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  • · Fachbeitrag · MIETERHÖHUNG

    So muss der gerichtliche Sachverständige die ortsübliche Vergleichsmiete richtig ermitteln

    von RiAG Dr. Ulf Börstinghaus, Gelsenkirchen

    Berücksichtigt ein gerichtliches Sachverständigengutachten bei der Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete nur Wohnungen aus einer einzigen Siedlung und desselben Vermieters, so ist es unverwertbar (BGH 3.7.13, VIII ZR 267/12, Abruf-Nr. 132633).

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin verlangt in ca. 90 Verfahren die Zustimmung zu einer Mieterhöhung aus 2005. Der BGH hat am 3.7.13 in drei von acht Musterverfahren mündlich verhandelt und entschieden. Die Mietobjekte gehören zu einer zwischen 1910 bis 1924 errichteten „Zechensiedlung“. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre nahm die Klägerin bauliche Maßnahmen vor, deren Umfang zwischen den Parteien strittig ist. Die Klägerin hat die Wohnung in den Mietspiegel Ahlen in die Baualtersklasse 1981 bis 1990, mittlere Wohnlage eingeordnet und die Zustimmung zur Mieterhöhung verlangt. Diese haben die Mieter nicht erteilt. Das AG hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen, da die bisher bereits gezahlte Miete oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Das LG hat der Klage nach Einholung eines Gutachtens eines anderen Sachverständigen stattgegeben. Die zugelassene Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

    Entscheidungsgründe

    Kernpunkt der Entscheidung ist die Frage, wie die ortsübliche Vergleichsmiete durch einen Sachverständigen zu ermitteln ist.

     

    Die formellen Anforderungen an das Mieterhöhungsverlangen

    Nur bei formell ordnungsgemäßen Mieterhöhungsverlangen ist die Zustimmungsklage zulässig. Gemäß § 558a Abs. 1 BGB ist es dem Mieter in Textform zu erklären und zu begründen. Ihm sollen im Interesse einer außergerichtlichen Einigung die Tatsachen mitgeteilt werden, die er benötigt, um die Mieterhöhung zumindest ansatzweise auf ihre Berechtigung überprüfen zu können. Der BGH wiederholt hier seine Auffassung, wonach an den Inhalt des Verlangens keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen. Deshalb genügt die Angabe der nach Ansicht des Vermieters richtigen Kategorie des Mietspiegels. Die Richtigkeit der Einordnung ist eine materielle Frage.

     

    Im vorliegenden Fall gestattete der Mietspiegel Ahlen für durch Umbau neu geschaffene Wohnungen die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete entsprechend den Werten einer Neubauwohnung. Die Klägerin hatte hierzu im Mieterhöhungsverlangen geschrieben, dass „mittels eines wesentlichen Bauaufwands ein Zustand hergestellt wurde, der neuzeitlichen Wohnungsansprüchen gerecht wird (Vollmodernisierung)“. Ein solches Erhöhungsverlangen ist nach Ansicht des Senats formell wirksam. Die Tatsache, dass der Mietspiegel den Begriff der „Vollmodernisierung“ nicht gebraucht, ändert daran nichts. Die Beschreibung im Mieterhöhungsverlangen lässt mit ausreichender Deutlichkeit erkennen, dass eine Eingruppierung die Wohnung nach Auffassung der Klägerin in das Jahr der Baumaßnahmen statt des Jahrs der Errichtung gerechtfertigt ist. Ob die Arbeiten tatsächlich alle Modernisierungs- oder doch nur Instandsetzungsarbeiten gewesen sind, ist keine Frage der formellen Ordnungsgemäßheit, sondern eine Frage der materiellen Berechtigung.

     

    Die richtige Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete

    Dass beide Tatsacheninstanzen Gutachten eingeholt haben, wird vom BGH nicht beanstandet. Die Gerichte sind nicht auf die Begründungsmittel aus dem Mieterhöhungsverlangen beschränkt. Im Zustimmungsprozess muss das Gericht mit den Beweismitteln der ZPO feststellen, wie hoch die ortsübliche Vergleichsmiete tatsächlich ist. Nur qualifizierten Mietspiegeln kommt dabei gemäß § 558d BGB eine Vermutungswirkung zu. Bei einfachen Mietspiegeln hat der BGH aber immerhin eine Indizwirkung hinsichtlich seiner Werte angenommen (BGH 16.6.10, VIII ZR 99/09, 21.10.12, VIII ZR 46/12).

     

    Bedenken hatte der Senat aber gegen die Art und Weise wie der zweite Sachverständige im Berufungsverfahren die ortsübliche Vergleichsmiete ermittelt hat. Wird ein Sachverständigengutachten eingeholt, muss dieses erkennbar vom richtigen Begriff der ortsüblichen Vergleichsmiete ausgehen. Die Legaldefinition befindet sich in § 558 Abs. 2 BGB. Danach wird die ortsübliche Vergleichsmiete gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert worden sind. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen, wobei im Zustimmungsprozess die ortsübliche Vergleichsmiete nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden darf, die die tatsächlichen und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung hinreichenden Weise ermittelt haben. Diesen Anforderungen wurde das Gutachten unter mehreren Gesichtspunkten nicht gerecht:

     

