Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Testierfähigkeit eines Betreuten

Sittenwidrigkeit eines notariellen Testaments zugunsten des Betreuers

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| In einer neuen Entscheidung zum Betreuungsrecht hat das OLG Celle zu zwei Problemkreisen sehr umfangreich Stellung genommen: Es wird verdeutlicht, dass eine Testierunfähigkeit zwar durch denjenigen zu beweisen ist, der sich auf diese beruft, die Anforderungen dafür in der Praxis aber nicht überspannt werden dürfen. Noch spannender sind die richterlichen Ausführungen zur Sittenwidrigkeit eines notariellen Testaments zugunsten eines gesetzlichen Betreuers. |

 

  • 1. Zur Feststellung der Testierunfähigkeit eines unter Betreuung stehenden Erblassers.
  • 2. a) Ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, kann ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines „Seniorenbetreuers“ sittenwidrig sein, wenn ‒ wie vorliegend ‒ eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.
  • 2. b) Dass als Folge der Nichtigkeit des Testaments der Fiskus erben wird (§ 1936 S. 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zugunsten der eingesetzten Erben.
 

Sachverhalt

Die Parteien streiten um das Erbe des Betroffenen. Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Abkömmlinge. Aufgrund schwerwiegender körperlicher und geistiger Erkrankungen wurde eine Rechtsanwältin als Berufsbetreuerin bestimmt. Darüber hinaus hat ein sog. „Seniorenbetreuer“ vereinzelt Leistungen wie Spaziergänge, Tanken, Einkäufe o. Ä. für den Betroffenen mit der Rechtsanwältin abgerechnet. Den Kontakt zu diesem hatte die Rechtsanwältin hergestellt.

 

Einige Monate nach dem Beginn der Betreuung hat der Betroffene seine Erbfolge in Anwesenheit der Berufsbetreuerin durch notarielles Testament dahingehend geregelt, dass sein Vermögen von ca. 350.000 EUR zu je 1/2 seiner Betreuerin und seinem Seniorenbetreuer zufallen soll. Der beurkundende Notar hat keine Anzeichen für eine Testierunfähigkeit festgestellt.

 

Im Rahmen der später erfolgten Verlängerungsentscheidung über die gesetzliche Betreuung wurde der Betroffene richterlich angehört. Er kannte die Betreuerin nicht mit dem Nachnamen und wehrte sich gegen die Betreuung. Erst nach dem direkten persönlichen Kontakt mit der Betreuerin erkannte der Betroffene diese wieder, wobei ihm jedoch nur deren Vorname erinnerlich war.

 

Nachdem der Betroffene mehrere Jahre später verstorben ist, hat die Rechtsanwältin sodann einen gemeinschaftlichen Erbschein für sich und den Seniorenbetreuer beantragt. Der Erbscheinsantrag wurde vom AG zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde zurückgewiesen. Gegen die Rechtsanwältin, den Seniorenbetreuer und weitere Beschuldigte laufen staatsanwaltliche Ermittlungen wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug zulasten von vermögenden Betreuten.

 

Im vorliegenden Verfahren klagt der zwischenzeitlich bestellte Nachlasspfleger gegen die Rechtsanwältin und den Seniorenbetreuer im Wege der Stufenklage zunächst auf Auskunft. Das LG hat ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches anders als frühere behandelnde Ärzte des Betroffenen zu folgendem Ergebnis kommt: Entscheidendes Anzeichen für die Testierunfähigkeit des Erblassers im fraglichen Zeitpunkt sei die Tatsache, dass es für die Erbeinsetzung der bedachten Personen keinen Grund gab. Die eine sei nichts weiter als die ihm gerichtlich bestellte Betreuerin, deren Nachnamen er ausweislich der richterlichen Anhörung nicht einmal gekannt habe; die andere Person jemand, zu dem überhaupt keine Beziehung zum Erblasser im Verfahren vorgetragen worden sei. Das LG hat der Klage des Nachlasspflegers daher stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Das OLG hat die seitens der beklagten Berufsbetreuerin eingelegte Berufung zurückgewiesen (OLG Celle, 6. Zivilsenat, 7.1.21, 6 U 22/20). Das notarielle Testament vom 4.5.05 sei unwirksam, und zwar sowohl wegen Testierunfähigkeit des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung, als auch wegen der Sittenwidrigkeit des notariellen Testaments.

 

Erblasser war testierunfähig

Zwar würden Störungen der Geistestätigkeit für sich genommen noch nicht zwangsläufig zur Testierunfähigkeit führen. Andererseits genüge es auch nicht für die Feststellung der Testierfähigkeit, dass der Erblasser eine allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung des Testaments und von dem Inhalt seiner letztwilligen Anordnungen hatte.

 

MERKE | Der Erblasser muss vielmehr auch in der Lage sein, sich über die Tragweite dieser Anordnungen, insbesondere auch über ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen und über die Gründe, die für oder gegen ihre sittliche Berechtigung sprachen, ein klares Urteil zu bilden. Er muss nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter handeln.

 

Vorliegend sei dem Krankheitsbild des Erblassers nach den maßgeblichen sachverständigen Feststellungen immanent gewesen, dass der Zustand gewechselt habe. Im Gesamtergebnis könne eine Testierfähigkeit auch nicht durch einen lichten Moment vorgelegen haben. Der Betroffene habe dauerhaft unter den schweren Folgen eines hirnorganischen Psychosyndroms gelitten, einschließlich Desorientierung, Störung der Gedächtnisfunktion, Weglauftendenzen, Einkoten und Einnässen, Aphasie und Dysarthrie. Dies bedinge zugleich die Diagnose einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit. Die normale psychologische Bestimmbarkeit des Willens durch die dargestellte Psychopathologie sei damit außer Kraft gesetzt gewesen.

