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  • · Fachbeitrag · 130-Prozent-Grenze

    Neue Unruhe zu erwarten: OLG Hamm bezieht Mietwagenkosten in 130-Prozent-Grenze ein

    | Eine vom OLG Hamm per Pressemitteilung weit gestreute Entscheidung wird neue Unruhe in die 130-Prozent-Frage bringen. Es hat einem 76 Jahre alten Autofahrer, der unverschuldet einen Unfall erlitten hat, die Kosten für den Mietwagen verweigert, weil er ihn im Schnitt nur 16 km pro Tag genutzt hat. Das ist vertretbar. Mit einem für die Entscheidung des Falles nicht notwendigen Schlenker kocht jedoch das OLG ein altes Thema wieder auf. |

    16 km pro Tag zu wenig für Mietwagen

    Der 76-Jährige ließ sein Fahrzeug im Rahmen der 130-Prozent-Grenze reparieren, was ja durchaus altersgruppentypisch ist, um sich nicht mehr an neue Bedienungskonzepte gewöhnen zu müssen. Während der Reparaturdauer fährt er einen Mietwagen, nutzt ihn im Schnitt aber nur 16 km pro Tag. Das OLG Hamm verweigert ihm den Anspruch auf die Mietwagenkosten. Es verweist auf die 20 km/Tag-Faustregel und beanstandet, dass zum besonderen Bedarf nichts vorgetragen wurde. Dann jedoch sei die Ansicht des Versicherers, die Nutzung eines Taxis wäre deutlich billiger gewesen, richtig.

     

    In der Tat sagt ja der BGH, unterhalb der 20 km/Tag-Schwelle sei Vortrag dazu nötig. Insoweit ist das Urteil für den Einzelfall nicht zu beanstanden. Ob es nichts dazu vorzutragen gab oder ob das nur versäumt wurde, ist nicht erkennbar (OLG Hamm, Urteil vom 23.01.2018, Az. 7 U 46/17, Abruf-Nr. 199981).

     

    PRAXISHINWEIS | Die Klassiker des Vortrags zur Erforderlichkeit sind (wenn es so ist!):

    • Wohnort mit Unterversorgung durch Bus, Bahn und Taxen
    • Fahrbedarf nicht vorhersehbar und schwankend, wegen …
    • Gehbehinderung macht Mietwagen notwendig
    • Ständige Verfügbarkeit eines Fahrzeugs notwendig wegen „Alarmsituationen“: Feuerwehrmann, Arzt mit Rufbereitschaft, Pflege hilfsbedürftiger Angehöriger
     

    Schlenker des Gerichtes kocht altes Thema wieder auf

    Nach Abhandlung des 20 km/Tag-Themas heißt es in der Pressemitteilung, und es wäre für die Fallentscheidung gar nicht notwendig gewesen: „Hinzu komme, dass der Kläger bei der Reparatur ‒ zulässig ‒ unter Wahren seines Integritätsinteresses im Rahmen der 130-Prozent-Grenze seinen Wagen habe reparieren lassen. Entschließe sich der Geschädigte bei einer derartigen Situation zur Reparatur seines Fahrzeugs, müsse er die 130-Prozent-Grenze beim Anmieten seines Ersatzfahrzeugs reflektieren. Das habe der Kläger im vorliegenden Fall nicht ausreichend getan, weil die von ihm geltend gemachten Reparaturkosten von ca. 4.300 Euro und die Mietwagenkosten von ca. 1.230 Euro die 130-Prozent-Grenze von 5.070 Euro überschritten.“

     

    Wichtig | Das wird die Versicherungswirtschaft, die diese Verknüpfung der magischen Linie mit den Mietwagenkosten immer wieder versucht hat, gern lesen und in Zukunft mit Freude aufgreifen.

     

    Die Linie des BGH ist bekannt: Im Regelfall nein, im Ausnahmefall ja

    Dazu gibt es schon Rechtsprechung. Ausgangspunkt ist die Entscheidung des BGH (Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90, Abruf-Nr. 092354). Dort heißt es: „Der Vergleich von Reparaturaufwand und Wiederbeschaffungswert kann seine Aussagekraft für die Berechtigung der Reparatur verlieren, wenn die Mietwagenkosten bei der Reparatur in krassem Missverhältnis zu denjenigen bei einer Ersatzbeschaffung stehen.“

     

    Im Regelfall spielen die Mietwagenkosten also keine Rolle. Nur, wenn die Reparatur deutlich länger dauert als die Ersatzbeschaffung, gilt: Ist der Unterschied zwischen den Mietwagenkosten bei der durchgeführten Reparatur und bei der gedachten Wiederbeschaffung „krass“ (!), kann das den Ausschlag geben. Es geht dabei also per se nur um die Mietwagenkostendifferenz. Doch bei den meist knappen 130-Prozent-Fällen ist es oft egal, ob die gesamten Mietwagen- oder nur die Differenzkosten einbezogen werden.

     

    Im Ausgangsfall des BGH ging es um einen Exoten mit schwieriger Ersatzteilbeschaffung. Die Reparatur dauerte 42 Tage, die Wiederbeschaffungsdauer wurde mit 25 Tagen geschätzt. Dieser Unterschied genügte dem BGH nicht, um die Berechtigung der Reparatur zu verneinen.

     

    Vom OLG Köln und LG Rostock ebenso richtig einzelfallbezogen umgesetzt

    • Das Urteil des OLG Köln (Urteil vom 16.02.2006, Az. 7 U 73/05, Abruf-Nr. 199982) bezieht sich ausdrücklich auf den BGH. Im Kölner Fall lagen die Reparaturkosten nur knapp unter der 130-Prozent-Grenze. Die tatsächliche Reparaturzeit lag beim Dreifachen der voraussichtlichen Wiederbeschaffungszeit. Dann kann die Einbeziehung der Mietwagenkostendifferenz berechtigt sein. Für den Normalfall ist sie es jedoch nicht.

     

    • Im Fall des LG Rostock war die Reparatur mit fünf Tagen prognostiziert. Währenddessen erwies sich ein Ersatzteil als nicht lieferbar. Am Ende hatte der Geschädigte den Mietwagen 52 Tage genutzt, also für den zehnfachen und damit gewiss „krass“ längeren Zeitraum. War diese krass längere Reparaturzeit aber zum Zeitpunkt des Reparaturauftrags nicht vorhersehbar, bleiben die Mietwagenkosten für die Grenzziehung außer Betracht. Das Gericht betont: Zum Zeitpunkt des Reparaturentschlusses durfte der Geschädigte sogar davon ausgehen, dass die Reparatur schneller erledigt sei, als die vom Schadengutachter mit 14 Tagen prognostizierte Wiederbeschaffung (LG Rostock, Urteil vom 08.06.2012, Az. 9 O 207/11 [2]), Abruf-Nr. 122570).

     

    PRAXISHINWEIS | Die Versicherer werden das Urteil des OLG Hamm mit Sicherheit aufgreifen. UE hat daher den Textbaustein 085 „Mietwagen und 130-Prozent-Grenze (H)“ neu gefasst. Der Textbaustein ist dazu gedacht, dass Sie ihn an Ihre Anwälte weitergeben, als dass Sie ihn selbst nutzen. Denn 130-Prozent-Fälle sollten immer Anwaltssache sein. Das wird auch Ihr Kunde einsehen. Wichtig ist: Der Textbaustein muss am Ende an den jeweiligen Fall angepasst werden.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 7 | ID 45174391