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  • 24.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231956

    Oberlandesgericht Hamburg: Beschluss vom 25.08.2022 – 12 UF 98/22

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.




    Zurückweisung eines verfrühten Ehescheidungsantrags; Auslegung eines Antrags

    Ein Antrag, mit dem ein verfrühter Ehescheidungsantrag zurückgewiesen werden soll, ist nicht als Feststellungsantrag auszulegen, dass die Voraussetzungen für eine Ehescheidung derzeit nicht vorliegen.
    Tenor:

    Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 16. Mai 2022 wird aufgehoben und das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht Hamburg zurückverwiesen.
    Gründe

    I. Der Antragsteller begehrt die Ehescheidung.

    Die Beteiligten haben am 1. September 2018 die Ehe miteinander geschlossen. Die Antragsgegnerin verließ am 9. Juli 2021 die gemeinsame Wohnung und zog mit der gemeinsamen Tochter in ein Frauenhaus. Der Antragsteller reichte unter dem 4. Februar 2022 einen Ehescheidungsantrag bei Gericht ein. Er trug vor, dass die Ehe aus seiner Sicht gescheitert sei. Die Ehe sei schon vor Ablauf des Trennungsjahrs zu scheiden, da die Fortsetzung für ihn eine unzumutbare Härte darstelle. Die Antragsgegnerin bezichtige ihn fälschlicherweise eines gewalttätigen Übergriffs. Er hat angekündigt zu beantragen, die Ehe zu scheiden.

    Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Der Antrag sei verfrüht gestellt worden. Das Trennungsjahr sei nicht abgelaufen. Eine Härtefallsituation für den Antragsteller liege nicht vor. Der Antrag auf Ehescheidung sei zurückzuweisen.

    In der mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2022 hat der Antragstellervertreter erklärt: "Es soll in dieser Sache hier heute kein Antrag gestellt werden, es würde begrüßt werden, wenn die Gegenseite auch keinen Antrag stellt, sodass das Verfahren ruhend gestellt werden kann". Der Antragsgegnervertreter hat erklärt: "Aus unserer Sicht ist der Antrag hier verfrüht gestellt, es wird also beantragt, im Sinne einer Antragszurückweisung zu entscheiden".

    In dem anberaumten Verkündungstermin hat das Amtsgericht den Beschluss erlassen, dass festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe zum Heiratseintragsnummer [...] zum derzeitigen Zeitpunkt nicht vorliegen. Weiter hat es die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller auferlegt.

    Gegen die Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er ist der Ansicht, dass der Beschluss rechtsfehlerhaft ist. Das Amtsgericht hätte auf einen sachdienlichen Säumnisantrag gemäß § 130 FamFG der Antragsgegnerin hinweisen müssen. Die Entscheidung sei aufzuheben und das Verfahren sei an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

    II. Die Beschwerde des Antragstellers führt zu einer Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg und einer Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Hamburg.

    Die amtsgerichtliche Entscheidung ist auf der Grundlage der §§ 117 Abs. 2 S. 1 FamFG i.V.m. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sowie des § 146 Abs. 1 FamFG aufzuheben.

    Das Beschwerdegericht darf gemäß §§ 117 Abs. 2 S. 1 FamFG i.V.m. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Gemäß § 146 Abs. 1 FamFG soll das Rechtsmittelgericht die Sache an das Gericht zurückverweisen, wenn eine Entscheidung aufgehoben wird, durch die der Scheidungsantrag abgewiesen wurde und dort eine Folgesache zur Entscheidung anhängig war.

    Die Voraussetzungen der Normen liegen vor, denn es sind sowohl die vom Amtsgericht getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen der Ehescheidung derzeit nicht vorliegen, als auch die inzidente Zurückweisung des Ehescheidungsantrags des Antragstellers aufzuheben.

