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  • · Fachbeitrag · Aktuelle BFH-Rechtsprechung

    Neues zum Kindergeldanspruch bei Auslandsbezug

    von RA Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

    In mehreren Entscheidungen hat der BFH zu Einzelfragen des Kindergeldanspruchs mit Auslandsbezug Stellung genommen. Dabei ging es um Kindergeld aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit (BFH 27.9.12, III R 55/10, BFH/NV 13, 304, Abruf-Nr. 130036), um den Kindergeldanspruch bei einem Promotionsstudium in Großbritannien (BFH 27.9.12, III R 13/12, BFH/NV 13, 312, Abruf-Nr. 130035) und um die Anrechnung belgischer Familienleistungen auf den Kindergeldanspruch (BFH 27.9.12, III R 40/09, BFH/NV 13, 302, Abruf-Nr. 130417).

    1. Zum Kindergeldanspruch eines türkischstämmigen Arbeitnehmers mit Auslandskindern

    1.1 Sachverhalt (III R 55/10)

    Der türkischstämmige Vater von drei minderjährigen Kindern ist deutscher Staatsangehöriger und arbeitet und wohnt im Inland. Die Kinder leben seit 2007 mit ihrer Mutter in der Türkei, haben dort ihren Wohnsitz und halten sich nur noch gelegentlich in Deutschland auf. Nach dem Wegzug der Kinder in die Türkei hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung auf und forderte bereits gezahltes Kindergeld zurück. Die hiergegen gerichtete Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

     

    1.2 Anmerkungen

    Auslandskinder deutscher Staatsangehöriger sind vom deutschen Kindergeldanspruch nach §§ 62 ff. EStG ausgeschlossen, wenn sie nicht in den in § 63 Abs. 1 S. 3 EStG genannten Staaten - zu denen die Türkei nicht zählt - wohnen. Wie der BFH weiter feststellt, steht dem Vater ein Kindergeldanspruch auch nicht aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit (SozSichAbk Türkei) zu. Nach Art. 4a SozSichAbk Türkei sollen bei der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften türkische Staatsangehörige den deutschen Staatsangehörigen in persönlicher Hinsicht gleichstehen, wenn sie sich im Gebiet einer Vertragspartei (hier also in Deutschland) gewöhnlich aufhalten. Das Abkommen ist jedoch im Streitfall nicht einschlägig, weil der Vater kein türkischer, sondern deutscher Staatsangehöriger ist. Nach dem Territorialitätsprinzip gelten in diesem Fall die deutschen Rechtsvorschriften (§§ 62 ff. EStG) auch für einen türkischstämmigen deutschen Staatsangehörigen, der sich gewöhnlich in Deutschland aufhält und somit wie jeder andere Inländer auch zu behandeln ist.

     

    PRAXISHINWEIS | Auch wenn dem Vater im Streitfall der Kindergeldanspruch versagt bleibt, kommt in Betracht, dass ihm die kindbezogenen und nach der Ländergruppeneinteilung gekürzten Freibeträge nach § 32 Abs. 6 S. 4 EStG zustehen.

     

    2. Zum Kindergeldanspruch bei einem durch Stipendium geförderten Promotionsstudium in Großbritannien

    2.1 Sachverhalt (III R 13/12)

    Der Sohn nahm in 2007 ein Promotionsstudium in Großbritannien auf. Die Universität zahlte ihm ein nach englischem Steuerrecht steuerfreies Stipendium für 2007 (2.657 EUR) und 2008 (18.000 EUR) aus. Die Familienkasse versagte der Mutter das Kindergeld für den Sohn ab Januar 2008 mit der Begründung, dass die Einkünfte des Sohnes den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG überschreiten würden und die Kosten für Unterkunft und Verpflegung nicht als besondere Ausbildungskosten berücksichtigt werden könnten. Nach erfolglosem Klageverfahren hat der BFH jetzt das FG-Urteil aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

     

    2.2 Anmerkungen

    Der Streitfall betrifft den Kindergeldanspruch für ein volljähriges, jedoch noch nicht 25 Jahre altes Kind, das ein durch ein Stipendium gefördertes Promotionsstudium in Großbritannien absolviert. Ausgangspunkt der BFH-Entscheidung ist der Begriff der „Einkünfte“ in § 32 Abs. 4 S. 2 EStG, der dem Einkünftebegriff in § 2 Abs. 2 EStG entspricht und als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen ist. Der Einkünftebegriff umfasst nach dem Welteinkommensprinzip zwar grundsätzlich auch im Ausland erzielte Einkünfte, jedoch nur, wenn nicht ein DBA das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte einem anderen Staat zuweist. Das BFH-Urteil ist hiernach wie folgt zusammenzufassen:

     

    • Erhält ein Kind, das ein Promotionsstudium in Großbritannien durchführt, von der ausländischen Universität ein Stipendium, das zu Einkünften führt, für die das Besteuerungsrecht Großbritannien zusteht (Art. 28 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Großbritannien), ist bei der Berechnung der nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG für den Kindergeldanspruch maßgeblichen Einkünfte und Bezüge des Kindes nur der Saldo aus den in Großbritannien erzielten Einnahmen und den damit in Zusammenhang stehenden Werbungskosten oder Betriebsausgaben bei den Bezügen anzusetzen.

