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  • · Fachbeitrag · Mischmietverhältnis

    Bestreiten des Lebensunterhalts lässt nicht auf gewerblichen Nutzungsschwerpunkt schließen

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. Ein einheitliches Mietverhältnis über Wohnräume und Geschäftsräume ist zwingend entweder als Wohnraummietverhältnis oder als Mietverhältnis über andere Räume zu bewerten. Für die rechtliche Einordnung ist entscheidend, welche Nutzungsart nach den getroffenen Vereinbarungen überwiegt. Dabei ist maßgebend auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei der Tatrichter beim Fehlen ausdrücklicher Abreden auf Indizien zurückgreifen kann.
    • 2. Der Umstand, dass die Vermietung nicht nur zu Wohnzwecken, sondern auch zur Ausübung einer gewerblichen/freiberuflichen Tätigkeit vorgenommen wird, durch die der Mieter seinen Lebensunterhalt bestreitet, lässt keine tragfähigen Rückschlüsse auf einen im Bereich der Geschäftsraummiete liegenden Vertragsschwerpunkt zu.
    • 3. Lässt sich bei der gebotenen Einzelfallprüfung ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen, ist im Hinblick auf das Schutz-bedürfnis des Mieters von der Geltung der Vorschriften der Wohnraum-miete auszugehen.

    (BGH 9.7.14, VIII ZR 376/13, Abruf-Nr. 142468)

     

    Sachverhalt

    Die Beklagten sind Mieter eines mehrstöckigen Hauses der Kläger mit einer Fläche von etwa 270 m2. Das Haus nutzen sie zu Wohnzwecken und die Räume im Erdgeschoss gemäß § 19 des Mietvertrags mit ausdrücklicher Gestattung der Kläger zum Betrieb einer Hypnosepraxis. Der Mietvertrag wurde am 20.11.06 unter Verwendung eines auf ein Wohnraummietverhältnis zugeschnittenen Vertragsformulars des R-Verlags (Nr. 545) mit der Überschrift „Vertrag für die Vermietung eines Hauses“ geschlossen. Das Mietverhältnis läuft auf unbestimmte Zeit. Die „Nettokaltmiete“ beträgt 1.750 EUR mtl. Eine erste noch auf Eigenbedarf gestützte Kündigung haben sie nicht weiter verfolgt. Mit Anwaltschreiben vom 20.2.12 erklärten die Kläger erneut die Kündigung des Mietverhältnisses zum 30.9.12. Die unter Berufung auf ein Gewerberaummietverhältnis in erster Instanz als unzulässig (§ 23 Nr. 2a GVG) abgewiesene Räumungsklage hat in der Berufung Erfolg (KG GE 13, 1203). Auf den Hilfsantrag der Kläger verweist der BGH den Rechtsstreit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO - unter Aufhebung des rechtsfehlerfrei ergangenen Urteils des LG - an das sachlich und örtlich zuständige AG.

    Entscheidungsgründe

    Das Mischmietverhältnis ist in rechtlicher Hinsicht einheitlich zu beurteilen und zwingend entweder als „Wohnraummietverhältnis“ oder als „Mietverhältnis über sonstige Räume“ einzustufen. Grund: Es fehlen gesetzliche Son-dervorschriften für Mischmietverhältnisse und für Mietverträge über Wohnräume gelten für die teilweise andere gesetzliche Regeln als für die Anmietung von Geschäftsräumen oder von sonstigen Räumen. Dies gilt nicht nur für die materielle Rechtslage (vgl. § 549 BGB einerseits und § 578 Abs. 2 BGB andererseits), sondern auch für das Prozessrecht, denn die sachliche Zuständigkeit der Gerichte hängt davon ab, ob es sich um einen Rechtsstreit aus einem Wohnraummietverhältnis handelt oder nicht (vgl. § 23 Nr. 2a GVG einerseits und § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG andererseits).

     

    Merke | Für die rechtliche Einordnung eines Mischmietverhältnisses als Wohnraum- oder Gewerberaummietverhältnis ist entscheidend, welche Nutzungsart überwiegt (Nachweise Urteilsgründe Tz. 26).

