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  • · Fachbeitrag · Brandschutz

    Typische Streitpunkte beim Brandschutzmangel

    von RiOLG a. D. Günther Geldmacher, Düsseldorf

    | Brandschutz ist ein „brandheißes“ Thema, wie die Evakuuierung des Hochhauses in Wuppertal zeigt. Der Beitrag zeigt anhand einer BGH-Entscheidung typischen Streitpunkte aus Mieter und Vermietersicht. Die Lektüre ist ein Muss für den in Gewährleistungsprozessen mandatierten Anwalt. |

    1. Ausgangslage

    Brandschutzmägel werden klassischer Weise evident, wenn die Behörde die weitere Nutzung des Gebäudes untersagt. So auch im Fall des BGH.

    Die Stadt B stellte am Gebäude der Vermieterin Mängel beim Brandschutz fest. Beim Wärmedämmverbundsystem an der Außenfassade wurde brennbares Material (Polystyrol) verwendet. Die B setzte der Vermieterin eine Frist zur Mängelbeseitigung. Da nichts passierte, untersagte B mit Bescheid vom 7.6.13 die weitere Nutzung des Gebäudes und ordnete die sofortige Vollziehung an. Des Weiteren die Versiegelung, sollte das Gebäude ab dem 1.8.13 noch genutzt werden.

     

    Der Kläger lehnte die von der Beklagten angebotenen Ersatzräume ab und kündigte mit Schreiben vom 12.6.13 das Mietverhältnis „fristlos zum 30.6.13“ und zog am 28.6.13 in von ihm angemietete neue Büroräume um. Seit 6/13 zahlte er keine Miete mehr. Seine Klage auf Schadenersatz der Umzugskosten (Möbeltransport, Abbau und Neuinstallation der EDV-Anlage, Reinigungskosten) hat teilweise Erfolg. Die Revision hat nur Erfolg, soweit das LG die Widerklage der Beklagten auf Zahlung der Miete für die Zeit vom 8. bis 30.6.13 abgewiesen hat.

     

    2. Kündigungs- oder Kündigungsfolgeschaden

    Die Mietvertragspartei, die durch eine von ihr zu vertretende Vertragsverletzung die andere Partei zu einer wirksamen außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages veranlasst hat, ist jener zum Ersatz des hierdurch verursachten Schadens verpflichtet (BGH MK 07, 160; NJW 00, 2342; NJW 84, 2687). Der Kündigungsfolgeschaden umfasst auch die notwendigen Umzugskosten (BGH WM 74, 345), die hier allein streitgegenständlich waren.

     

    Der Anspruch auf Ersatz des Kündigungsfolgeschadens folgt aus § 280 Abs. 1 BGB. Wurde außerordentlich gekündigt, weil ‒ wie hier ‒ ein Umstand vorlag, der zugleich einen Mangel der Mietsache i. S. d. § 536 BGB begründet, folgt sie aus § 536a Abs. 1 BGB (BGH NJW 13, 223). Der Anspruch setzt die (materielle) Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung voraus. Grund: Er erfasst gerade denjenigen Schaden, welcher infolge der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses entstanden ist (Alberts in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 543 BGB Rn. 86).

     

    Beachten Sie | Wird das Mietverhältnis nicht gekündigt oder ist die Kündigung etwa aus formellen Gründen unwirksam, können die mit der Anmietung von Ersatzräumen und der gleichtzeitigen Freigabe der Mieträume verbundenen Vermögensschäden des Mieters als Mangelschaden nach § 536a Abs. 1 BGB erstattungsfähig sein. Das ist der Fall, wenn der Mieter bestehende Mängel der Mietsache berechtigterweise zum Anlass nimmt, um neue Räume anzumieten, weil die bisherigen Mieträume nicht mehr zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignet sind (BGH MK 13, 164).

    2. Fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB)

    Nach § 543 Abs. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein solcher liegt nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB u. a. vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird. Letzteres kommt auch beim Auftreten eines Mangels in Betracht, der dem vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache entgegensteht (BGH MK 14, 65; MK 08, 59).

