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  • · Fachbeitrag · Verfahrensrecht

    Praxisprobleme bei Fristversäumnis und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

    von StB Jürgen Derlath, Münster

    | Hat der steuerliche Berater eine gesetzliche Frist wie die Einspruchs-, Klage,- Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionseinlegungsfrist versäumt, bleibt zur Vermeidung von Rechtsverlusten und Steuerschäden nur der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Rechtsgrundlagen hierfür sind § 110 AO für die Versäumung der Einspruchsfrist und § 56 FGO für die übrigen Fristen im gerichtlichen Verfahren. Eine Fülle von aktuellen Entscheidungen gibt Anlass, auf einige wichtige Praxisprobleme in diesem Zusammenhang hinzuweisen. |

    1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung

    War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 110 Abs. 1 AO, 56 Abs. 1 FGO). Ab dem Zeitpunkt des „Wegfalls des Hindernisses“ (in der Regel identisch mit der Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Fristversäumnis) hat der steuerliche Berater gemäß § 110 Abs. 2 AO einen Monat Zeit, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen und diesen zu begründen.

     

    PRAXISHINWEIS | Im gerichtlichen Klage- und Revisionsverfahren gilt gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 FGO nur eine Zweiwochenfrist!; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde beträgt die Frist jedoch einen Monat!

     

    Innerhalb der Antragsfristen ist auch die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies - wie in der Regel - z.B. durch die verspätet eingegangene Einspruchs- oder Klageschrift bereits geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§§ 110 Abs. 2 S. 4 AO, 56 Abs. 2 S. 4 FGO). Ist nach Ende der versäumten Frist bereits mehr als ein Jahr vergangen, kommt eine Wiedereinsetzung nicht mehr in Betracht, es sei denn, die Antragstellung innerhalb der Jahresfrist war wegen höherer Gewalt (z.B. unklare Rechtsbehelfsbelehrung) unmöglich (§§ 110 Abs. 3 AO, 56 Abs. 3 FGO).

     

    PRAXISHINWEIS | Zum Begriff der höheren Gewalt siehe BFH 9.6.15, X R 40/14, BFH/NV 15, 1392

     

    Nur bei unverschuldeter Fristversäumnis gewährt die Finanzbehörde oder das Gericht Wiedereinsetzung. Verschuldet ist das Fristversäumnis, wenn die gebotene und den Umständen nach zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Jedes Verschulden - also auch einfache Fahrlässigkeit - schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (etwa BFH 6.11.14, VI R 39/14, BFH/NV 15, 339, unter II.2.a, m.w.N.).

     

    An die innerhalb der Antragsfristen abzugebende Begründung stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen: Zur Begründung ist eine vollständige, substantiierte und in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlich, welche die unverschuldete Säumnis belegen sollen. Ist nach den glaubhaft gemachten Tatsachen nicht auszuschließen, dass die Fristversäumnis verschuldet war, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (vgl. hierzu BFH 27.7.15, X B 107/14, BFH/NV 15, 1431).

     

    PRAXISHINWEIS | Innerhalb der Antragsfrist müssen die Begründung und etwaig vorzulegende Schriftstücke oder präsente Beweismittel regelmäßig vollständig vorliegen. Nach Fristablauf sind maximal noch Ergänzungen oder Vertiefungen von Tatsachenschilderungen zulässig, die im Kern bereits innerhalb der Antragsfristen erfolgt sind. Das Nachschieben eines unterbliebenen Tatsachenvortrags ist dagegen nicht zulässig (BFH 27.6.08, III B 183/07).

     
    • Beispiel

    Wird geltend gemacht, dass ein Schriftsatz rechtzeitig abgesandt worden ist, ist es erforderlich, den Absendevorgang näher darzustellen. Dazu muss im Einzelnen genau geschildert werden, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise den Brief, in dem sich das betreffende Schriftstück befunden haben soll, zur Post gegeben hat. Die bloße Vorlage des betreffenden Auszugs aus dem Postausgangsbuch genügt nicht (vgl. FG München 18.3.14, 7 K 3546/11).

     

    2. Einzelheiten zu aktuellen Praxisproblemen

    Im Folgenden sei auf eine Reihe von praxisrelevanten Problemfällen aus der aktuellen Rechtsprechung eingegangen. Eine vertiefende Darstellung findet sich bei Gräber/Stapperfend, FGO, § 56 Rz. 20 „ABC der Wiedereinsetzungsgründe“.

