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· Fachbeitrag · Behindertentestament

Verlust des Vermögensschutzes bei Erbauseinandersetzung?

von RA Peter E. Springmann, FA Erbrecht und Familienrecht, München

| In SR 14, 20 hatten wir zustimmend über eine Entscheidung des LG Kassel zum Behindertentestament berichtet. Der folgende Beitrag kritisiert die Auffassung des LG Kassel, wonach das aus einer Erbauseinandersetzung erhaltene Surrogat nicht mehr zum Schonvermögen gehören soll. |

1. Ausgansproblematik

Durch das Behindertentestament kann der Erblasser dem bedürftigen Angehörigen Vermögen zukommen lassen, ohne es dem staatlichen Zugriff auszusetzen. Dies erfolgt durch Anordnung einer nicht befreiten Vorerbschaft und Dauer-Testamentsvollstreckung. Hierdurch kann der Angehörige weder in die Substanz des Nachlasses eingreifen noch deren Erträge zweckwidrig verwenden. Das Vermögen ist Schonvermögen. Wird die Erbengemeinschaft auseinandergesetzt oder der Vorerbe gegen Abfindung „abgeschichtet“, fragt sich, ob dies die Zweckbindung des Vermögens aufhebt und nun ein staatlicher Zugriff möglich ist oder ob sich die Zweckbindung fortsetzt und auch das Surrogat Schonvermögen bleibt.

 

Letztendlich ist es der Wille des Erblassers, seinem Angehörigen durch das Behindertentestament eine lebenslange Begünstigung zukommen zu lassen, die nicht durch (notwendige) Umschichtungsmaßnahmen gefährdet wird. Die letztwillige Verfügung kann nicht durch eine Maßnahme eines oder mehrerer Erben außer Kraft gesetzt werden. Ein Vermögensübergang durch letztwillige Verfügung erfolgt zu den Bedingungen, wie sie in der Verfügung von Todes wegen angeordnet sind. Wer diesen Willen des Erblassers nicht akzeptieren will, muss die Erbschaft ausschlagen, andernfalls ist er daran gebunden. Gleichwohl wird diese Rechtsauffassung seitens der Staatskasse angezweifelt.

2. Die Entscheidung des LG Kassel

In der Entscheidung des LG Kassel (über die Bezahlung von Betreuervergütung) wurden sowohl Vorerbschaft als auch Testamentsvollstreckung nach Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft als gegenstandslos angesehen und damit der staatliche Zugriff in die bis dahin geschützte Erbschaft zugelassen (17.10.13, 3 T 342/13, Abruf-Nr. 140362). Das LG führt hierzu aus:

 

  • Aus den Entscheidungsgründen

Infolge der Übertragung des Erbteils der Betroffenen auf die weitere Miterbin, Nacherbin und Testamentsvollstreckerin, die Mutter der Betroffenen, wurde der Erbteil der Betroffenen dinglich übertragen, die Erbengemeinschaft infolge des Eintritts von Personenidentität aufgelöst und sämtliche auf dem Erbteil der Betroffenen liegenden Beschränkungen gegenstandslos. Der vertraglich vereinbarte

Herauszahlungsbetrag stellt kein Surrogat für die vormals der Testamentsvollstreckung unterliegenden Vermögensgegenstände dar. Der Geldbetrag ist für die Betroffene bzw. ihren Betreuer mit keinerlei Beschränkungen belegt. Vielmehr ist ein freier Zugriff auf das Vermögen möglich. Damit wurde der oben genannte Schutzmechanismus, der durch die testamentarische Regelung geschaffen wurde, aufgehoben und nicht nur die Betroffene, sondern vielmehr auch deren Gläubiger können nunmehr auf die Vermögensgegenstände ungehindert zugreifen.

Eine juristische Begründung, wieso die Abfindung kein Surrogat sein soll und wieso der letzte Wille des Erblassers durch die Erbauseinandersetzung keine Gültigkeit mehr haben soll, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. In einem Aufsatz von Jünemann in ZEV 12, 65 ff. wird ebenfalls diese Meinung ganz beiläufig vertreten, aber ebenfalls ohne jegliche juristische Begründung. Dort heißt es hierzu:

 

  • Auswirkungen auf den Nacherben

Es kann auch eine Erbengemeinschaft unter Vorerben geben. Der Anspruch auf Auseinandersetzung der (Vor-)Erbengemeinschaft aus § 2042 BGB besteht wie im Falle einer gewöhnlichen Erbengemeinschaft, und zwar grundsätzlich ohne dass die Zustimmung des Nacherben erforderlich wäre. Darum kann sich die Frage nach einem Abschichtungsvertrag auch für den Vorerben stellen. Hierzu ist er jedoch auf die Zustimmung des Nacherben angewiesen. Der maßgebliche Unterschied zur echten Erbauseinandersetzung liegt in der Aufgabe der Miterbenrechte. Wer aus der Erbengemeinschaft ausscheidet, ist nicht mehr am Nachlass als getrennten Sondervermögen beteiligt. Seine Erbquote beträgt nur mehr Null. Er erhält lediglich einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch, der kein dingliches Surrogat i.S. von § 2111 BGB sondern persönliches Vermögen des Abgeschichteten ist (38).

