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  • · Fachbeitrag · Eigenbedarf

    BGH: Vermieter muss vor Mietvertragsabschluss keine Bedarfsvorschau vornehmen

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. Der Vermieter, der eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, sie alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen, setzt sich mit einer später hierauf gestützten Eigenbedarfskündigung zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch, wenn er den Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, bei Vertragsschluss nicht über die Aussicht einer begrenzten Mietdauer aufklärt. Die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung ist in diesen Fällen wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam.
    • 2. Der Vermieter ist weder verpflichtet, von sich aus vor Abschluss eines unbefristeten Mietvertrags unaufgefordert Ermittlungen über einen möglichen künftigen Eigenbedarf anzustellen (sogenannte „Bedarfsvorschau“) noch den Mieter ungefragt über mögliche oder konkret vorhersehbare Eigenbedarfssituationen zu unterrichten.
    • 3. Daher liegt kein Rechtsmissbrauch vor, wenn der Vermieter einen unbefristeten Mietvertrag wegen eines nach Vertragsschluss entstandenen Eigenbedarfs kündigt und das Entstehen dieses Eigenbedarfs für ihn zwar im Rahmen einer „Bedarfsvorschau“ erkennbar gewesen wäre, er jedoch bei Vertragsabschluss eine solche Kündigung nicht zumindest erwogen hat.
    • 4. Etwas anderes hat allerdings dann zu gelten, wenn der Vermieter anlässlich des Vertragsabschlusses von sich aus oder auf Fragen des Mieters vorsätzlich unrichtige Angaben über den derzeitigen Stand ihm bekannter, für die Beurteilung einer Eigenbedarfssituation maßgebender Tatsachen gemacht hat.
     

    Sachverhalt

    Mit Schreiben vom 28.2.13 kündigte der Kläger das am 14.4.11 mit der Beklagten geschlossene unbefristete Mietverhältnis über eine Zweizimmerwohnung wegen Eigenbedarfs für seine 20 Jahre alte Tochter zum 31.5.13. Grund: Die Tochter, die nach ihrem Abitur für ein Jahr im Ausland war, wird am 18.7.13 nach Deutschland zurückkehren. Sie hat vor ihrem Auslandsaufenthalt ein Zimmer bei ihren Eltern bewohnt und will nun eine eigene abgeschlossene Wohnung beziehen, weil sie vor Ort eine Arbeitsstelle antreten und ein berufsbegleitendes Studium aufnehmen wird. Die Beklagte widersprach der Kündigung. Grund: Die Kündigung sei rechtsmissbräuchlich, weil der Eigenbedarf für den Kläger bei Abschluss des Mietvertrags vorhersehbar gewesen sei.

     

    Die Räumungs- und Herausgabeklage wird in zweiter Instanz abgewiesen. Auf Revision des Klägers verweist der BGH den Rechtsstreit zur Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen des Eigenbedarfs und von Härtegründen (§ 574 BGB) an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurück.

    Praxishinweis

    Der BGH hat die Essenz seiner im Original 27 Seiten langen und aus Platzgründen hier nicht im Einzelnen darstellbaren Entscheidung zu den Voraussetzungen einer rechtsmissbräuchlichen Eigenbedarfskündigung in der Form des widersprüchlichen Verhaltens in den vier Leitsätzen in verständlicher Form zusammengefasst. Der BGH führt damit seine bisherige Rechtsprechung konsequent fort und erhöht die Rechtssicherheit im Instanzenzug. Zugleich erleichtert er dem Vermieter in den Fällen zu kündigen, in denen der Eigenbedarf bei Vertragsabschluss zwar objektiv absehbar, subjektiv von ihm aber noch nicht angedacht war.

     

    Der Verdacht des Rechtsmissbrauchs kommt schnell auf, wenn das Mietverhältnis schon relativ kurze Zeit nach Abschluss des Mietvertrags wegen Eigenbedarfs mit dem Grund gekündigt wird, der Sohn oder die Tochter des Vermieters beabsichtige, nach Abschluss der Schulausbildung ein Studium oder eine Berufsausbildung aufzunehmen und benötige deshalb die Wohnung des Mieters. Verkürzt ausgedrückt: Der Rechtsmissbrauch wird in diesen Fällen von der überwiegenden Rechtspraxis damit begründet, der Vermieter habe es fahrlässig versäumt, dem Mieter einen an sich bei vorausschauender Planung erkennbaren Eigenbedarf mitzuteilen (Urteil Rn. 20 f.). Damit kann der Mieter künftig nicht mehr gehört werden.

