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  • · Fachbeitrag · Gewaltschutz

    Was Sie zum Thema „Stalking“ wissen müssen!

    von RAin Thurid Neumann, FAin Familienrecht, Konstanz

    | Seit einigen Jahren suchen Mandanten immer häufiger einen Anwalt auf, weil sie sich „gestalkt“ fühlen. Seit dem 31.03.07 gibt es auch den Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB). Aber was bedeutet das eigentlich? Dies und welche zivilrechtlichen Schutzmöglichkeiten es gibt, erfahren Sie in diesem Beitrag. |

    1. Anspruchsgrundlagen

    Der Begriff „Stalking“ kommt aus dem Englischen und heißt wörtlich übersetzt „heranpirschen“, „jagen“ und bedeutet so viel wie „Nachstellen, Verfolgen, Psychoterror“. Opfer von Stalking kann jeder werden. Am häufigsten kommt es zu Stalking, nachdem eine Beziehung gescheitert ist oder das Opfer den Täter zurückgewiesen hat. Der Täter sucht sein Opfer zu Hause oder auch an anderen Orten auf, er betreibt Telefonterror oder belästigt sein Opfer mit SMS oder E-Mails. Dies kann für das Opfer zu einer massiven psychischen Belastung führen. Das Zivilrecht bietet dem Rechtsanwalt mehrere Möglichkeiten, um seinem Mandanten zu helfen.

     

    Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen sind §§ 823, 1004 BGB analog, aber auch § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz, insbesondere § 238 StGB (Nachstellung). Es kann ein Unterlassungsanspruch bei Gericht geltend gemacht werden (Zöller/Lorenz, ZPO, 28. Aufl., § 210 FamFG Rn. 2). § 1 GewSchG ist die Verfahrensvorschrift, in der mögliche Schutzmaßnahmen, vor allem in Form von bestimmten Unterlassungsanordnungen geregelt sind (Zöller/Lorenz, a.a.O., Rn. 2; OLG Frankfurt FamRZ 10, 1812).

    2. Geschützter Personenkreis

    Nach § 1 GewSchG sind nicht nur getrennt lebende/geschiedene Eheleute, Lebenspartner oder Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft geschützt, sondern jede natürliche Person, die Opfer von „Stalking“ ist.

    3. Verletzungshandlungen

    Nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GewSchG ist das GewSchG anwendbar bei:

     

    • Nachstellen durch Verletzung des Hausrechts,

     

    • unzumutbarer Belästigung durch körperliche Verfolgung, ständige demonstrative Anwesenheit des Täters, Beobachtung/Überwachung oder unerwünschte Kontaktaufnahme (Anrufe, Briefe, Faxe, E-Mails, SMS).

     

    Achtung | Dient die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen, liegt nach § 1 Abs. 2 S. 2 GewSchG keine unzumutbare Belästigung vor.

     

    4. Gegen den Willen des Opfers

    Weitere Voraussetzung ist zudem, dass die Handlungen gegen den ausdrücklich erklärten und unmissverständlichen Willen des Opfers erfolgen (OLG Frankfurt FamRZ 10, 1812). Grundsätzlich muss der Täter daher zum Unterlassen aufgefordert worden sein. Dies ist nicht erforderlich, wenn sich aus der Natur der Störung der reine Belästigungscharakter ergibt, wie z.B. bei nächtlichem Telefonterror (OLG Oldenburg 4.9.07, 5 T 874/07).

    5. Wiederholungsgefahr

    Das gerichtliche Eingreifen muss zur Abwendung weiterer Verletzungshandlungen erforderlich sein.

     

    PRAXISHINWEIS | 

    Bei Stalking wird wegen des präventiven Charakters von Gewaltschutzmaßnahmen davon ausgegangen, dass die konkrete Gefahr weiterer Verletzungshandlungen definitionsgem.äß gegeben ist. Es obliegt dem Täter, dies zu widerlegen, wobei an die Widerlegung der Vermutung hohe Anforderungen zu stellen sind (OLG Celle FamRZ 09, 1751).

     

    Es reicht nicht aus, dass der Täter verspricht, keine der Verletzungshandlungen mehr vorzunehmen oder dass er eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt, vor allem nicht, wenn die Ursache für die Spannungen noch fortbesteht (OLG Stuttgart FamRZ 07, 829). Trotz einer derartigen Versicherung wird dem Antrag stattgegeben, wenn die Ursachen für die Spannung noch vorliegen. Der Täter muss sich dann an die Anordnungen des Gerichts halten. Es kann aber z.B. nicht von ihm verlangt werden umzuziehen (OLG Karlsruhe FamRZ 12, 455, siehe auch Seite 120 dieses Beitrags).