    Der Antragsteller hat ein Ehescheidungsverfahren gemäß § 121 Nr. 1 FamFG anhängig gemacht. Es handelt sich um einen auf Rechtsgestaltung gerichteten Antrag. Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt. Er hat damit nicht gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 333 ZPO verhandelt (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 34. Auflage 2022, § 333 Rn. 1) und war damit säumig. Dennoch hat das Amtsgericht inzident über den Antrag des Antragstellers entschieden. Es hat zwar nicht ausdrücklich den Antrag zurückgewiesen. Es hat jedoch einerseits das Begehren der Antragsgegnerin "im Sinne einer Antragszurückweisung zu entscheiden" als Antrag auf Feststellung ausgelegt, dass die Voraussetzungen einer Ehescheidung derzeit nicht vorliegen, und hat anderseits das vom Antragsteller eingeleitete Verfahren mit der getroffenen Kostenentscheidung (inzident) zum Abschluss gebracht.

    Dieser Auslegung der Anträge durch das Amtsgericht ist nicht zu folgen. Die Auslegung eines Antrags hat im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften zu bleiben, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, U. v. 16.5.2017 - Az.: XI ZR 586/15, juris Rn. 11, NJW 2017, 2340).

    Nach diesen Maßstäben war der Antrag der Antragsgegnerin nicht als Feststellungsantrag auszulegen. Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt. Die Antragsgegnerin hat in der Sache lediglich einen (negativen) Antrag auf Abweisung des vom Antragsteller gestellten Ehescheidungsantrags gestellt. Sie ist dem Ehescheidungsantrag schlicht entgegengetreten. Einen eigenen (positiven) Feststellungsantrag hat sie demgegenüber nicht formuliert. Dies wird zunächst aus dem Wortlaut der Erklärung "im Sinne einer Antragszurückweisung zu entscheiden" deutlich. Darüber hinaus wäre eine Auslegung als Feststellungsantrag weder vernünftig noch entspräche diese Auslegung der wohlverstandenen Interessenlage der Antragsgegnerin.

    Es kgann offen bleiben, ob ein solcher Feststellungsantrag überhaupt gemäß §§ 126, 121 FamFG mit Erfolg mit dem Ehescheidungsantrag verbunden werden kann. Denn nach der Systematik des § 121 FamFG ist als Ehesache nur über die Ehescheidung (Nr. 1), die Aufhebung der Ehe (Nr. 2) oder über das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe (Nr. 3) zu entscheiden. Die Auslegung des Antrags der Antragsgegnerin in einen Feststellungsantrag widerspricht dieser Konzeption. Nach der Systematik des § 121 FamFG stellt der Antrag keine Ehesache dar. Es handelt sich auch nicht um einen Zwischenfeststellungsantrag im Scheidungsverbund (vgl. BGH, B. v. 20.3.2019 - XII ZB 310/18, juris Rn. 18, FamRZ 2019, 953).

    Jedenfalls würde es jedoch dem so verstandenen Antrag der Antragsgegnerin am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis fehlen (vgl. MükoFamFG/Lugani, 3. Auflage 2018, § 121 Rn. 12). Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist ein Feststellungsantrag nur dann zulässig, wenn der Antragssteller ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Das Feststellungsinteresse liegt vor, wenn dem Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und die erstrebte Entscheidung geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. etwa BGH, U. v. 19.11.2014 - VIII ZR 79/14, juris Rn. 29, NJW 2015, 873). Um das Rechtsschutzziel der Antragsgegnerin zu erreichen hätte es genügt, dass der Antrag des Antragstellers auf Ehescheidung zurückgewiesen wird. Da die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 251a ZPO nicht vorlagen, hätte der Antrag aufgrund der Säumnis des Antragstellers als Antrag gemäß § 130 Abs. 1 FamFG ausgelegt werden können, nach der eine Versäumnisentscheidung gegen den Antragsteller dahin zu erlassen ist, dass der Antrag als zurückgenommen gilt. Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus erreichen möchte, dass die Fristen eines aus ihrer Sicht verfrühten Scheidungsantrags nicht greifen, lässt sich dieses Ziel nicht durch eine Auslegung als Feststellungsantrag erreichen.

    Soweit das Amtsgericht den in der mündlichen Verhandlung nicht gestellten Ehescheidungsantrag (inzident) zurückgewiesen hat, liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß § 146 Abs. 1 FamFG vor.