     

    Widersprüchliche oder unrichtige Angaben

    Rechtsmissbrauch (bei ansonsten nachvollziehbarem Eigenbedarf) liegt nach der Erkenntnis des BGH vor, wenn das Verhalten des Vermieters i.S. von Leitsatz 1 widersprüchlich ist oder wenn er i.S. von Leitsatz 4 vorsätzlich falsche Angaben über die für den späteren Eigenbedarf bedeutsamen Tatsachen macht. Beide Varianten implizieren, dass der Vermieter bei Vertragsabschluss die Eigenbedarfssituation bzw. die sie begründenden Umstände kannte. Um solche innere Tatsachen zu ermitteln fordert der BGH eine Würdigung der Gesamtumstände. Er lässt - wie schon bei der Abgrenzung zwischen einem Wohnraum- und einem Mischmietverhältnis (MK 14, 202, Abruf-Nr. 142468) - zu auf objektive (äußerliche) Umstände zurückzugreifen, sofern diese tragfähige Anhaltspunkte für den Kenntnisstand des Vermieters bilden. Das heißt: Ergeben die Gesamtumstände, dass der Grund für den Eigenbedarf bei Mietvertragsabschluss schon nach Zeit und Umständen konkret vorgelegen hat, kann - sofern nicht die Gegebenheiten des Einzelfalls dagegen sprechen - daraus zu folgern sein, dass der Vermieter den Eigenbedarf schon bei Vertragsabschluss (zumindest) erwogen hat.

     

    Zeitliche Abläufe

    Indizwirkung misst der BGH daneben auch den zeitlichen Abläufen zu. Hat der Vermieter das Mietverhältnis schon wenige Monate nach Abschluss des unbefristeten Mietvertrags gekündigt, kann es naheliegen, dass er eine Eigennutzung schon bei Vertragsabschluss beabsichtigt oder zumindest erwogen hat (BGH MK 11, 45, Abruf-Nr. 103342). Umgekehrt kann ein mehrjähriger Zeitabstand zwischen Vertragsabschluss und Eigenbedarfskündigung indizieren, dass der Eigenbedarf vom Vermieter bei Zustandekommen des Mietvertrags noch nicht erwogen worden ist (Urteil Rn. 49).

     

    Beachten Sie | Wie schon in MK 13, 111 (Abruf-Nr. 131180) lehnt der BGH feste Fristen ab. Er bekräftigt, dass die in § 564c Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB a.F. vorgesehene fünfjährige Höchstfrist für den Abschluss eines Zeitmietvertrags keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für den Ausschluss einer Eigenbedarfskündigung darstellt. Das steht in Einklang mit verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung (Urteil Rn. 41).

     

    Vertrauenstatbestand

    Widersprüchliches Verhalten ist nach allgemeinen Grundsätzen erst rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Fehlt es hieran, liegt nach zutreffender Erkenntnis des BGH in den Fällen, in denen ein Vermieter einen unbefristeten Mietvertrag wegen eines nach Vertragsabschluss entstandenen Eigenbedarfs kündigt, kein Rechtsmissbrauch vor, wenn das künftige Entstehen des Eigenbedarfs zwar im Rahmen einer „Bedarfsvorschau“ zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erkennbar gewesen wäre, der Vermieter aber zu diesem Zeitpunkt weder entschlossen war, alsbald Eigenbedarf geltend zu machen noch dies erwogen, also ernsthaft in Betracht gezogen hat.

     

    Merke | Den Vermieter trifft keine Pflicht zur Bedarfsvorschau. Er muss die künftige Lebensplanung seiner nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Familienangehörigen weder vor Abschluss des Mietvertrags erfragen, noch trifft ihn insoweit eine allgemeine Aufklärungspflicht.

     

    Unterbreitet ein Vermieter ein Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Mietvertrags und macht dabei - ungefragt - keine Angaben zu einer künftigen Eigenbedarfssituation, kann dies - so der BGH - bei objektiver und verständiger Betrachtung regelmäßig nicht dahin gedeutet werden, er habe auf der Grundlage seiner Lebensumstände und der seiner Familienangehörigen unter Einbeziehung möglicher oder sich konkret abzeichnender Lebens- oder Berufsplanungen eine Bedarfsprognose angestellt und könne daher für absehbare Zeit das mögliche Entstehen eines Eigenbedarfs ausschließen. Vielmehr kann einem solchen Verhalten objektiv betrachtet und redlicherweise nur entnommen werden, dass der Vermieter bislang weder entschlossen war, in nächster Zeit den Wohnraum für sich oder den nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Personenkreis zu beanspruchen, noch einen solchen Schritt erwägt, also ernsthaft in Betracht zieht. Das entspricht allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Für die Annahme, mit dem Abschluss eines unbefristeten Mietvertrags werde ein Vertrauenstatbestand zugunsten des Mieters geschaffen, ist danach kein Raum.

     

    Weiterführender Hinweis 

    • Will der Mieter eine Kündigung wegen Eigenbedarfs zeitlich ausschließen, bedarf es einer dahin gehenden Vereinbarung (BGH MK 13, 111, Abruf-Nr. 131180)
    Quelle: Ausgabe 08 / 2015 | Seite 132 | ID 43485584