     

    6. Vorsatz

    Erforderlich ist ein vorsätzliches Handeln des Täters, wenigstens in Form von dolus eventualis (Zöller/Lorenz, a.a.O., Rn. 4). Eine Unzurechnungsfähigkeit wegen der Einnahme berauschender Mittel steht gemäß § 1 Abs. 3 GewSchG der Anordnung einer Schutzmaßnahme nicht entgegen (Zöller/Lorenz, a.a.O., Rn. 4). Anderes gilt für den Fall einer dauernden Schuldunfähigkeit des Täters (OLG Frankfurt FamRZ 10, 1812). In diesem Fall scheiden zwar gerichtliche Maßnahmen nach § 1 GewSchG aus. Dennoch kommt ein Rückgriff auf die allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassungsansprüche nach §§ 823, 1004 BGB analog in Betracht. Hierfür ist kein Verschulden des Störers vorausgesetzt (BGHZ 3, 270). Als Gericht des zulässigen Rechtswegs kann das FamG auch hierüber entscheiden, § 17 Abs. 2 GVG (OLG Frankfurt, a.a.O.).

    7. Schutzanordnungen

    Liegen die Voraussetzungen vor, kann das Gericht nach § 1 Abs. 1 S. 3 GewSchG anordnen, dass der Täter folgende Handlungen unterlässt:

     

    • Nr. 1: die Wohnung des Opfers zu betreten,
    • Nr. 2: sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung des Opfers aufzuhalten (sogenannte „Bannmeile“),
    • Nr. 3: zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Opfer regelmäßig aufhält,
    • Nr. 4: Verbindung zum Opfer aufzunehmen, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln,
    • Nr. 5: Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen.

     

    Dabei ist stets das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten (OLG Celle FamRZ 09, 1751). Zum einen ist nur die Maßnahme anzuordnen, die eine Wiederholungsgefahr am wahrscheinlichsten ausschließt und gleichzeitig in die Rechte des Täters am wenigsten eingreift. Zum anderen sind gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG die Schutzanordnungen zeitlich zu begrenzen (OLG Celle NJW 07, 1606). Zwar handelt es sich bei dieser Norm um eine „Sollvorschrift“. Diese ist aber zur Beachtung der Verhältnismäßigkeit als „Mussvorschrift“ auszulegen.

     

    Achtung | Die zeitliche Befristung ist vor allem bei einstweiligen Anordnungen wegen des Hauptsachevorwegnahmeverbots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu beachten (OLG Saarbrücken FamRZ 10, 1810).

     

    • Faustregel

    Je geringer die Intensität und Dauer der Verletzungshandlung ist, desto kürzer wird in der Regel die Frist zu bemessen sein (OLG Saarbrücken, a.a.O.). Bei fortdauerndem Stalking kann die Frist gemäß § 1 Abs. 1 S. 2, Hs. 2 GewSchG verlängert werden.

     

    Zu folgenden gerichtlichen Anordnungen wird Näheres ausgeführt:

     

    • Bannmeile: In der Rechtsprechung wird überwiegend von einem Mindestabstand von 200 Metern ausgegangen (von Pechstaedt, NJW 07, 1233).
    •  
    • Näherungsverbot: Dies betrifft neben der Wohnung z.B. auch die Arbeitsstelle, Freizeiteinrichtungen, Restaurants, Schulen oder Kindergärten.

     

    • Achtung | Hat der Täter ein berechtigtes Interesse, den Ort (z.B. seine Arbeitsstelle) aufzusuchen, kann für diesen Ort kein Näherungsverbot/keine Bannmeile ausgesprochen werden. Problematisch ist, wenn sich die Wohnungen des Täters und Opfers in unmittelbarer Nähe befinden. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass vom Täter wegen Art. 13 GG nicht verlangt werden kann, eine andere Wohnung zu mieten (OLG Karlsruhe FamRZ 12, 455).

     

    • Kontaktverbot: Untersagt werden kann auch das fernmündliche Anrufen und Auflegen bei Abnehmen, das Anrufen auf einem Anrufbeantworter, ohne eine Nachricht zu hinterlassen und das Klingelnlassen (von Pechstaedt, a.a.O.).

     

    • Haben die Beteiligten gemeinsame Kinder und besteht ein Umgangsrecht, muss das Gericht das Schutzbedürfnis des Opfers und das Umgangsrecht des Täters angemessen aufeinander abstimmen (Palandt/Brudermüller, § 1 GewSchG Rn. 8). Hier kann die Übergabe z.B. mithilfe des Jugendamts erfolgen.

     

    • Allgemeines Belästigungsverbot: Ein allgemeines Belästigungsverbot ist nicht vollstreckbar (OLG Karlsruhe NJW 08, 291).

     

    Eine Antragstellung nach § 1 GewSchG kann wie folgt formuliert werden:

     

    Musterformulierung / Antragstellung nach § 1 Abs. 1 GewSchG

    Namens und in Vollmacht der Antragstellerin stellen wir gemäß § 1 GewSchG folgende Anträge:

     

    • 1. Dem Antragsgegner wird untersagt, sich in einem Umkreis von 200 Metern der Wohnung der Antragstellerin aufzuhalten.

