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· Fachbeitrag · Behinderungsausgleich

Blindenführhund ist Langstock überlegen

| Verschiedene Gerichte haben dies zuletzt bestätigt ( SR 17, 24 ), so nun auch das LSG Niedersachsen-Bremen. Das Gericht prüft zwar stets den Einzelfall. Weitere Erkrankungen können sich in Kombination mit der Blindheit erschwerend auswirken und das Gericht überzeugen, dass ein Blindenführhund notwendig ist. |

 

Sachverhalt

Der 50-jährige Kläger war schwerbehindert (GdB 100) und besaß die Merkzeichen „G“, „H“, „RF“ und „BL“. Er war rechtsseitig mit einer Augenprothese versorgt, linksseitig bestanden ein chronisches Glaukom, eine Aphakie, geschädigte Sehnervenfasern und Netzhautadernarben. Handbewegungen und Lichtschein konnte er wahrnehmen, darüber hinaus bestand kein Sehvermögen. Zuletzt trat eine Schwerhörigkeit hinzu, sodass ein Hörgerät verordnet wurde. Der Kläger unterlag vor dem SG, seine Berufung hatte jedoch Erfolg: Das LSG Niedersachsen-Bremen bestätigte, dass er einen Anspruch auf einen Blindenführhund habe (29.8.17, L 16/4 KR 65/12, Abruf-Nr. 197320).

 

Entscheidungsgründe

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V (Hilfsmittel bei Krankenbehandlung). Hilfsmittel müssen zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Der Anspruch umfasst gemäß § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V auch, dass Hilfsmittel geändert oder instand gesetzt bzw. Ersatz beschafft werden muss, sofern notwendig. Ein Blindenführhund gehört dazu. Ein unmittelbarer Funktionsausgleich liegt nach der Rechtsprechung des BSG vor, soweit das Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion ausgleicht, indem es die entsprechende Körperfunktion ermöglicht oder sie weitestgehend ersetzt. Auch zu der Frage kombinierter Hilfsmaßnahmen hat das Gericht klägerfreundlich entschieden.

 

 

Ein Blindenführhund bietet Ersatz für die durch Blindheit ausgefallene oder zumindest erschwerte Möglichkeit der Umweltkontrolle. Dieser Funktionsausgleich soll unmittelbar diese Behinderung betreffen und nicht erst bei den Folgen der Behinderung in bestimmten Lebensbereichen einsetzen.

 

Zwar stellte das Gericht fest, dass der Kläger mit Mobilitätstraining und Langstock inzwischen so geschult ist, dass er sich gut orientieren könne. Seine Rehabilitationslehrerin bestätigte insoweit nennenswerte Fortschritte. Gleichwohl könnten diese Fortschritte nach dem augenärztlichen Gutachten nicht darüber hinweg helfen, dass für einen Langstock ungeeignete Wegstrecken und gefährliche Straßenübergänge verbleiben. Angesichts der bei dem Kläger bestehenden Hörbehinderung sei daher ein Blindenführhund unverzichtbar.

 

Relevanz für die Praxis

Bevollmächtigte dürfen sich nicht allein auf die stützende Rechtsprechung verlassen und müssen stets begründen, warum ein Führhund notwendig ist (vgl. hierzu SR 17, 24). Dies ist im Einzelfall nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Insoweit ist es auch wichtig, dass ggf. gutachterliche Feststellungen durch den Augenarzt die notwendige Versorgung mit einem Führhund bestätigen und das Gericht dies bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann (wie es das LSG vorliegend getan hat).

 

Hilfreich sind ggf. auch Fotodokumentationen regelmäßiger Wegstrecken oder des Wohnumfeldes des Mandanten. Eine höherwertige Versorgung muss nach ärztlicher Einschätzung im Alltag deutliche Gebrauchsvorteile bieten (BSG 6.6.02, B 3 KR 68/01 R; 29.4.10 - B 3 KR 5/09 R). Allerdings können Bevollmächtigte argumentieren, dass die nötige Sicherheit und Bewegungsfreiheit oft nur mit einem Hund zu erreichen ist, da der Langstock in vielen Situationen, insbesondere im Straßenverkehr, an seine Grenzen stößt (LSG Baden-Württemberg 10.5.12, L 11 KR 804/11). Ähnlich entschied das SG Koblenz bei der Bewertung eines Laser-Langstocks. Dieser ermögliche, trotz Behinderung möglichst umfassend am allgemeinen Leben teilzuhaben und Hindernissen im Oberkörperbereich auszuweichen, was mit einem Langstock allein nicht möglich ist (15.3.17, S 11 SO 62/15, Abruf-Nr. 194843).

 

PRAXISHINWEIS | Was Bevollmächtigte oft übersehen: Bestehende oder hinzutretende Erkrankungen können sich in Kombination mit einer Blindheit stark erschwerend auswirken. Tritt ‒ wie hier ‒ eine moderate Schwerhörigkeit hinzu, ist es nicht möglich, diese durch die Sehkraft auszugleichen, selbst wenn ein Hörgerät genutzt wird. So lässt sich noch überzeugender argumentiere, dass ein Führhund erforderlich ist.

 

Weiterführende Hinweise

  • Krankenkassen müssen Blinden Laser-Langstock bezahlen, SR 17, 111
  • Blindenführhunde als notwendiges Hilfsmittel: So kann es begründet werden, SR 17, 24
Quelle: Ausgabe 11 / 2017 | Seite 187 | ID 44944350