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  • · Fachbeitrag · Abstammung

    Sozial-familiäre Beziehung zum biologischen und rechtlichen Vater: So ist das Rangverhältnis

    von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Meerbusch

    | Der BGH hat entschieden, dass der rechtliche Vater Vorrang hat, wenn das Kind eine sozial-familiäre Beziehung zu diesem und zum biologischen Vater hat. |

    Sachverhalt

    Der biologische Vater hat die Vaterschaft des rechtlichen Vaters zu dem im Januar 2013 geborenen Kind angefochten und begehrt seine Feststellung als rechtlicher Vater. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen, weil eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu dem rechtlichen Vater bestehe. Das OLG hat der Beschwerde des biologischen Vaters stattgegeben. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des rechtlichen Vaters ist erfolgreich.

     

    • a) Bei Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater ist der Antrag des leiblichen Vaters auf Anfechtung der Vaterschaft stets unbegründet.
    • b) Eine Auslegung des Gesetzes dahin, dass die Anfechtung dennoch möglich sei, wenn der leibliche Vater seinerseits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind habe und mit ihm in einer Familie zusammenlebe, ist nicht zulässig.
    • c) Das mit einer bestehenden sozial-familiären Beziehung einhergehende Elternrecht des rechtlichen Vaters ist auch in dieser Konstellation gegenüber dem grundrechtlich geschützten Interesse des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterstellung erlangen zu können, vorrangig.
     

    Entscheidungsgründe

    Die Anfechtung des biologischen Vaters setzt voraus, dass zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht, und dass der Anfechtende leiblicher Vater des Kindes ist.

     

    Eine solche sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und dem rechtlichen Vater besteht. Nach § 1600 Abs. 3 S. 1 BGB trägt der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung. Verantwortung trägt derjenige, der sich um die Pflege und Erziehung des Kindes kümmert. Gem. § 1600 Abs. 3 S.  2 BGB liegt diese tatsächliche Verantwortung i. d. R. vor, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist und mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.

     

    Übernahme tatsächlicher Verantwortung erforderlich

    Ein Zusammenleben in einem Haushalt ist aber keine Voraussetzung der sozial-familiären Beziehung. Die tatsächliche Verantwortung kann auch anders übernommen werden, indem der Vater etwa wesentliche Betreuungsleistungen für das Kind erbringt, ohne mit diesem dauerhaft in einem Haushalt zu leben. Dies ist gegeben, wenn der rechtliche Vater nach Trennung der rechtlichen Eltern regelmäßig Kontakt zum Kind unterhält und sich hierbei um Pflege und Erziehung des Kindes kümmert.

     

    MERKE | Eine sozial-familiäre Beziehung muss nur zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind bestehen. Sie setzt nicht voraus, dass gleichzeitig eine entsprechende Beziehung des rechtlichen Vaters zur Mutter besteht. Deswegen reichen regelmäßige Umgangskontakte zwischen rechtlichem Vater und Kind aus.

     

    Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen der sozial-familiären Beziehung

    Der entscheidende Zeitpunkt für das Vorliegen einer sozial-familiären Bindung ist der Abschluss der Beschwerdeinstanz als der letzten Tatsacheninstanz anzusehen. Dies bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt die sozial-familiäre Beziehung aktuell bestehen muss. Es reicht nicht aus, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Elternverantwortung zu einem früheren Zeitpunkt übernommen hatte, wenn diese zu einem späteren Zeitpunkt beendet worden ist und bei Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nicht mehr besteht.

     

    Keine Mindestdauer erforderlich

    Das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung setzt keine bestimmte Mindestdauer voraus. Ein längeres Zusammenleben mit dem Kind ist zwar ein Indiz, nicht aber notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer solchen Beziehung. Diese kann also auch bei kürzerem Zusammenleben bejaht werden, wenn diese noch andauert und der Tatrichter überzeugt ist, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat und in einer Weise trägt, die auf Dauer angelegt erscheint. Eine sozial-familiäre Beziehung kann auch bei zusammenlebenden, nicht verheirateten rechtlichen Eltern sogleich nach der Geburt des Kindes gegeben sein.

