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· Fachbeitrag · Behindertentestament

Bei Verlust der Zweckbindung ist das zugewandte Vermögen nicht mehr Schonvermögen

von RA und VRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar

  • 1. Vermögen, das ein Betroffener, der Begünstigter eines sogenannten Behindertentestamentes ist, im Zuge einer Erbteilsübertragung unter Aufhebung der objektiven Zweckbindung des zugewendeten Vermögens erlangt, unterfällt nicht dem Schonvermögen.
  • 2. Daran ändert auch der Umstand, dass die Erbteilsübertragung zuvor vom AG genehmigt wurde, nichts.
 

Sachverhalt

Die unter Betreuung stehende Betroffene B verfügte nur über geringes Einkommen und Vermögen. Deshalb wurde die Vergütung des bestellten Berufsbetreuers stets aus der Staatskasse gezahlt.

 

  • Am 8.11.11 verstarb der Vater V der B. Aufgrund testamentarischer Erbfolge wurde B zu 28 Prozent und ihre Mutter M zu 72 Prozent Erben des V, wobei B im Wege eines Behindertentestaments als nicht befreite Vorerbin eingesetzt wurde. Zur Nacherbin wurde M bestimmt. Der Nacherbfall sollte mit dem Tode der B eintreten. Zudem wurde die Dauertestamentsvollstreckung hinsichtlich des Erbteils der B angeordnet und M zur Testamentsvollstreckerin bestellt. Die Testamentsvollstreckerin erhielt sodann die Anordnung i.S. von § 2216 Abs. 2 BGB, dass der B aus den jeweils ihr gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgen (Nutzungen) des Nachlasses nach billigem Ermessen Geld- oder Sachleistungen erhalten solle, die zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen und auf die die Sozialhilfeträger nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften keinen Zugriff haben sollten. Die Geld- bzw. Sachleistungen wurden im Einzelnen aufgeführt.

 

  • Der Nachlass bestand aus Sparvermögen von 6.700 EUR und dem hälftigen Miteigentumsanteil an dem von M als weitere Miteigentümerin zu ½ bewohnten Einfamilienhausgrundstück im Wert von 69.300 EUR.

 

  • Der Leistungserbringer (Sozialversicherungsträger) und die Vertreter der Staatskasse im Betreuungsverfahren akzeptierten die Vermögenszuwendung an B als geschütztes Vermögen.

 

  • Mit notariellem Vertrag übertrug B - vertreten durch ihren Betreuer - ihren Anteil an der ungeteilten Erbengemeinschaft mit dinglicher Wirkung an M. Als Gegenleistung wurde eine Zahlung von 21.287,90 EUR - dem rechnerischen Wert des Anteils der B am gesamten Nachlass des V - vereinbart. Gleichzeitig wurde die Bewilligung zur Berichtigung des Grundbuchs auf eine alleinige Eigentümerstellung der M erteilt. Das AG genehmigte die Erklärungen des Betreuers betreffend der Übertragung des Erbteils.

 

  • Daraufhin hat das AG durch Beschluss die Wiedereinziehung der ausgezahlten Betreuervergütung von 5.444 EUR angeordnet.

 

Gegen diesen Beschluss wandte sich die B mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie führte u.a. aus, das AG habe durch die Genehmigung des notariellen Erbteilsübertragungsvertrags sozusagen sehenden Auges eine Regelung zu ihrem Nachteil getroffen. Der Betreuer erklärte, man sei bei dem Abschluss der notariellen Regelung davon ausgegangen, dass auch die erhaltene Gegenleistung zum Schonvermögen der B gehöre.

Entscheidungsgründe

Das LG Kassel hat die zulässige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt:

 

  • Nach Befriedigung der Betreuervergütung seitens der Staatskasse ist der Anspruch gegen die B auf diese übergegangen (§ 1836e Abs. 1 BGB). Dieser Anspruch kann im Wege des Regresses durchgesetzt werden. Der Regress der Staatskasse setze voraus, dass im Zeitpunkt der Erstattung durch die Staatskasse eine Mittellosigkeit des Betreuten nicht vorlag oder die Mittellosigkeit zu einem späteren Zeitpunkt behoben ist. Die Zahlungen der Staatskasse gemäß §§ 1835, 1836, 1836a BGB, § 1 VBVG sind Sozialleistungen mit Vorschusscharakter (Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1836e, Rn. 1). Im Unterschied zum sonstigen Sozialrecht hat der Betreute auch später erworbenes Vermögen für den Regress einzusetzen (BGH NJW 07, 844). Vorliegend sind diese Voraussetzungen für einen Regress der Staatskasse gegeben.