 

Warum der Abgeschichtete nur mehr persönliches Vermögen, welches kein dingliches Surrogat darstellt, hat und dies dem staatlichen Zugriff unterliegen soll, wird nicht begründet. Es handelt sich dabei lediglich um die persönliche Meinung von Jünemann. Die von ihm zitierte Fundstelle in Fußnote 38 weist darauf hin, dass die allgemeine Meinung hierzu anders ist: (38) „A.A. Hagmaier (Fußnote 4), S. 270 ff. der die Surrogationsvorschrift des § 2111 BGB erweiternd auf diese Konstellation auslegt.“

3. Kritik

Tatsache ist, dass die Ansicht von Jünemann und des LG Kassel nicht nur von der Staatskasse zur Einsparung von Betreuervergütungen instrumentalisiert wird, sondern auch von den Sozialleistungsträgern, um den Staatshaushalt aufzubessern. Sie missachtet den letzten Willen vieler Erblasser und verhindert somit obendrein manch wirtschaftlich notwendige Erbauseinandersetzung. Diese wohl eher politisch- und haushaltsgesteuerte Ansicht verwechselt die Fragen der Erbauseinandersetzung mit den Fragen der Gültigkeit von Erblasseranordnungen. Das eine hat aber mit dem anderen nichts zu tun.

  • Offen bleibt bei dieser Ansicht schon, warum es bei einem Behindertentestament zu Schonvermögen kommt, wenn der Behinderte Alleinerbe ist. Zu einer Abschichtung oder Erbauseinandersetzung mit den oben behaupteten Konsequenzen kommt es dort allein schon deshalb nicht, weil es keine Erbengemeinschaft gibt. Wieso soll dieser Fall anders zu behandeln sein als der des Miterben, der ebenfalls mit einer Vorerbschaft nebst Testamentsvollstreckung belastet ist, aber nunmehr die Erbengemeinschaft - aus welchen Gründen auch immer - auseinandersetzt?

 

  • Genauso unverständlich wäre die Situation, wenn ein anderer Miterbe sein Recht auf Nachlassauseinandersetzung nach § 2042 BGB gegen den mit der Vorerbschaft belasteten Miterben zwangsweise durchsetzt. Auch hier ist nicht ersichtlich, wie sich die Anordnungen des Erblassers in Luft auflösen können. Im Gegenteil wird daraus ersichtlich, dass die Frage der Erbauseinandersetzung nichts zu tun hat mit der Gültigkeit der letztwilligen Anordnungen des Erblassers. Wenn der Erblasser für seinen Schützling eine Vorerbschaft mit Dauertestamentsvollstreckung auf Lebenszeit anordnet, kann diese Anordnung durch eine schlichte Erbauseinandersetzung nicht ausgehebelt werden. Obige Ansichten von Jünemann und des LG Kassel unterstellen ohne juristische Begründung und unter Verletzung des erbrechtlichen Typenzwanges, dass die Erbauseinandersetzung eine letztwillige Verfügung abändern kann.

4. Gegenteilige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur

Die Rechtsansicht von Jünemann wird von der Rechtsprechung stark angegriffen. So hatte z.B. das OLG Brandenburg sich ausdrücklich gegen die Auffassung von Jünemann entschieden (14.5.13, 3 W 20/13). So hat laut OLG Brandenburg die Abschichtung, wonach ein Miterbe durch Vereinbarung aus der Erbengemeinschaft ausscheidet, keine Auswirkung auf den Erbschein. Der ausgeschiedene Miterbe ist im Erbschein zu berücksichtigen.

 

Demzufolge geht auch die h.M. in der Literatur davon aus, dass der eindeutige Wille des Erblassers Vorrang hat und sich Vorerbschaft und Testamentsvollstreckung auch nach Abschichtung am Abfindungsbetrag des ausgeschiedenen Miterben fortsetzen. Der Abfindungsbetrag ist auch nach Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ein Surrogat i.S. des § 2111 BGB. Staudinger/Avenarius, BGB, 2013, § 2111 Rn. 27; MüKo/Grunsky, 6. Aufl., § 2111 Rn. 18; Bamberger/Roth/Litzenburger, 3. Aufl. § 2111 Rn. 8; Palandt/ Weidlich, 71 Aufl., § 2111 Rn. 7; Soergel/Harder/Wegmann, 13. Aufl. § 2111 Rn. 6).

 

FAZIT | Danach muss sich nach dem eindeutigen Willen des Erblassers und entgegen der Auffassung des LG Kassel die Last von Vorerbschaft und Testamentsvollstreckung auch am Abfindungsguthaben des ausgeschiedenen und abgeschichteten Miterben fortsetzen. Der Abfindungserlös bleibt als Schonvermögen damit unantastbar und unterliegt nach wie vor der Testamentsvollstreckung. Nur so können für den Nachlass wirtschaftlich notwendige und sinnvolle Entscheidungen getroffen werden, um beispielsweise das Leerstehen von Immobilien zu verhindern und sie einer geeigneten, substanzerhaltenden und Ertrag bringenden Nutzung zuzuführen.

Quelle: Ausgabe 03 / 2014 | Seite 42 | ID 42561702