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· Nachricht · Begutachtung

Wenn der Psychologe allein nicht genügt

| Will das Gericht ein Krankheitsbild im psychiatrischen Bereich aufklären, muss es hierfür Fachärzte für Psychiatrie oder Psychosomatik wählen. Ein Psychologe allein kann das nicht leisten. Dieser Punkt kann für Bevollmächtigte entscheidend sein, um Prozesskostenhilfe zu bekommen. |

 

Sachverhalt

Der Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall eine schwere Kopfverletzung. Um die Unfallfolgen und die Erwerbsfähigkeit des Klägers festzustellen, veranlasste der Versicherungsträger ein Erstes Rentengutachten und berechtigte den Gutachter, Zusatzgutachten zu veranlassen. Im weiteren Verlauf veranlasste dieser dann eine Begutachtung durch einen Psychologen, da man dies in der Klinik des Erstgutachters nicht durchführen könne.

 

Dieses psychologische Gutachten ergab keine Gründe dafür, dass eine klinisch relevante psychische Störungslage vorläge. Die Gesamt-MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) mit den einbezogenen Unfallfolgen wurde mit Bescheid auf 20 v. H. festgesetzt. Der Kläger sah diesen Wert als zu gering an. Sein Widerspruch gegen den Bescheid wurde abgelehnt. Seinen anschließenden Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) lehnte das Sozialgericht mangels Erfolgsaussichten ab. Die Beschwerde des Klägers hiergegen hatte jedoch Erfolg: Das LSG Thüringen bejahte eine Erfolgsaussicht, hob den PKH-Beschluss auf und ordnete ihm einen Anwalt bei.

 

Entscheidungsgründe

 

 

Im Rahmen der Amtsermittlung war es notwendig, den Kläger psychiatrisch begutachten zu lassen. Die vorliegenden ärztlichen Befundberichte schätzten das psychiatrisch-psychologische Krankheitsbild und ob eine aktuell therapeutische Behandlung notwendig sei, unterschiedlich ein. Es sei daher nicht abwegig gewesen, dass Erkrankungen im psychiatrischen Bereich vorlagen. Diagnostiziert und beurteilt wurde jedoch nicht durch einen Psychiater, sondern durch Psychologen.

 

Da diese die notwendigen ärztlichen Feststellungen nicht leisten können (vgl. Grafik), seien auch weitere Ermittlungen von Amts wegen notwendig. Eben daher durfte das SG die Erfolgsaussicht nicht jetzt schon nicht vereinen und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) nicht ablehnen.

 

Relevanz für die Praxis

Die Erfolgsaussicht steht und fällt hier mit der Tatsache, ob das Gericht den Gesundheitszustand des Klägers ausreichend aufgeklärt hat. Und vor allem: Ob diese Aufklärung auch von den entsprechend qualifizierten Fachärzten durchgeführt wurde. Liegen unterschiedliche Einschätzungen vor und muss das Gericht Erkrankungen oder medizinische Einzelheiten aufklären, so muss es auch entsprechend qualifizierte Fachärzte beauftragen.

 

Kann nachgewiesen werden, dass die Aufklärung fehlerhaft bzw. durch hierfür fachlich nicht qualifizierte Personen geschah, muss das Gericht weitere oder ergänzende Stellungnahmen einholen und kann dann auch nicht PKH ablehnen, da die Erfolgsaussicht zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden kann.

 

Daher sollten Bevollmächtigte eingeholte Gutachten stets auch auf die Urheberschaft prüfen bzw. ob das Gericht auch aktiv wird, wenn sich am Gutachten anderweitige Zweifel aufdrängen. Setzt das Gericht im Übrigen eine Gesamt-MdE fest, muss es sich hierzu in den Urteilsgründen auch mit eigenen Erwägungen äußern. Bezieht sich das Gericht ausschließlich auf die Gutachten, die ggf. noch nicht einmal Angaben enthalten, wie die Höhe der MdE einzuschätzen ist, genügt dies nicht (LSG Thüringen 1.3.18, L 1 U 936/17).

 

PRAXISTIPP | Ein SG handelt verfahrensfehlerhaft, wenn ein psychiatrisches Gutachten mit beachtlichen Argumenten angezweifelt wird und das Gericht nicht erklärt, warum es laut Sitzungsniederschrift eine mehrfach angeregte Einholung einer ergänzenden Stellungnahme nicht für erforderlich gehalten hat (LSG Thüringen, a.a.O.). Diagnostiziert der Gutachter eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge eines Unfalls, muss er angeben, von welchem wissenschaftlichen Erkenntnisstand er hinsichtlich Diagnose und anschließender Kausalitätsprüfung ausgegangen ist. Es ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen (vgl. BSG 24.7.12, B 2 U 9/11 R).

 

Weiterführende Hinweise

  • Viel Neues bei der Erwerbsminderungsrente, SR 17, 141
  • Erwerbsminderung bei Depressionen, SR 14, 174
Quelle: Ausgabe 05 / 2018 | Seite 79 | ID 45237224