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· Fachbeitrag · Arbeitsunfähigkeit

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ‒ BAG zur Einheit des Verhinderungsfalls

von RA Christian Deutz, FA Arbeitsrecht, Aachen

| Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Problematisch ist der Fall, dass eine neue Erkrankung im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende einer zuvor bestehenden Erkrankung auftritt. Hier stellt sich die Frage, ob der Sechs-Wochen-Zeitraum für die Entgeltfortzahlung erneut zu laufen beginnt. Mit einem derartigen Fall hatte sich jüngst das BAG auseinanderzusetzen. |

 

Sachverhalt

Die im Jahr 1954 geborene Klägerin stritt mit der beklagten Arbeitgeberin über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 19.5. bis zum 29.6.17. Bis einschließlich Juli 2017 war die Klägerin bei der Beklagten als Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt. Seit August 2017 befindet sie sich im Ruhestand. Seit dem 7.2.17 war sie infolge eines psychischen Leidens (erneut) arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung bis einschließlich 20.3.17. Anschließend bezog die Klägerin bis einschließlich Donnerstag, den 18.5.17, Krankengeld. Am Folgetag (Freitag, 19.5.17) unterzog sich die Klägerin einem operativen Eingriff, der bereits seit längerem geplant war. Bereits am Vortag wurde der Klägerin durch ihre Ärztin mit einer „Erstbescheinigung“ Arbeitsunfähigkeit vom 19.5. bis zunächst zum 16.6.17 und mit einer „Folgebescheinigung“ bis zum 30.6.17 attestiert.

 

In der Folgezeit begann die Klägerin eine psychotherapeutische Behandlung unter Verordnung von Psychopharmaka. Für die Zeit vom 19.5. bis 29.6.17 leistete weder die Beklagte Entgeltfortzahlung noch die Krankenkasse Krankengeld.

 

Mit der Klage machte die Klägerin geltend, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18.5.17 geendet. Erst die anschließende Operation vom 19.5.17 habe erneut zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt. Daher sei ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen entstanden.

 

Die beklagte Arbeitgeberin hat u. a. die Auffassung vertreten, dass die fortbestehende psychische Erkrankung der Klägerin über den 18.5.17 hinaus Arbeitsunfähigkeit verursacht habe. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls habe ihre Entgeltfortzahlungspflicht mit Ablauf von sechs Wochen am 20.3.17 geendet.

 

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Klage abgewiesen. Dem hat sich das BAG angeschlossen.

 

Entscheidungsgründe

Das BAG hat einen Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 EFZG für den Zeitraum vom 19.5.17 bis zum 29.6.17 verneint (11.12.19, 5 AZR 505/18, Abruf-Nr. 212762).

 

Der Entgeltfortzahlungsanspruch ist nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls auch dann auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Dies wiederum ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist grundsätzlich die Entscheidung des Arztes, der Arbeitsunfähigkeit im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertags bescheinigen wird. Dies gilt unabhängig davon, ob das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeits- oder arbeitsfreien Tag fällt.

 

Diese Grundsätze hat das BAG bereits im Rahmen seines Urteils vom 25.5.16, 5 AZR 318/15, Abruf-Nr. 187427, aufgestellt. Davon ausgehend ist das Gericht im konkreten Fall davon ausgegangen, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem 19.5.17 keinen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch begründet hat. Im Rahmen der Beweisaufnahme vor dem LAG konnte die Klägerin nicht beweisen, dass die neue Erkrankung erst zu einem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit ausgelöst hat, zu dem die vorangegangene krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war.

 

Zunächst hat das BAG festgestellt, dass nach allgemeinen Grundsätzen der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG trägt. Neben der Tatsache der Arbeitsunfähigkeit trifft ihn auch die Beweislast für deren Beginn und Ende.

 

  • Meldet sich der Arbeitnehmer im unmittelbaren Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank und bestreitet der Arbeitgeber unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit infolge der „neuen“ Krankheit erst eingetreten sei, muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass die neue Arbeitsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war.

