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· Fachbeitrag · Behinderungsausgleich

Blindenführhunde als notwendiges Hilfsmittel: So kann es begründet werden

| Blindenführhunde gehören zu den behinderungsbedingt notwendigen Hilfsmitteln und stellen einen unmittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V dar. Verschiedene Gerichte haben das zuletzt bestätigt. Bevollmächtigte sollten allerdings die individuelle Lebenssituation ihres Mandanten erläutern und warum allein ein Langstock nicht genügt. |

Sachverhalt

Die Klägerin begehrte, mit einem Blindenführhund als Sachleistung versorgt zu werden. Ihre Klage begründete sie damit, dass ihr allein mit ihrem Blindenlangstock eine sichere Mobilität im städtischen Wohngebiet nicht möglich ist. Denn dort seien typischerweise auftretende und sich verändernden Hindernisse und Gefahrenquellen. Die beklagte Krankenkasse erklärte hinsichtlich der Frage, ob Versorgungsverträge im Sinne von § 127 SGB V bestehen, dass solche zur Versorgung mit Blindenführhunden bislang nicht abgeschlossen seien. Im Übrigen bestünden aber auch keine Einwände, falls der Anspruch besteht. Allerdings handele es sich bei der begehrten Versorgung um einen mittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne der BSG-Rechtsprechung, dessen (enge) Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sein. Das SG Bremen gab der Klägerin Recht und verurteilte die Beklagte, die Klägerin mit einem ausgebildeten Blindenführhund zu versorgen (17.11.16, S 6 AS 64/14, Abruf-Nr. 191691).

Entscheidungsgründe

Schon ein halbes Jahr zuvor entschied das SG, dass ein Blindenführhund ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V ist (24.5.16, S 4 KR 153/15), wie es ständige BSG-Rechtsprechung ist (25.2.81, 5a/5 RKn 35/78). Entscheidend sei, dass der Hund als Hilfsmittel der behinderten Person das Sehen ermöglicht, ersetzt oder ergänzt. Dies unterscheide den Blindenführhund in der Regel von einem Behindertenbegleithund. Damit fallen die Blindenhunde in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Zweifel daran, dass die Klägerin von dem Führhund profitieren und ihn gleichzeitig sachgerecht halten kann, bestanden nicht, denn hierzu hatte die Klägerin plausibel und unwidersprochen ihre Lebenssituation geschildert. Die Beklagte hatte auch mit einer jüngeren Entscheidung des BSG argumentiert (10.3.11, B 3 KR 9/10 R). Dort ging es allerdings um ein Lesegerät für Barcodes auf Produktverpackungen, also ein Hilfsmittel, dass lediglich in einem einzelnen, speziellen Bereich zum Einsatz kommt, z. B. Einkauf und Produkterkennung im Haushalt, und damit nicht so umfassend unterstützt wie ein Blindenführhund. Für das SG gab es daher keinerlei Gründe, in dieser Angelegenheit von der BSG-Rechtsprechung abzuweichen.

 

PRAXISHINWEIS | Neben dem SG Bremen entschieden zuletzt mehrere Landessozialgerichte ähnlich (LSG Baden-Württemberg 10.5.12, L 11 KR 804/11; LSG Rheinland-Pfalz 2.10.13, L 5 KR 99/13). Bei einem Blindenführhund geht es um das Grundbedürfnis auf möglichst sichere Fortbewegung, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion des Sehens gewährleistet ist. Diese Funktion muss möglichst weitgehend ausgeglichen werden (BSG 16.9.04, B 3 KR 20/04 R, BSGE 93, 183; LSG Schleswig-Holstein 9.9.09, L 5 KR 60/08).

 

Relevanz für die Praxis

Krankenkassen lehnen einen Blindenführhund meist mit der Begründung ab, dass er nicht notwendig sei. Der weiße Langstock („Blindenstock“) reiche aus, da sich der Versicherte mit ihm genauso gut fortbewegen könne. Die Kasse zahlt das Tier als teureres Hilfsmittel (zw. 15.000 und 25.000 EUR) erst dann, wenn ein günstigeres wie der übliche Langstock nicht gleich gut geeignet ist. Aber Blindenführhund und Langstock sind nicht vergleichbar. Dies sehen zwar auch viele Gerichte so. Ob eine Klage allerdings Erfolg hat, hängt auch davon ab, wie genau und schlüssig begründet wird, warum der Mandant einen Blindenführhund braucht und ein Langstock eben nicht genügt. Auch kann eine nahegelegene Führhundeschule kontaktiert werden, die beispielsweise mit dem Mandanten spricht und prüft, wie gut er mit den Tieren umgehen kann. Sie kann auch dem Bevollmächtigten wertvolle Hinweise geben, ob ein Führhund neben der Blindheit auch aufgrund weiterer gesundheitlicher oder persönlicher Einschränkungen unterstützen kann. Sinnvoll ist das vor allem bei älteren Mandanten, um dem Gericht stichhaltig darzulegen, dass diese noch körperlich und psychisch in der Lage sind, den Hund zu halten und zu versorgen.

 

Dem Gericht sollte erläutert werden:

 

  • das individuelle Alltagsleben,
  • das dazu gehörende Lebensumfeld sowie sich daraus ergebende
  • wesentliche Gebrauchsvorteile.

 

Auch Ängste vor Stürzen oder Verletzungen oder psychische Störungen können, belegt durch ein fachärztliches Attest, den Klageanspruch unterstützen. Ältere Mandanten sollten daher auch ihre Krankengeschichte und den aktuellen Gesundheitszustand attestieren lassen, sofern dies unterstützt. Ebenso sollte vorgetragen werden dass der Mandant auch fähig ist, einen Führhund zu halten und zu versorgen.

 

PRAXISHINWEIS | Weitere Informationen, was Beantragung und Voraussetzungen für einen Blindenführhund betrifft, erteilt auch der DBSV (Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V., www.dbsv.org), der auch online seine umfangreiche Schriftenreihe zum Blindenrecht anbietet.

 

Weiterführende Hinweise

  • Bei Unverträglichkeit können teurere Medikamente beansprucht werden, SR 16, 134
  • Technologien und Eingabehilfen für eingeschränkte Mandanten, SR 14, 3
Quelle: Ausgabe 02 / 2017 | Seite 24 | ID 44461973