    Der Sachverständige hat die ortsübliche Vergleichsmiete nur anhand von Mieten, die in der ehemaligen Zechensiedlung für Wohnungen der Klägerin gezahlt werden, ermittelt. Die Klägerin als Vermieterin hatte dem Sachverständigen eine Aufstellung der Mietanpassungen und Neuvermietungen aus den Jahren 2001 bis 2006 übergeben. Der BGH hat das Ergebnis als „Spezialmietspiegel“ für den Ortsteil bezeichnet. Auch wenn der Ortsteil gewisse Besonderheiten aufweise, muss das Mietniveau in der gesamten Gemeinde ermittelt werden. Auch nur ungefähr vergleichbare Objekte an anderen Stellen der Gemeinde müssen mit herangezogen werden. Gegebenenfalls können für Besonderheiten Zu- und Abschläge in Ansatz gebracht werden. Soweit der BGH es in der Vergangenheit zugelassen hat, auf Wohnungen aus dem eigenen Bestand zurückzugreifen, betraf dies aber nur die Frage der formellen Ordnungsgemäßheit des Zustimmungsverlangens (BGH 19.5.10, VIII ZR 122/09). Auch reine „Vermieterbefragungen“ im Rahmen eines vorprozessualen Gutachtens sind zulässig (BGH 21.10.09, VIII ZR 30/09). Das hat aber mit der Frage der Ermittlung der richtigen ortsüblichen Vergleichsmiete nichts zu tun. Eine Auswahl von Wohnungen, die alle dem die Mieterhöhung begehrenden Vermieter gehören, ist aber keine repräsentative Stichprobe für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete im Prozess. In einem solchen Fall kommt dem einfachen Mietspiegel als Erkenntnisquelle eine erhebliche Bedeutung zu. Dessen Werte müssen in die Überzeugungsbildung des Tatrichters mit einfließen. Wie weit diese Indizwirkung tatsächlich geht, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere der Qualität des Mietspiegels und den Einwendungen der Parteien gegen dessen Werte. Hierzu muss das Berufungsgericht jetzt weitere Feststellungen treffen.

    Praxishinweis

    Die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist in letzter Zeit immer wieder Gegenstand von (ober-)gerichtlichen Entscheidungen gewesen. Börsennotierte Wohnungsunternehmen wollen häufig bis an den obersten Rand des gerade noch Möglichen die Miete erhöhen. Aber auch knappe Kassen bei Mietern führen zu einer kritischen Kontrolle durch diese. Der BGH ist auf der einen Seite sehr großzügig, auf der anderen Seite wiederum sehr streng. Nach ständiger Rechtsprechung des VIII. Senats dürfen auf der formellen Seite an die Begründung eines Mieterhöhungsverlangens keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Hier hat der Senat seine eigene „Auflockerungsrechtsprechung“ entwickelt. Fast alle denkbaren Fehler werden vom Senat als materiell beurteilt. Auf der anderen Seite beschäftigt er sich äußerst intensiv mit der richtigen Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete durch Sachverständige.

     

    Checkliste / So muss der Sachverständige ermitteln

    • Das Gutachten muss auf einer aussagekräftigen und vor allem auch repräsentativen Stichprobe beruhen.
    • Der Sachverständige muss nachvollziehbar eine sog. Extremwertbereinigung vornehmen.
    • Der Sachverständige muss vom richtigen Begriff der ortsüblichen Vergleichsmiete ausgehen. Dazu gehört die Ermittlung von Mieten nach den fünf Wohnwertmerkmalen und zwar für die gesamte Gemeinde. Wichtig ist auch, dass der Sachverständige in nachvollziehbarer Weise aus der Gesamtheit aller einschlägigen Mietedaten die „üblichen“ Daten ermittelt und damit den oberen und unteren Rand der maßgeblichen Bandbreite festlegt.
    • Der Sachverständige muss vom richtigen Mischungsverhältnis zwischen Neuvertrags- und veränderten Bestandsmieten ausgehen. Dabei muss er die örtlichen Besonderheiten berücksichtigen.
     

    All dies muss sich aus dem Gutachten ergeben. Wenn nicht, muss der Sachverständige zumindest sein Gutachten entsprechend auf Antrag hin im Termin erläutern oder ein Ergänzungsgutachten erstellen. Wenn auch dies nicht den o.g. Anforderungen entspricht, ist das Gutachten im Zweifel nicht verwertbar und muss auf andere Art und Weise versucht werden, die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete zu ermitteln.

     

    Gibt es in der Gemeinde einen qualifizierten Mietspiegel, muss derjenige, der die Werte nicht gegen sich gelten lassen will, zunächst Zweifel an der Qualifizierung säen (BGH 21.11.12, VIII ZR 46/12). Das geht nicht einfach ins Blaue hinein sondern erfordert eine Auseinandersetzung mit der Mietspiegeldokumentation. Wenn ein solches substanziiertes Bestreiten vorliegt, muss derjenige die Qualifizierung beweisen, der sich auf die Vermutungswirkung berufen will. Dazu muss gegebenenfalls ein Gutachten eines Statistikers eingeholt werden (AG Mainz 19.4.13, 79 C 354/11). Dieser muss sich mit der gesamten Methodik der Mietspiegelerstellung befassen. Dabei geht es um die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete nur am Rande.

     

    Wird die Qualifizierung bestätigt, kann derjenige, gegen den die Vermutungswirkung streitet versuchen, den Beweis des Gegenteils zu erbringen. Das wäre z.B. der Fall, wenn er nachweist, dass der Mietspiegel, obwohl er nach dem Ergebnis der ersten Beweisaufnahme richtig ist, für die streitgegenständliche Wohnung gar nicht anwendbar ist. Mietspiegel decken anerkanntermaßen nur ca. 80 Prozent des örtlichen Wohnungsbestands ab, da die Erfassung der letzten „Randbereiche“ einfach einen viel zu großen Erhebungsaufwand erfordern würde.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2013 | Seite 148 | ID 42245259