 

  • Will der Arbeitnehmer Beginn und Ende der auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit darlegen und nachweisen, kann er sich zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass sich die Erkrankungen, hinsichtlich derer dem Arbeitnehmer jeweils Arbeitsunfähigkeit attestiert worden ist, überschneiden, so ist der Beweiswert der dem Arbeitnehmer hinsichtlich der „neuen“ Krankheit ausgestellten „Erstbescheinigung“ erschüttert. Der Arbeitnehmer muss dann für den Zeitpunkt der Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit wegen einer „früheren“ Krankheit vor Eintritt der neuerlichen Arbeitsverhinderung den Vollbeweis erbringen. Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung.

 

Ausgehend hiervon besteht nach Ansicht des BAG regelmäßig ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls, wenn sich an eine „erste“ Arbeitsverhinderung in engem zeitlichen Zusammenhang eine dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit so anschließt, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder dass zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. In diesem Fall ist dem Arbeitnehmer zuzumuten, seine Behauptung, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren und Beweis zu erbringen.

 

Im konkreten Streitfall sah das BAG einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den der Klägerin bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten als gegeben an.

 

  • Der Klägerin war Arbeitsunfähigkeit bis zum 18.5.17 bescheinigt worden. Daran schloss sich die der Klägerin am 18.5.17 ab dem 19.5.17 im Wege einer Erstbescheinigung attestierte Arbeitsunfähigkeit unmittelbar an. Dies hat das BAG als Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls angesehen. Zudem spricht nach der Entscheidung des BAG viel dafür, dass in dem unstreitigen Fortbestand der psychischen Erkrankung über den 18.5.17 hinaus und der damit zusammenhängenden Behandlung der Klägerin ein ausreichendes Indiz für das Bestehen eines einheitlichen Verhinderungsfalls liegt.

 

  • Damit oblag es der Klägerin, den Vollbeweis für den Ausschluss eines einheitlichen Verhinderungsfalls zu erbringen. Nach durchgeführter Beweisaufnahme ist ihr dies nicht gelungen. Als Zeugen waren drei behandelnde Ärzte der Klägerin auf deren Antrag hin als sachverständige Zeugen vernommen worden. Bereits das Landesarbeitsgericht war in diesem Zusammenhang von einem „non liquet“ ausgegangen.

 

Daher konnte nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls die Klägerin für die Zeit vom 7.2. bis 30.6.17 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur einmal für die Dauer von sechs Wochen verlangen. Dieser Anspruch war durch die Beklagte aber durch die bis zum 20.3.17 erbrachten Leistungen bereits unstreitig erfüllt worden.

 

Relevanz für die Praxis

Im praktischen Arbeitsleben kommt es öfter vor, dass Arbeitnehmer nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums erneut eine Erstbescheinigung eines anderen Arztes dem Arbeitgeber vorlegen. Das BAG hat die finanzielle Belastung des Arbeitgebers mit entsprechenden Entgeltfortzahlungskosten eingeschränkt, nämlich regelmäßig für den Fall, dass zwischen einer ersten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der Erstbescheinigung attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang in der bereits dargelegten Weise besteht.

 

In der Praxis ist es zudem bedeutsam, die vorgenannte Konstellation abzugrenzen von den sog. Fortsetzungserkrankungen. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Deren rechtliche Bewertung ist in § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG geregelt. Dies ist eine durch Gesetz zugunsten des Arbeitgebers getroffene Ausnahmeregelung von dem allgemeinen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Hier muss der Arbeitnehmer, der innerhalb der in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG genannten Zeiträume länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt, und ‒ sofern der Arbeitgeber den Eintritt einer neuen, auf einem anderen Grundleiden beruhenden Krankheit bestreitet ‒ seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden.

 

Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung hat indes der Arbeitgeber zu tragen. Nach der sprachlichen Fassung der vorgenannten Vorschriften trifft ihn und nicht den Arbeitnehmer die objektive Beweislast. Dies hatte das BAG bereits in seinen Urteilen vom 10.9.14, 10 AZR 651/12, Abruf-Nr. 172173, sowie vom 13.7.05, 5 AZR 389/04, Abruf-Nr. 060191, entschieden und auch in der hier besprochenen Entscheidung betont.

 

Quelle: Ausgabe 06 / 2020 | Seite 101 | ID 46585152