     

    Der BGH hält daran fest, dass auch behördliche Beschränkungen die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch derart aufheben oder mindern können, dass sie einen Mangel i. S. v. § 536 BGB begründen. Letztere freilich nur, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und nicht aus der persönlichen oder betrieblichen Sphäre des Mieters stammen. Außerdem muss der Mieter durch die behördlichen Beschränkungen auch tatsächlich in seinem vertragsgemäßen Gebrauch eingeschränkt werden (BGH MK 14, 65; MK 09, 201).

     

    Beachten Sie | Diese Voraussetzung ist ‒ wie hier ‒ regelmäßig erfüllt, wenn die Behörde die Nutzung des Mietobjekts durch ein rechtswirksames und unanfechtbares Verbot bereits untersagt hat. Allerdings kann ‒ so der BGH ‒ ein möglicher Sachmangel im Einzelfall auch darin gesehen werden, dass eine langwährende Unsicherheit über die Zulässigkeit der behördlichen Nutzungsuntersagung die begründete Besorgnis bewirkt, das Grundstück nicht zum vertragsgemäßen Gebrauch nutzen zu können (BGH MK 14, 65).

    3. Muss der Mieter Untersagungsbescheide anfechten?

    Grundsätzlich kann es dem Mieter zugemutet werden, behördliche Anordnungen betreffend den Gebrauch der Mietsache auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (BGH MK 14, 65; WuM 71, 531). In diesem Sinn hat der XII. Senat entschieden, dass allein die anlässlich einer Anhörung gemäß § 28 VwVfG erfolgte Mitteilung der Behörde an den Mieter, die beantragte Nutzungsänderung sei nicht genehmigungsfähig, einen Mangel des Mietobjekts i. S d. § 536 BGB nicht begründet und damit auch eine außerordentliche Kündigung nach § 543 BGB nicht rechtfertigt. Dem Mieter sei es grundsätzlich zuzumuten, abzuwarten, bis sein Nutzungsänderungsantrags beschieden wird.

     

    Allerdings kann ein möglicher Sachmangel im Einzelfall auch darin gesehen werden, dass eine langwährende Unsicherheit über die Zulässigkeit der behördlichen Nutzungsuntersagung die begründete Besorgnis bewirkt, das Grundstück nicht zum vertragsgemäßen Gebrauch nutzen zu können (BGH MK 08, 59). Deshalb muss sich der Mieter aus Sicht des BGH auf das Risiko eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits mit ungewissem Ausgang nicht einlassen. Vorausgesetzt die Behörde hat bereits eine sofortige Nutzungsuntersagung verfügt und der Gegenstand der behördlichen Beanstandungen ‒ wie hier der Brandschutzmangel ‒ liegt außerhalb des Einwirkungsbereichs des Mieters (Nachweise Urteil Rn. 16).

     

    Beachten Sie | Das auf § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB gestützte Kündigungsrecht des Mieters besteht bereits, wenn im Zeitpunkt der Kündigungserklärung sicher feststeht, dass ihm der Mietgebrauch nicht gewährt oder wieder entzogen wird (Nachweise Urteil Rn. 17). Der Kläger brauchte daher hier mit seiner Kündigungserklärung nicht den 1.8.13 abzuwarten, an dem die Ordnungsbehörde die Nutzungsuntersagung mit Zwangsmitteln durchsetzen will.

    4. Schadenersatz bei Vorliegen eines anfänglichen Mangels

    Kündigt der Mieter fristlos aus wichtigem Grund, weil ihm der Vermieter den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache aufgrund eines anfänglichen Mangels nicht gewährt oder wieder entzogen hat, haftet der Vermieter im Wege einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung (§ 536a Abs. 1, 1. Alt. BGB) auch für den kündigungsbedingten Schaden des Mieters. Das entspricht allgemeiner Ansicht.

     

    Soweit behördliche Beschränkungen den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache beeinträchtigen, setzt ein darauf gestützter anfänglicher Mangel i. S. v. § 536a Abs. 1, 1. Alt. BGB mindestens voraus, dass ‒ wie hier aufgrund des Brandschutzmangels ‒ schon im Zeitpunkt der Gebrauchsüberlassung mit einem späteren behördlichen Einschreiten während der Vertragszeit zu rechnen ist. Hinzukommen muss, dass die Behörde gesetzlich nicht nur dazu berechtigt, sondern sogar verpflichtet ist, die vertraglich vorgesehene Nutzung der Mietsache zu untersagen (BGHZ 68, 294).