     

    • Stehen die Aufwendungen für das Promotionsstudium in keinem Veranlassungszusammenhang mit Einkünften, für die Großbritannien das Besteuerungsrecht zusteht, können sie als vorweggenommene Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn sie in einem Veranlassungszusammenhang mit einer künftigen Berufstätigkeit des Kindes im Inland stehen (BFH 4.11.03, VI R 96/01, BStBl II 04, 891; BMF 22.9.10, IV C 4-S 2227/07/10.002, BStBl I 10, 721 Rz. 26).

     

    • Stehen die Aufwendungen für das Promotionsstudium weder in einem Veranlassungszusammenhang zu gegenwärtigen noch zu künftigen Einkünften, ist das Stipendium insoweit bei der Bezügeberechnung unberücksichtigt zu lassen, als es für besondere Ausbildungszwecke bestimmt ist. Solche „besonderen Ausbildungskosten“ sind alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen (BFH 14.11.00 VI R 62/97, BStBl II 01, 491). Im Übrigen mindern die Aufwendungen die Einkünfte und Bezüge dann und insoweit, als sie als Werbungskosten zu berücksichtigen wären, wenn sie im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses angefallen wären.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Entscheidung ist nur noch für Veranlagungszeiträume bis 2011 von Bedeutung. Denn mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 (BGBl I 11, 2131) ist die Einkünfte- und Bezügegrenze für volljährige Kinder in § 32 Abs. 4 S. 2 bis 10 EStG weggefallen. Ab VZ 2012 ist deshalb nur noch zu prüfen, ob das betreffende Kind einer Vollerwerbstätigkeit nachgeht (vgl. BR-Drs. 54/11, 12).

    3. Anrechnung belgischer Familienleistungen auf Kindergeldanspruch

    3.1 Sachverhalt (III R 40/09)

    Die deutsche Ehefrau wurde vom FA im Zeitraum 2006/2007 gemäß § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Ihr Mann ist belgischer Staatsangehöriger und in Belgien steuerpflichtig. 2006 verlegten die Eheleute mit ihrem Sohn den Wohnsitz nach Belgien. Als die Familienkasse vom Umzug erfuhr, forderte sie das in Deutschland gezahlte Kindergeld ab dem Zeitpunkt des Umzugs zurück. Im Einspruchs- und Klageverfahren wurde unter Hinweis auf Art. 76 ff. VO Nr. 1408/71, die die Konkurrenz zwischen den Kindergeldansprüchen verschiedener Mitgliedstaaten regeln, um das Differenzkindergeld gestritten. Die Besonderheit liegt darin, dass in Belgien Familienleistungen zwar vorgesehen, im Streitfall jedoch nicht beantragt worden waren.

     

    3.2 Anmerkungen

    Der BFH hat nunmehr den EuGH in Bezug auf die Anwendung von Art. 76 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 bei nicht gestelltem Antrag auf Leistungsgewährung im Wohnmitgliedstaat angerufen. Es geht um die Frage, ob es im Ermessen des zuständigen Trägers des Beschäftigungsmitgliedstaats steht, Art. 76 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 anzuwenden, wenn im Wohnmitgliedstaat der Familienangehörigen tatsächlich kein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt worden ist und - wenn ja - welche Ermessenserwägungen der Familienleistungsträger in diesem Fall anzustellen hat (EuGH, C-4/13).

     

    PRAXISHINWEIS | Zum Problem der Konkurrenz von Kindergeldansprüchen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ist noch ein weiteres Verfahren beim BFH anhängig, das das Kindergeld in den Niederlanden betrifft (BFH XI R 47/10). In vergleichbaren Fällen sollten Steuerpflichtige deshalb die Entscheidung des EuGH abwarten und deshalb entsprechende Bescheide offenhalten.

    Weiterführende Hinweise

    • Die VO (EWG) 1408/71 wurde mit Wirkung vom 1.5.10 durch Anwendung der VO (EG) 883/2004 i.V.m VO (EG) 987/2009 aufgehoben.
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 59 | ID 37434380

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