     

    Auslegung der Vereinbarung der Parteien

    Welcher Vertragszweck bei Mischmietverhältnissen im Vordergrund steht, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln. Entscheidend ist der wahre, das Rechtsverhältnis prägende Vertragszweck, also die gemeinsamen und übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragsparteien darüber, wie das Mietobjekt genutzt werden soll und welche Art der Nutzung im Vordergrund steht. Ein hiervon abweichender, im Vertrag nur vorgetäuschter Vertragszweck ist unbeachtlich. Bei der Ermittlung des nach dem wirklichen Willen der Parteien vorherrschenden Vertragszwecks sind alle (auslegungsrelevanten) Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Für die Feststellung des nach den vertraglichen Absprachen gewollten Nutzungsschwerpunkts wird mangels ausdrücklicher Abreden häufig auf Indizien zurückzugreifen sein.

     

    Dabei lassen sich keine festen Regeln aufstellen. Insbesondere lässt der Umstand, dass die Vermietung nicht nur zu Wohnzwecken, sondern auch zur Ausübung einer gewerblichen/freiberuflichen Tätigkeit vorgenommen wird, durch die der Mieter seinen Lebensunterhalt bestreitet, keine tragfähigen Rückschlüsse auf einen im Bereich der Geschäftsraummiete liegenden Vertragsschwerpunkt zu.

     

    Beachten Sie | Der Senat hält an dem Abgrenzungskriterium „Bestreiten des Lebensunterhalts“ nicht mehr fest. Dieser Gesichtspunkt stellt kein sachgerechtes Unterscheidungskriterium dar.

     

    Kein automatischer Vorrang der Erwerbstätigkeit

    Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass bei einem Mischmietverhältnis die Schaffung einer Erwerbsgrundlage Vorrang vor der Wohnnutzung hat, besteht nicht. Grund: Dass das Wohnen als wesentlicher Aspekt des täglichen Lebens generell hinter der Erwerbstätigkeit des Mieters zurücktreten soll, lässt sich weder mit der Bedeutung der Wohnung als Ort der Verwirklichung privater Lebensvorstellungen noch mit dem Stellenwert, dem das Wohnen in der heutigen Gesellschaft zukommt, in Einklang bringen. Die Nutzung zu Wohnzwecken dient dazu, dem Mieter die Verwirklichung seiner privaten Lebensvorstellungen zu ermöglichen. Die Wohnung ist für jedermann regelmäßig der Mittelpunkt der privaten Existenz (BVerfG NJW 93, 2035). Der einzelne ist auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Sicherung seiner Freiheit und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen. Im Fall der Anmietung von Wohnraum erfüllt das Besitzrecht des Mieters Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukommen, und stellt daher eine privatrechtliche Position dar, die den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießt. Die Wohnung bildet letztlich die Stätte, die der Mieter im Allgemeinen benötigt, um die Kraft und Energie für die Ausübung seiner Berufstätigkeit gewinnen zu können (Bühler, a.a.O., S. 909).

     

    Es lässt sich damit nicht sagen, dass die gewerbliche/freiberufliche Nutzung bei Mischmietverhältnissen generell überwiegt. Umgekehrt lässt sich auch kein Erfahrungssatz aufstellen, dass die Wohnungsnutzung im Allgemeinen Vorrang vor der Nutzung zu gewerblichen/freiberuflichen Zwecken hat.

     

    Für die Ermittlung des nach dem Willen der Parteien vorherrschenden Vertragszwecks ist beim Fehlen ausdrücklicher Regelungen auf objektive (äußerliche) Umstände zurückzugreifen, sofern diese tragfähige Anhaltspunkte für den Parteiwillen bilden.

     

    Diese - nicht abschließenden - Indizien kommen je nach Fallgestaltung in Betracht:

     

    Checkliste / Indizien für den vorherrschenden Vertragszweck

    • Die Verwendung eines auf eine der beiden Nutzungsarten (Geschäftsraum- oder Wohnraummiete) zugeschnittenen Vertragsformulars (Nachweise Urteilsgründe Tz. 37).
    • Dabei können nicht nur der Inhalt der darin enthaltenen Regelungen oder unter Umständen die Bezeichnung des Mietverhältnisses in der Überschrift Bedeutung gewinnen, sondern auch der Aufbau der vertraglichen Regelungen (Wohnraumnutzung oder Gewerberaumnutzung) als Zusatz oder Anhang zu den übrigen Vertragsregelungen.