     

    Beachten Sie | Der Vermieter kann seine Garantiehaftung für anfängliche Mängel formularmäßig ausschließen (BGH NJW 02, 3232; NJW-RR 93, 519).

     

    Hiervon hatte der Beklagte im Mietvertrag Gebrauch gemacht, aber erst in zweiter Instanz auf den Ausschluss hingewiesen. Das LG hat den Einwand nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO präkludiert. Das ist schon deshalb zweifelhaft, weil die Vertragsklausel sich aus dem vorgelegten Mietvertrag ergab und zudem als solche unstreitig war. Ein erstmals in der Berufungsinstanz vorgebrachtes Vorbringen, das unstreitig ist, muss aber unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigt werden und zwar auch, wenn der unstreitige Vortrag im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert (BGH 13.7.16, VIII ZR 49/15; 18.11.04, IX ZR 229/03). Der BGH ist hierauf nicht eingegangen, weil es an einer diesbezüglichen Verfahrensrüge fehlte.

     

    Beachten Sie | Aber auch, wenn man einen anfänglichen Mangel i. S. d. Vorschrift verneinen würde, stünde dem Kläger ein Anspruch auf Schadenersatz aus § 536a Abs. 1 Alt. 2 BGB zu. Grund: Die Vorschrift greift unabhängig ob ein anfänglichen Mangel vorliegt auch ein, wenn ein solcher später wegen eines Umstands entsteht, den der Vermieter zu vertreten hat. Das heißt: Die Haftung nach § 536a Abs. 1 Alt. 2 BGB setzt ein ‒ ggf. über § 278 BGB zurechenbares ‒ Verschulden des Vermieters i. S d. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB voraus (BGH MK 215, 204, Abruf-Nr. 177794). Das Verschulden der Beklagten liegt hier darin, dass er den (spätestens) ab 4/13 bekannte Mangel nicht fristgerecht beseitigt hat.

    5. Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens

    Die Beklagte hat sich darauf berufen, sie müsse die Umzugskosten nicht übernehmen, weil sie das Mietverhältnis ihrerseits hätte kündigen können. Die Berufung des Schädigers auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten ‒ d. h. der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden ‒ kann beachtlich sein. Wie erheblich der Einwand ist, richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm.

     

    Beachten Sie | Voraussetzung ist zudem, dass derselbe Erfolg effektiv herbeigeführt worden wäre; die bloße Möglichkeit, ihn rechtmäßig herbeiführen zu können, reicht nicht aus (Nachweise Urteil Rn. 24). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Wäre die Außenfassade bauordnungsrechtlich korrekt ausgeführt worden bzw. hätte die Beklagte die Mängel rechtzeitig beseitigt, wäre das Mietverhältnis nicht gekündigt worden; der mit den Umzugskosten verbundene Schaden wäre beim Kläger nicht eingetreten.

     

    Den Einwand der Beklagten, sie hätte das Mietverhältnis nach der Nutzungsuntersagung selbst gekündigt, hält der BGH unter Hinweis auf den Schutzzweck der § 536 Abs. 1, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB für unerheblich. Grund: Sie dienen gerade dazu, den Mieter davor zu schützen, dass der Vermieter es unzumutbar macht, das Mietverhältnis fortzusetzen, indem er den vertragsgemäßen Gebrauch vereitelt. Kündigt der Mieter deshalb berechtigt, büßt er sein Recht zum Gebrauch der Mietsache ein, sodass der Vermieter verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, den er durch diesen Rechtsverlust erleidet.

     

    Allerdings kann der Mieter einen kündigungsbedingten Schadenersatz wegen des entgangenen Gebrauchs der Mietsache nur für den Zeitraum verlangen kann, in dem der Vermieter auch gegen seinen Willen am Mietvertrag festgehalten werden konnte (Nachweise Urteil Rn. 26). Insbesondere die Ansprüche auf die Mietdifferenz für die Ersatzwohnung sind daher auf den Zeitraum begrenzt, bis der Vertrag abelaufen oder der ersten möglichen Kündigung durch den Vermieter wirksam geworden wäre (BGH WuM 164, 831).