     

    2.1 Versäumung der Rechtsmittelfrist bei Erkrankung

    Ein steuerlicher Berater ist nur dann i.S. des § 56 FGO ohne Verschulden verhindert, die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels einzuhalten, wenn er die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet hat. Hierzu gehört auch, dass er für den Fall seiner Erkrankung seiner individuellen Arbeitsweise angepasste Vorkehrungen zur Vermeidung eines Fristversäumnisses trifft (BFH 6.8.15, III B 46/15, BFH/NV 15, 1593).

     

    PRAXISHINWEIS | Für eine schlüssige Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags reicht daher eine Darlegung der Krankheit allein nicht. Es sind vielmehr substantiierte Ausführungen dazu erforderlich, welche Vorkehrungen (Büroorganisation, Bestellung eines Vertreters) der Prozessbevollmächtigte getroffen hat, um eine Fristversäumnis zu vermeiden, oder aus welchen Gründen (z.B. plötzlicher Ausbruch der Krankheit) der Prozessvertreter Maßnahmen dieser Art nicht hat ergreifen können (etwa BFH 30.8.05, III R 15/05, BFH/NV 06, 89). Zu Fragen der erforderlichen Notfallvorsorge bei plötzlicher Erkrankung siehe auch BFH 6.11.14, VI R 39/14, BFH/NV 15, 339.

     

    2.2 Anforderung an die Büroorganisation

    Die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen muss so organisiert werden, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bietet (BFH 28.7.15, II B 150/14, BFH/NV 15, 1434). Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (vgl. BGH 26.2.15, III ZB 55/14, auch zu den Anforderungen an eine allabendliche Kontrolle der Erledigung fristgebundener Sachen).

     

    PRAXISHINWEIS | Bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftstücks per Telefax darf die betreffende Frist erst gelöscht werden, wenn ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis (Sendebericht) vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt (BFH 18.3.14, VIII R 33/12, BStBl. II 14, 922).

     

    2.3 Fristenkontrolle und Postausgangskontrolle

    Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, eine Fristenkontrolle anhand eines Postausgangsbuchs und eines Fristenkontrollbuchs am Abend eines jeden Arbeitstages sicherzustellen. Trifft er hierfür keine Vorkehrungen, liegt ein Organisationsmangel vor (BFH 8.7.15, III R 4/15).

     

    PRAXISHINWEIS | Die bloße Anweisung, dass diejenige Mitarbeiterin, die zuletzt die Kanzlei verlässt, anhand des Fristenkalenders prüft, ob alle Fristen erledigt sind, genügt nicht den Anforderungen an eine zur Vermeidung von Fristversäumnissen geeignete Kanzleiorganisation (BFH 15.5.15, II R 28/14, BFH/NV 15, 1262). Zum notwendigen Sachvortrag für die Ausräumung eines Organisationsverschuldens hinsichtlich der Fristenkontrolle bei „einmaligem Versehen“ einer zuverlässigen Bürokraft s. aktuell auch BGH 26.2.15, III ZB 55/14, NJW 15, 2041. Zur Erforderlichkeit einer abendlichen Kontrolle der in dem elektronischen Fristenkontrollbuch eingetragenen Fristen s. BFH 18.6.15, IV R 18/13, BFH/NV 15, 1349.

     

    Bei der Beurteilung, ob sich das Finanzamt die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (BFH 16.9.14, II B 46/14, BFH/NV 15, 49).

     

    2.4 Anforderungen an die Substantiierung: Verlust auf dem Postweg

    Beruft sich ein Steuerberater zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde darauf, dass das zur Wahrung der Frist erforderliche Schreiben auf dem Postweg verlorengegangen sei, muss er innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist insbesondere angeben, zu welchem Zeitpunkt der Briefumschlag von welcher Person und auf welche Weise zur Post aufgegeben worden ist. Außerdem ist eine Schilderung der Fristenkontrolle nach Art und Umfang erforderlich (BFH 2.12.14, III B 36/14, BFH/NV 15, 505).

     

    PRAXISHINWEIS | Eine wirksame Fristenkontrolle ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, wenn der Steuerberater nur eine Kopie aus seinem Postausgangsbuch vorlegt, aus dem hervorgeht, dass in dem von den Aufzeichnungen umfassten Zeitraum eine Reihe von eine gesetzliche Frist wahrenden Schriftsätzen nicht in das Postausgangsbuch eingetragen wurde.