 

Testament war sittenwidrig

Darüber hinaus sei das notarielle Testament auch sittenwidrig und damit nichtig. Zwar fehle bislang eine Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind.

 

PRAXISTIPP | Allerdings würden regierungsseitige Gesetzesentwürfe vorsehen, dass es einem beruflichen Betreuer untersagt ist, von dem von ihm Betreuten Geld oder geldwerte Leistungen anzunehmen, was auch für Zuwendungen im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen gelten soll. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber im Heimgesetz bereits nach Sinn und Zweck für die dort benannten Personengruppen gleichgerichtete Verbote normiert.

 

Diesen Grundsätzen des Betreuungsrechts sei zu entnehmen, dass es das Gesetz als sittenwidrig missbilligt, wenn ein Betreuer seine ihm gerichtlich verliehene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf den Betreuten dazu benutzt, gezielt darauf hinzuwirken, dass der infolge seiner geistigen Behinderung leicht beeinflussbare Betreute ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zugunsten des Betreuers durch ein Testament vor einem Notar verfügt, der nicht von dem Betreuten als sein Berater hinzugezogen ist, sondern von dem begünstigten Betreuer.

 

Beachten Sie | Für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit reiche es dabei aus, dass sich der Betreuer, der durch die von ihm herbeigeführte letztwillige Verfügung bedacht ist, der Tatumstände bewusst ist, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt.

 

Hier habe die Berufsbetreuerin um den schlechten Gesundheits- und Geisteszustand des Betreuten gewusst. Sie sei mit diesem zu einer nur ihr bekannten Notarin gegangen, ohne dass der geringste Anlass aus der Sphäre des Betreuten dafür auch nur ersichtlich wäre. Die Testamentserrichtung sei zudem wenige Monate nach der Einrichtung der Betreuung erfolgt. Der Betroffene habe weder die Betreuerin noch den sog. Seniorenbetreuer überhaupt kennen können.

 

Beachten Sie | Dass voraussichtlich als Folge der Nichtigkeit des notariellen Testaments das Land Niedersachsen erben wird, verändere den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht, da das Erbrecht des Staates den Charakter eines wirklichen privaten Erbrechts trage.

Relevanz für die Praxis

In der Entscheidung hat sich das OLG Celle mit zwei wichtigen Problemen bei letztwilligen Verfügungen von Betreuten ausführlich befasst.

 

Darlegungs- und Beweislast zur Testierunfähigkeit

Zum einen ist die Testierunfähigkeit durch denjenigen zu beweisen, der sich auf diese beruft. Die Hürden dafür sind hoch, dürfen aber nicht überspannt werden.

 

MERKE | Der Testierende muss zumindest über die Tragweite seiner Handlungen und deren Auswirkungen im Bilde sein. Dazu gehört auch, dass er diese in Bezug auf die von ihm bedachten Personen setzen kann. Insbesondere wird zutreffend festgestellt, dass zur Testierfähigkeit auch gehört, sich ein eigenes Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter bilden zu können.

 

Beachten Sie | Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass diese Maßstäbe in der Anwendungspraxis zu erheblichen Schwierigkeiten führen, da den Möglichkeiten zur Willensbildung medizinische Feststellungen zugrunde zu legen sind.

 

Letztwillige Verfügung zugunsten Betreuer

Zum anderen geht es um die Sittenwidrigkeit eines notariellen Testaments zugunsten eines gesetzlichen Betreuers.

 

Zwar fehlt es noch immer an einem gesetzlichen Verbot für letztwillige Verfügungen zugunsten eines gesetzlichen Betreuers. Das Gericht muss aber eine entsprechende Wertung aus den Grundsätzen des Betreuungsrechts herleiten, um diese der Generalklausel des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden zugrunde zu legen.

 

PRAXISTIPP | Zutreffend wird ausgeführt, dass der Gesetzgeber es als missbräuchlich ansieht, gesetzliche Betreuer testamentarisch zu bedenken. Dies wird insbesondere aus § 14 HeimG deutlich, der eine ganz ähnliche Konstellation zum Gegenstand hat. Auch dort geht es um Personen, die berufsmäßig Leistungen erbringen. Um bereits jeden Verdacht anrüchigen Verhaltens auszuschließen, wird jede Vorteilsnahme oberhalb von Bagatellgrenzen ausgeschlossen. Für gesetzliche Betreuer kann daher nichts anderes gelten. Derzeit muss dieses richtige Ergebnis daher über § 138 BGB herbeigeführt werden.

 

Vor diesem Hintergrund hätte das OLG Celle die Revision jedoch durchaus zulassen können. Solange der Gesetzgeber keine ausdrücklichen Vorgaben in Bezug auf letztwillige Verfügungen zugunsten gesetzlicher Betreuer trifft, müssen die Maßstäbe der Sittenwidrigkeit für derartige Fallkonstellationen revisionsrechtlich ausgestaltet werden. Die vorliegende Entscheidung leistet hierzu einen wichtigen und inhaltlich zutreffenden Beitrag.

Quelle: Ausgabe 06 / 2021 | Seite 93 | ID 47301474