     

    Beachten Sie | Die Erstattungsfähigkeit einmaliger Aufwendungen für die Beschaffung von Ersatzräumen, die Herrichtung dieser Räume und den Umzug hängt maßgeblich davon ab, ob diese Kosten durch eine in absehbarer Zeit bevorstehende Vertragsbeendigung unabhängig von den zur Mieterkündigung führenden Umständen ohnehin entstanden wären (Nachweise Urteil Rn. 27).

    Kann aber ‒ wie hier ‒ nicht festgestellt werden, dass das Mietverhältnis ohne die zur außerordentlichen Kündigung des Mieters führende und vom Vermieter zu vertretende mangelbedingte Gebrauchsentziehung überhaupt beendet worden wäre, kann der Vermieter wegen des Schutzzwecks der § 536 Abs. 1, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB nicht rechtmäßiges Alternativverhalten einwenden.

    6. Mietzahlungspflicht und Nutzungsuntersagungsverfügung

    Das LG hat angenommen, die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch sei vom 8. bis 30.6.13 wegen der sofortigen Vollziehbarkeit der Nutzungsuntersagung vom 7.6.13 vollständig aufgehoben worden. Deshalb bestehe für diese Zeit kein Anspruch auf Miete. Zu Unrecht, meint der BGH. Maßgebend ist insoweit schon nicht das Datum der Untersagungsverfügung, sondern der Zeitpunkt, an dem die vom 7.6.13 verfügte Nutzungsuntersagung gegenüber dem klagenden Mieter wirksam geworden ist. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der ‒ wie hier ‒ im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 1 NVwVfG i.V.m. § 43 Abs. 1 S. 1, § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG). Das heißt: Selbst bei unterstellter Aufgabe zur Post am selben Tag konnte die Nutzungsuntersagung frühestens am 10.6.13 wirksam werden.

     

    Der BGH hält daran fest, dass nicht ohne Weiteres von einer Beeinträchtigung oder Entziehung des vertragsgemäßen Gebrauchs auszugehen ist, solange die Behörde die ordnungswidrige Nutzung der Mietsache duldet. Dies ist der Fall, wenn sie vorläufig auf Zwangsmitteln verzichtet, um dem von der Nutzungsuntersagung betroffenen Mieter ausreichend Zeit für die Suche nach Ersatzräumen zu geben. In diesem Fall kann der „Makel“ der von der Ordnungsbehörde formell untersagten Weiternutzung der Mietsache deren Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch im Zeitraum bis zum endgültigen Auszug des Mieters möglicherweise einschränken, aber nicht vollständig aufheben (LG Potsdam WuM 15, 350: Minderung 30 Prozent).

    7. Keine vollständige Tauglichkeitsaufhebung

    Selbst wenn aufgrund von schwerwiegenden Mängeln beim Brandschutz die konkrete Besorgnis besteht, dass im Fall eines in Zukunft eintretenden Brandes das Gesundheitsrisiko für die Nutzer der Mieträume erheblich erhöht ist (hier offen gelassen), wird dieser Umstand nicht die Beurteilung rechtfertigen, dass die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache vollständig aufgehoben ist.

     

    In diesem Punkt ist dem BGH zu folgen, auch wenn es nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere des OVG Münster (BeckRS 2012, 50530; BRS 71 Nr. 182), bei begründeten Zweifeln an der Brandsicherheit wegen der Gefahr für Leib und Leben regelmäßig geboten ist, die Nutzungsuntersagung für die Dauer des Hauptsacheverfahrens zu vollziehen; unabhängig von finanziellen Interessen der Eigentümer. Angesichts dieser Tätigkeitspflicht wird man als Gradmesser auf das Verhalten der Bauordnungsbehörde abstellen können. Solange diese keinen Anlass sieht, tätig zu werden, wird der Mieter Gewährleistungsrechte kaum mit Erfolg durchsetzen können.

     

    Quelle: ID 44758588