     

    Maßgeblich ist nur sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater

    Unerheblich ist, ob zwischen dem leiblichen Vater und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Eine solche sozial-familiäre Beziehung führt nicht dazu, dass die sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater einer Anfechtung des leiblichen Vaters nicht mehr entgegensteht. Die Möglichkeit des leiblichen Vaters, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen, vermittelt nicht das Recht, in jedem Fall vorrangig vor dem rechtlichen Vater die Vaterstellung eingeräumt zu erhalten, sondern der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern darf dem gerade nicht entgegenstehen. Hierbei handelt es sich um die Kriterien des BVerfG. Ein Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters soll nur gegeben sein, wenn keine familiäre Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater besteht. Der Gesetzgeber stellt ausschließlich auf die sozial-familiäre Beziehung des rechtlichen Vaters zum Kind ab.

     

    Bei sozial-familiärer Beziehung hat der rechtliche Vater Vorrang

    Das mit einer sozial-familiären Beziehung einhergehende Elternrecht des rechtlichen Vaters ist vorrangig gegenüber den Interessen des leiblichen Vaters, in die rechtliche Vaterstellung einzurücken. Grund: Sonst könnte der leibliche Vater durch Ausübung eines Umgangsrechts eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind aufbauen, dass ihm dann eine Anfechtung eröffnen würde. Das wäre ein klarer Widerspruch zum Elternrecht des rechtlichen Vaters.

     

    Gesetzeslage ist mit Art. 6 EMRK vereinbar

    Der EuGH hat dem nationalen Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum eingeräumt. Den Interessen des leiblichen Vaters kann auch durch Einräumung eins Umgangsrechts Rechnung getragen werden.

    Relevanz für die Praxis

    Dem EGMR lag bisher noch kein Fall wie der vorliegende zugrunde, in dem das Kind zu dem leiblichen wie zu dem rechtlichen Vater zugleich in einer sozial-familiären Beziehung steht und zudem mit dem leiblichen Vater und der Mutter zusammenlebt. Im Hinblick darauf, dass der EuGH allerdings die Beachtung des nationalen Beurteilungsspielraums hervorgehoben hat, dürfte die Entscheidung des BGH nicht zu beanstanden sein. Es liegt im Rahmen des nationalen Beurteilungsspielraums, dass der deutsche Gesetzgeber die Beseitigung der rechtlichen Abstammung als Statusbeziehung aus Gründen der Rechtssicherheit an geeignete generelle Kriterien geknüpft und eine offene, zeitlich nicht fixierte Abwägung der beiderseitigen Interessen des leiblichen und rechtlichen Vaters nicht vorgesehen hat.

     

    Zu Recht weist der BGH auch darauf hin, dass sonst durch die Möglichkeit der Ausübung eines Umgangsrechts gem. § 1686a BGB eine Anfechtungsmöglichkeit der dadurch begründeten sozial-familiären Beziehung eröffnet würde, was nicht im Sinne des Gesetzgebers sein kann.

     

    Will ein biologischer Vater die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anfechten, lautet der Antrag wie folgt:

     

    Musterformulierung / Antrag auf Vaterschaftsanfechtung

    Es wird festgestellt, dass Herr ... nicht der Vater des Kindes ... ist.

     

    Nach erfolgreichem Abschluss des Vaterschaftsanfechtungsverfahrens müsste der biologische Vater die Vaterschaft des Kindes anerkennen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • BGH FamRZ 18, 41, die vorliegende Entscheidung führt diese Rechtsprechung fort
    • BGHZ 170, 161 die vorliegende Entscheidung führt diese Rechtsprechung fort
    Quelle: Ausgabe 03 / 2018 | Seite 40 | ID 45111356