     

    • Das Verhältnis der für eine gewerbliche/freiberufliche Nutzung vorgesehenen Flächen und der für Wohnzwecke bestimmten Flächen (Nachweise Urteilsgründe Tz. 38). Entsprechendes gilt - falls die Miete für die verschiedenen Nutzungen gesondert ausgewiesen ist - für die Verteilung der Gesamtmiete auf die einzelnen Nutzungsanteile, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass für Gewerberäume regelmäßig eine höhere Miete entrichtet wird.

     

    • Auch die baulichen Gegebenheiten (Zuschnitt, Einrichtung etc.) können gegebenenfalls Rückschlüsse auf einen von den Parteien gewollten Vorrang einer Nutzungsart zulassen.

     

    • Ein Indiz für das Überwiegen eines Nutzungsanteils kann sich auch aus Umständen im Vorfeld des Vertragsschlusses (OLG München ZMR 95, 295, 296) oder aus einem nachträglichen Verhalten der Parteien - soweit dieses Rückschlüsse auf den übereinstimmenden Willen bei Vertragsschluss zulässt - ergeben.
     

    Praxishinweis

    Gemäß § 23 Nr. 2a GVG ist das AG ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes für alle Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Wohnraummietverhältnis oder über das Bestehen eines solchen Anspruchs ausschließlich sachlich zuständig. Bei Streitigkeiten, denen andere Mietverhältnisse zugrunde liegen, ist dagegen - je nach Höhe des Streitwerts - entweder das AG oder das LG sachlich zuständig (§ 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG). Streiten die Parteien - wie hier - bei Vorliegen eines Mischmietverhältnisses darüber, ob der Vertragsschwerpunkt auf der gewerblichen oder der Wohnraumnutzung liegt, ist für die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit - anders als für die Begründetheit der Klage - unerheblich, ob die für die Einordnung des Mietverhältnisses maßgebenden Tatsachen unstreitig oder bewiesen sind (sogenannte doppelrelevante Tatsache). Entscheidend ist nach BGH allein, ob sich die sachliche Zuständigkeit des Gerichts aus den zur Begründung des Anspruchs vom Kläger vorgebrachten Tatsachen ergibt.

     

    Beachten Sie | Auch für die im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nach § 23 Nr. 2a GVG vorzunehmende Einordnung eines Mischmietverhältnisses ist auf die für das materielle Recht entwickelten Abgrenzungskriterien abzustellen.

     

    Nachdem in der Vergangenheit viele Instanzgerichte „das Bestreiten des Lebensunterhalts“, gestützt auf die weite Formulierung des BGH in NJW-RR 86, 877 („im Allgemeinen“), als verallgemeinerungsfähigen Grundsatz auf-gefasst und demgemäß Sachverhalte schwerpunktmäßig dem gewerblichen Mietrecht zugeordnet haben, die ohne diesen Gesichtspunkt als überwiegende Wohnnutzung einzustufen gewesen wären, vollzieht der BGH einen Paradigmenwechsel und gibt seine frühere Rechtsprechung insoweit auf.

     

    Merke | Lässt sich - wie hier - bei der gebotenen Einzelfallprüfung anhand der Fülle der vom BGH zusammengefassten Kriterien ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen (also auch bei einer Gleichwertigkeit beider Nutzungen), ist als Folge dieser Rechtsprechungsänderung künftig von der Geltung der Vorschriften der Wohnraummiete auszugehen. Grund: Ansonsten würden die zum Schutz des Wohnraummieters bestehenden zwingenden Sonderregelungen, insbesondere die eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters (§§ 573, 569 BGB) und die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des AG (§ 23 Nr. 2a GVG), unterlaufen. Die Rechtspraxis wird sich hierauf einstellen müssen.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zur Räumungsvollstreckung bei Mischmietverhältnissen, OLG Oldenburg MK 14, 206, in dieser Ausgabe (folgender Beitrag)
    Quelle: Ausgabe 12 / 2014 | Seite 202 | ID 43056493