 

  • Die B verfügt nach Erfüllung des Erbteilsübertragungsvertrags über Sparvermögen von über 20.000 EUR. Dieses unterfällt nicht mehr dem Schonvermögen. Anders als die der B infolge testamentarischer Erbregelung zugefallene Vorerbschaft ist das nunmehr vorhandene Sparvermögen dem Zugriff der B bzw. ihres Betreuers nicht mehr entzogen.

 

  • Infolge der Übertragung des Erbteils der B auf die weitere Miterbin, Nacherbin und Testamentsvollstreckerin M ist der Erbteil der B dinglich übertragen und damit die Erbengemeinschaft infolge des Eintritts von Personenidentität auseinandergesetzt und sämtliche auf dem Erbteil der B liegenden Beschränkungen gegenstandslos.
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  • Der vertraglich vereinbarte Herauszahlungsbetrag ist kein Surrogat für die vormals der Testamentsvollstreckung (im sogenannten Behindertentestament) unterliegenden Vermögensgegenstände. Der Geldbetrag ist für die B bzw. ihren Betreuer mit keinerlei Beschränkungen belegt. Vielmehr ist nun ein freier Zugriff auf das Vermögen möglich. Damit ist der Schutzmechanismus, der durch die testamentarische Regelung geschaffen worden ist, aufgehoben und nicht nur die B, sondern vielmehr auch deren Gläubiger könnten nun auf die Vermögensgegenstände ungehindert zugreifen.

 

Praxishinweis

Die Entscheidung des LG Kassel überzeugt auf der ganzen Linie. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sind Verfügungen von Todes wegen, die in einem Behindertentestament von den Eltern eines behinderten Kindes getroffen wurden und durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie eine mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen Dauertestamentsvollstreckung dem Kind Vorteile aus dem Nachlassvermögen sichern, dieses indes dem Zugriff von Sozialhilfeträgern entziehen sollen, grundsätzlich als Ausdruck der sittlich gerechtfertigten Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus anzuerkennen und werden insbesondere nicht als sittenwidrig eingestuft (BGH FGPrax 13, 167).

 

Damit ist den Eltern des Kindes von der Rechtsprechung eine Möglichkeit eröffnet, zum einen besondere Bedürfnisse des behinderten Kindes aus den Mitteln des Nachlasses zu befriedigen und zum anderen die Träger der Sozialhilfe daran zu hindern, auf den Nachlass des behinderten Kindes (als Vorerben) zuzugreifen. Die bisher gewährten Sozialleistungen des Kindes werden durch den Anfall der Erbschaft beim Behinderten nicht ausgeschlossen, sondern bleiben bestehen. Wegen der schwierigen rechtlichen Materie empfiehlt es sich in diesen Fällen dringend, rechtlichen Rat bei einem Rechtsanwalt (Fachanwalt für Erbrecht) oder einem Notar einzuholen.

 

Im vorliegenden Fall war das Behindertentestament rechtlich nicht zu beanstanden und wurde von den beteiligten Stellen auch anerkannt. Allerdings waren die Beteiligten (Miterben) schlecht beraten, die Erbengemeinschaft durch Erbteilsverkauf an die Mutter auseinanderzusetzen. Durch diesen Verkauf und den Erhalt der Gegenleistung (Kaufpreis) wurde aus dem für den Sozialhilfeträger und die Staatskasse zunächst nicht verwertbaren Vermögen (Vorerbschaft) ein Sparvermögen auf den Sozialhilfeträger sowie andere Gläubiger grundsätzlich ungehindert zugreifen können. Der Schutzmechanismus des Behindertentestaments wurde damit - wahrscheinlich unbewusst - aufgehoben.

 

Hinweis | Der Fall lehrt, dass nach dem Eintritt des Erbfalls der durch das Behindertentestament errichtete Schutz durch Verfügungen über den Nachlass (Vorerbschaft) in der Hand des Behinderten verloren gehen kann, was es in jedem Fall zu verhindern gilt. Zu prüfen wäre für die Beteiligten, ob Schadenersatzansprüche gegen den beurkundenden Notar bestehen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Zur Testierfähigkeit bei Demenz vom Alzheimertypus, Möller, SR 14, 3
  • Zu den Grundlagen vorsorgender Verfügungen, Thoennissen, SR 13, 44
Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 20 | ID 42491612