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· Fachbeitrag · Berufsunfähigkeitsversicherung

Auch wenn nicht explizit danach gefragt - Grunderkrankungen müssen angegeben werden

| Ein Versicherter beantragt eine Berufsunfähigkeitsversicherung und erhält ein Ankreuzformular, das nach vier Erkrankungen fragt. Er verneint alle vier, leidet jedoch schon länger an einer anderen schweren Krankheit. Selbst wenn hiernach nicht gefragt wird, muss sie angegeben werden, denn der Versicherte hat eine Offenbarungspflicht, sagt das LG Heidelberg. |

 

Sachverhalt

Der Kläger, ausgebildeter Orthopädietechniker, hatte am 1.4.10 eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Vor Vertragsschluss erhielt der Kläger ein Formular. Es war anzukreuzen, dass bis heute weder

  • ein Tumorleiden (Krebs), eine HIV-Infektion (positiver AIDS-Test), noch eine psychische Erkrankung oder ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) diagnostiziert oder behandelt wurden,

 

  • er nicht pflegebedürftig und fähig sei, vollständig seiner Berufstätigkeit nachgehen zu können.

 

Am 30.8.12 stellte der Kläger einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit. Er leide an multipler Sklerose (MS), die erstmals 2002 diagnostiziert wurde. Die Versicherung focht den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an, da der Kläger schon weit vor Vertragsschluss unter einer chronisch verlaufenden Grunderkrankung litt und für ihn eine Berufsunfähigkeit absehbar gewesen sei. Das Gericht gab dem Versicherer Recht (LG Heidelberg 8.11.16, 2 O 90/16, Abruf-Nr. 190953).

 

Entscheidungsgründe

Ob wegen arglistiger Täuschung angefochten werden kann, wenn der Antragsteller keine Angaben zu Krankheiten macht, die nicht ausdrücklich erfragt wurden, sei zwar umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Bei Vertragsschlüssen bestehe aber grundsätzlich eine Offenbarungspflicht. Auch wenn vorliegend nicht nach einer MS-Erkrankung gefragt wurde, ist diese besonders bedeutend (Gefahrenerheblichkeit), weil sie zu den Krankheiten gehört, die ein stark erhöhtes Risiko für eine Berufsunfähigkeit birgt. Dies liege so sehr auf der Hand, dass sie einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der bereits an MS erkrankt ist, nicht verborgen bleibe, sondern sich geradezu aufdränge.

 

Wegen der MS war der Kläger bereits seit 2005 als Schwerbehinderter anerkannt. Er durfte nicht davon ausgehen, dass es dem Versicherer nur um konkret genannte Krankheiten gehe. Denn dem Kläger war bekannt, dass eine MS-Erkrankung ein ebenso großes Risiko der Berufsunfähigkeit in sich birgt, wie die in dem Formular aufgeführten vier Krankheiten. Im Rahmen des § 123 BGB ist seit langem anerkannt, dass eine Täuschung auch dadurch erfolgen kann, dass offenbarungspflichtige Umstände verschwiegen werden.

 

Relevanz für die Praxis

Unfälle, Vorerkrankungen, Psychotherapien oder sonstige Erkrankungen und Behandlungen sollten bei BUV-Anträgen penibel angegeben werden. Sind die Angaben falsch oder unzureichend, kommt es häufig zu Auseinandersetzungen und der Versicherungsschutz kann komplett entfallen. Es kommt nicht nur darauf an, wonach der Versicherer fragt, sondern ob die Erkrankungen für den Versicherer erheblich sind bzw. das Risiko erhöhen. Liegt die Krankheit zudem schon länger vor, wird der Mandant kaum argumentieren können, dass er nicht von typischen Verlaufsformen und einer (wie hier) möglichen frühen Berufsunfähigkeit gewusst habe.

 

Ist ein Mandant unsicher, was er zu seiner Gesundheit angeben soll, kann ihm empfohlen werden, dem Versicherer Auskunft in Form eines Fragenkatalogs zu erteilen. Hier gibt der Antragsteller dann alle behandelnden Ärzte und Kliniken an und erfüllt damit seine Anzeigepflicht vollständig.

 

 

 

MERKE | Das OLG Hamm hat entschieden, dass es für eine arglistigen Täuschung darauf ankommt, ob der Antragsteller erkennt und billigt, dass die Versicherung bei ehrlichen und vollständigen Antworten eine BU-Versicherung entweder gar nicht oder nur zu anderen Bedingungen gewährt (13.11.15, I-20 U 191/15, 20 U 191/15; BGH 21.3.12, IV ZR 264/10). Der Versicherer muss auch nicht grundsätzlich nachfragen. Eine Nachfragepflicht besteht allenfalls, wenn die Angaben des Antragstellers widersprüchlich, unklar oder erkennbar unrichtig sind.

 

Ferner gilt: Unvollständige Antworten sind unschädlich, wenn dem Antragsteller bei Vertragsschluss komplexe Gesundheitsfragen so schnell vorgelesen wurden, dass nicht gewährleistet war, dass sie richtig verstanden wurden (OLG Stuttgart 19.4.12, 7 U 157/11). Sollte der Versicherer eine Leistung ablehnen und Gründe dafür sprechen, dass der Mandant im Gespräch mit dem Versicherungsvertreter einzelne Fragen nicht verstanden hat, kann der Bevollmächtigte hieran anknüpfen, um den Vorwurf der arglistigen Täuschung zu entkräften.

 

Weiterführender Hinweis

Quelle: Ausgabe 01 / 2017 | Seite 4 | ID 44434936