     

    • 2. Dem Antragsgegner wird untersagt, sich der Antragstellerin in einem Umkreis von 200 Metern zu nähern.

     

    • 3. Dem Antragsgegner wird untersagt, jeglichen Kontakt zur Antragstellerin aufzunehmen, insbesondere durch Verwendung von Fernkommunikationsmitteln.

     

    • 4. Sollte es zu einem zufälligen Zusammentreffen zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner kommen, hat der Antragsgegner sofort einen Abstand von mindestens 100 Metern herzustellen.

     

    • 5. Dem Antragsgegner wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnungen in Ziffern 1 bis 4 ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
     

    8. Verfahrensvorschriften nach dem FamFG

    Gewaltschutzsachen sind Familiensachen, auf die insbesondere die §§ 210 bis 216a FamFG anwendbar sind. Das FamG ist in allen Gewaltschutzsachen zuständig, unabhängig davon, in welcher Beziehung die Beteiligten zueinander standen beziehungsweise stehen.

     

    a) Kein Anwaltszwang

    Das Verfahren wird nur auf Antrag eingeleitet. Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Da in Gewaltschutzsachen gemäß § 111 Nr. 6 FamFG keine Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist, wird ein solcher nach § 78 Abs. 2 FamFG mit der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe nur beigeordnet, wenn es die schwierige Sach- und Rechtslage erforderlich zu machen scheint. Die Schwierigkeit der Rechts- oder Sachlage genügt.

     

    Gemäß § 95 Abs. 1 FamFG sind auf die Vollstreckung die Vorschriften der ZPO anzuwenden. Vor einer Vollstreckung muss der Titel daher zugestellt werden.

     

    Hinweis | Im Fall des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ohne mündliche Erörterung gilt der Antrag nach § 214 Abs. 2 FamFG zugleich als Auftrag zur Zustellung durch den Gerichtsvollzieher und zur Vollstreckung.

     

    b) Schutz bei Zuwiderhandlung

    Handelt der Verpflichtete einer Anordnung nach § 1 des GewSchG zuwider, eine Handlung zu unterlassen, kann der Berechtigte gemäß § 96 Abs. 1 FamFG zur Beseitigung einer jeden andauernden Zuwiderhandlung einen Gerichtsvollzieher zuziehen. Dieser hat nach § 758 Abs. 3 ZPO die Befugnis, bei Widerstand Gewalt anzuwenden und die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen. Er kann nach § 759 ZPO Zeugen hinzuziehen. §§ 890, 891 ZPO bleiben daneben anwendbar, wobei die Androhung und Verhängung von Ordnungsgeld nur bei einer gerichtlichen Entscheidung erfolgen kann. Die Beteiligten können wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters in einem Vergleich keine wirksame Androhung von Ordnungsgeld regeln.

     

    Das Gericht kann einen Vergleich jedoch durch Beschluss genehmigen. Dann kann Ordnungsgeld angedroht werden. Gemäß § 216 Abs. 1 S. 1 FamFG wird die Entscheidung grundsätzlich erst mit ihrer formellen Rechtskraft wirksam. Das Gericht soll aber gemäß § 216 Abs. 1 S. 2 FamFG die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen. Die Höhe des Ordnungsgelds und die Dauer der Ordnungshaft hängen von der Schwere der Tat, den psychischen und physischen Folgen der Tat beim Opfer, dem Grad des Verschuldens des Täters und dessen wirtschaftlichen Verhältnissen ab.

     

    • OLG Hamm 28.2.13, 1 WF 47/13, OLG-Report NRW 15/03, Anm. 3

    Das OLG Hamm (a.a.O) hat den Rahmen der Ordnungshaft voll ausgeschöpft. Es hat dies damit begründet, dass die Antragstellerin sehr unter den ständigen Verstößen leide und Ängste aushalten müsse, weil der Antragsgegner sich durch die bisherigen Maßnahmen nicht habe beeindrucken lassen.

     

    Hinweis | Gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 FamFG soll das Gericht bei Gewaltschutzsachen nicht auf einen Vergleich hinwirken, um die effektive Durchsetzung der Maßnahme zu gewährleisten. Die Strafbewehrung des § 4 GewSchG soll nicht ins Leere laufen.

     

    c) Rechtsmittel

    Entscheidungen in Gewaltschutzsachen sind nach § 64 FamFG mit der Beschwerde anzufechten. Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 57 S. 2 Nr. 4 FamFG ausnahmsweise ebenfalls mit der Beschwerde anfechtbar.

     

    d) Verfahrenswert

    Der Regelwert für Verfahren nach § 1 GewSchG ist 2.000 EUR (§ 49 FamGKG). Für einstweilige Anordnungen wird der hälftige Wert angesetzt (§ 41 FamGKG).

     

    Quelle: Ausgabe 07 / 2013 | Seite 118 | ID 39152000