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· Fachbeitrag · Arbeitsunfähigkeit

Die „Fortsetzungserkrankung“ im Arbeitsrecht ‒ Bedeutung und prozessuale Besonderheiten

von RA Christian Deutz, FA Arbeitsrecht, Aachen

| Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderungen die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen. Ein weiterer Entgeltfortzahlungsanspruch besteht in diesem Zusammenhang nur, wenn die erste Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem eine weitere Erkrankung zu der neuen Arbeitsverhinderung führt. Nach dem sog. Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls wird der Entgeltfortzahlungsanspruch insoweit grundsätzlich auf sechs Wochen begrenzt. |

1. Das praktische Problem

Erfahrungsgemäß herrscht in der arbeitsrechtlichen Praxis häufig Unsicherheit beim Zusammentreffen mehrerer Verhinderungstatbestände sowie deren rechtlicher Einordnung und Folgen.

 

Hier soll es nunmehr um die in der Praxis regelmäßig auftretenden „Fortsetzungserkrankungen“ unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten gehen. Insoweit soll das Augenmerk auf die entsprechend notwendige rechtliche Abgrenzung zu anderen Verhinderungstatbeständen gerichtet werden, insbesondere auch im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in prozessualer Hinsicht.

2. Die gesetzliche Ausgangslage

Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

3. Die Fortsetzungserkrankung

Wiederholte Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit und damit eine sogenannte Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte, in der Zeit zwischen dem Ende der vorausgegangenen und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Grundleiden latent weiterbestanden hat, sodass die neue Erkrankung nur eine Fortsetzung der früheren Erkrankung ist (BAG 13.7.05, 5 AZR 389/04, Abruf-Nr. 060191). Die wiederholte Arbeitsunfähigkeit muss auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruhen. Dieses kann auch verschiedene Krankheitssymptome zur Folge haben.

4. Die entsprechende gesetzliche Regelung

Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (§ 3 Abs. 1 S. 2 EFZG).

 

Es handelt sich hierbei insofern um eine gesetzliche Ausnahmeregelung zugunsten des Arbeitgebers.

5. Die Rechtsprechung des BAG

Wird der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut krankheitsbedingt arbeitsunfähig, ist nach der Rechtsprechung des BAG zu differenzieren:

 

  • Ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen entsteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht.

 

  • Ist dagegen dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeitsunfähigkeit, liegt eine Fortsetzungserkrankung im o. g. Sinne vor. Dann entsteht die Leistungspflicht des Arbeitgebers nicht mit jeder einzelnen Erkrankung „automatisch“ von neuem, sondern nur unter den o. g. Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG.

 

Der Arbeitnehmer muss die anspruchsbegründenden Tatsachen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs darlegen und im Streitfall beweisen.

 

Nach der ursprünglichen Rechtsprechung des BAG traf für das Bestehen einer entsprechenden Fortsetzungserkrankung im vorgenannten Sinne den Arbeitgeber die Beweislast. Begründung war, dass es sich hierbei um eine Ausnahmeregelung von dem allgemeinen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall handelte.

 

In der Folgezeit hat das BAG in seiner Rechtsprechung dann den Umstand berücksichtigt, dass der Arbeitgeber kaum in der Lage ist, das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung darzulegen. Er wird ja über die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht unterrichtet. Zwar kann er bei der zuständigen Krankenkasse nachfragen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Die entsprechende Regelung greift jedoch nicht bei Arbeitnehmern, die nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Hinzu kommt, dass für den Arbeitgeber keine Möglichkeit besteht, die wertende Mitteilung der Krankenkasse zu überprüfen.

 

Insoweit hat das BAG dann im Rahmen seines Urteils vom 13.7.05, 5 AZR 389/04, darauf hingewiesen, dass der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen bei der Verteilung der Darlegungslast zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung Rechnung zu tragen ist. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer gem. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG bei Arbeitsunfähigkeit in Folge Krankheit zunächst einen Entgeltfortzahlungsanspruch von sechs Wochen hat. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG trägt dabei der Arbeitnehmer. Er genügt seiner Darlegungs- und Beweislast regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

 

Ist der Arbeitnehmer jedoch innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Dabei hat der Arbeitnehmer den Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden (BAG 13.7.05, 5 AZR 389/04, Abruf-Nr. 060191).

 

Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung sind allerdings vom Arbeitgeber zu tragen, denn nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG trifft nach Auffassung des BAG den Arbeitgeber die objektive Beweislast.

6. Relevanz für die Praxis

Die Ausführungen des BAG insbesondere zur Darlegungs- und Beweislastverteilung sind nach wie vor von allgemeiner Bedeutung für die arbeitsrechtliche Praxis.

 

Das BAG hat insbesondere auf die insofern bestehende abgestufte Darlegungs- und Beweislast im Zusammenhang mit Fortsetzungserkrankungen hingewiesen.

 

Es hat aber auch zugunsten des Arbeitgebers hervorgehoben, dass eine in der arbeitsrechtlichen Praxis häufig anzutreffende wertende Mitteilung etwa der Krankenkasse, wonach zwei Krankheiten vermeintlich nicht miteinander im Zusammenhang stehen, keine ausschlaggebende Bedeutung hat, zumal der Arbeitgeber entsprechende Mitteilungen auch gar nicht überprüfen kann.

 

Hier darf insoweit auch nicht das „finanzielle Eigeninteresse“ der Krankenkassen unberücksichtigt bleiben, nicht mit entsprechenden Kosten belastet zu werden, indem eine eigene Eintrittspflicht in Abrede gestellt wird.

 

Weiterführender Hinweis

  • Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ‒ BAG zur Einheit des Verhinderungsfalls: BAG SR 20, 101
Quelle: Ausgabe 07 / 2020 | Seite 120 | ID 46654677