorrang vor der (längeren) konkreten Ausfallzeit (BGH NJW 03, 3480).

     

    2. Höhe der Mietwagenkosten: In der ersten Phase nach den Grundsatzentscheidungen des BGH zum „Unfallersatztarif“ (Oktober 2004) haben zahlreiche Gerichte versucht, die betriebswirtschaftliche Rechtfertigung dieses Tarifs durch Sachverständige klären zu lassen. Das war mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und zudem oft extrem teuer. Nicht zuletzt aus diesen Gründen zogen die Instanzrichter eine Lösung auf der Stufe 2 der Erforderlichkeitsprüfung (Zugänglichkeit eines „Normaltarifs“) vor. Hier sah und sieht man sich beratungsunabhängig, mitunter verkennend, dass auch auf dieser Ebene gutachterliche Hilfe nötig sein kann. Soweit es auf die Usancen auf dem regionalen Mietwagenmarkt ankommt, geht es nicht um Zeugen-, sondern um Sachverständigenbeweis (BGH VA 07, 115, Abruf-Nr. 071679).

     

    Auf der Stufe 1 (betriebswirtschaftliche Rechtfertigung) hat sich die Aufklärung mittlerweile verlagert auf die Höhe des prozentualen Aufschlags auf den Normaltarif (vgl. Wenning, NZV 07, 173) und auf die Frage der Brauchbarkeit des SCHWACKE-Preisspiegels 2006 als Plattform für den Aufschlag. Mit Hilfe eines Privatgutachtens (Prof. Klein) versuchen die Versicherer – wohl vergeblich – die Ungeeignetheit der SCHWACKE-Liste nachzuweisen.