     

    2.5 Wiedereinsetzung bei isoliertem PKH-Antrag für eine beabsichtigte Klage

    Es entspricht ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass ein Beteiligter, der wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage war, die fristgebundene Klage oder das gegebene Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen, Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat, wenn er innerhalb der Klage- oder Rechtsmittelfrist alles Zumutbare tut, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Die Fristversäumung muss dann allerdings auf die Bedürftigkeit des Klägers zurückzuführen sein (BVerfG 11.3.10, 1 BvR 290/10, NJW 10, 2567; BFH 8.5.14, VII S 32/13 [PKH], BFH/NV 14, 1221).

     

    PRAXISHINWEIS | Wird ein isolierter PKH-Antrag für eine beabsichtigte Klage gegen einen Verwaltungsakt und eine hierzu ergangene Einspruchsentscheidung abgelehnt, weil der PKH-Antrag wegen unvollständiger Angaben in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ordnungsgemäß ist, ist Wiedereinsetzung in die abgelaufene Klagefrist zu versagen (FG Niedersachsen 28.1.15, 15 V 208/14, EFG 15, 750; NZB BFH VII B 29/15).

     

    2.6 Erkrankung, Eheprobleme, Arbeitsüberlastung oder fehlende Belege

    Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in eine versäumte Einspruchsfrist lässt sich weder mit einer Erkrankung begründen, die in ihrer Schwere nicht die Unfähigkeit zur Beauftragung eines Bevollmächtigten beinhaltet, noch mit dem bloßen Hinweis auf Eheprobleme, mit dem Ausstehen einer Verwalterabrechnung hinsichtlich einer vermieteten Eigentumswohnung oder mit hoher Arbeitsbelastung (FG Köln 26.3.15, 11 K 1429/14, EFG 15, 1154).

     

    PRAXISHINWEIS | Der Fall betrifft die vereinfachte Bekanntgabe eines Steuerbescheids gegenüber Ehegatten nach § 122 Abs. 7 Satz 1 AO. In diesem Zusammenhang ist auf die in der Praxis auftretenden Konsequenzen, die sich aus der Unwiderlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung der Kenntnisnahme ergeben, hinzuweisen. Ein zunächst in Unkenntnis gebliebener Ehegatten kann sich bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er vom anderen Ehegatten nicht über den Zugang des Verwaltungsakts unterrichtet worden ist (vgl. Anmerk. Rosenke, EFG 15, 1158).

     

    2.7 Technische Störung beim Faxgerät

    Ist eine technische Störung an einem Telefaxgerät bereits bekannt und weist das Sendeprotokoll auf Störungen bei der Versendung eines Telefaxschreibens hin, darf der Absender nicht einfach darauf vertrauen, das Schreiben werde den Empfänger schon leserlich erreicht haben (BFH 20.5.15, XI R 48/13, BFH/NV 15, 1263).

     

    PRAXISHINWEIS | Im Zweifelsfall sollte sich der steuerliche Berater durch entsprechende fernmündliche Rückfrage Klarheit darüber verschaffen, ob der Schriftsatz fristwahrend übertragen worden ist, um ggf. hierauf innerhalb der noch nicht abgelaufenen Frist mit weiteren Übertragungsversuchen oder der Übermittlung von einem anderen Telefaxgerät aus reagieren zu können (vgl. BFH 18.2.04, I R 45/03, BFH/NV 04, 1108).

     

    3. Fazit

    Die vorstehenden Einzelfälle zeigen, dass der steuerliche Berater bereits im Vorfeld große Anstrengungen unternehmen sollte, eine Fristversäumnis durch eine effektive Fristenkontrolle zu vermeiden und die Büroorganisation ständig auf das Einhalten der entsprechenden Regelungen zu überprüfen. Kommt es dennoch zu einem Fristversäumnis, kommen die Umstände einer effektiven Fristenkontrolle aber nur dann bei einem rechtzeitigen Wiedereinsetzungsantrag zum Tragen, wenn man die strengen Begründungsanforderungen der Rechtsprechung auch fristgerecht erfüllt. „Antrag einreichen, kurz begründen und irgendwann später substantiieren“ reicht nicht!

    Quelle: ID 43730082