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· Fachbeitrag · Unterhaltsberechnung

Zusammenspiel von Wohngeld und Sozialhilfe beim Elternunterhalt

von RiOLG Dr. Dagmar Liceni-Kiersten, Brandenburg/Berlin

| Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) ist unterhaltsrechtlich anrechenbares Einkommen. Das gilt sowohl auf Seiten des unterhaltspflichtigen Kindes als auch auf Seiten des unterhaltsberechtigten Elternteils. Ein Verstoß gegen die unterhaltsrechtliche Obliegenheit, die Bedürftigkeit durch den Bezug von Wohngeld zu verringern bzw. die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, kann die Zurechnung eines fiktiven Wohngeldes rechtfertigen. Wie genau gerechnet werden muss, zeigt dieser Beitrag. |

1. Definition des Wohngelds

Das Wohngeld deckt zunächst einen erhöhten Wohnkostenbedarf ab, denn es dient dem Ausgleich eines unvermeidbar erhöhten Aufwands. Es kann deshalb nur mit einem dafür nicht verbrauchten Teilbetrag als anrechenbares Einkommen berücksichtigt werden.

 

MERKE | Vom Wohngeld zu unterscheiden ist das Pflegewohngeld. In einigen Bundesländern (z. B. Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein) gibt es landesgesetzliche Regelungen, wonach an Bewohner von Pflegeeinrichtungen ein Pflegewohngeld zu zahlen ist.

 

Es stellt einen Aufwendungszuschuss zu den Investitionskosten dar, die auf die Bewohner von Pflegeeinrichtungen prinzipiell umgelegt werden können. Die Investitionskosten dienen der Finanzierung der Pflegeeinrichtungen (§ 81 SGB XI). Hierzu gehören die Ausgaben eines Heimbetreibers für Anschaffungen von längerfristigen Gütern, z. B. das Gebäude oder die Ausstattung. In einem Pflegeheim meint das die Kosten, die dem Träger durch Herstellung, Anschaffung und Instandsetzung von Gebäuden und der damit verbundenen technischen Anlagen entstehen.

 

Wohngeld ist nach seiner Konzeption eine nicht subsidiäre staatliche Leistung (§ 1 WoGG) und unterliegt nicht der Erstattung. Es wird ohnehin nur bei geringen Einkünften und einem eher bescheidenen Zuschnitt der Unterkunft gewährt. Die Aufwendungen für die Unterkunft dürfen den im Einzelfall angemessenen Umfang nicht übersteigen. Andernfalls muss ein Wohnungswechsel - sofern er möglich und zumutbar ist - ins Auge gefasst werden.

 

MERKE | Den Sozialhilfeträger trifft eine umfassende sozialhilferechtliche Informations- und Beratungspflicht (§ 11 SGB XII). Er muss auf die Leistungsvoraussetzungen hinweisen sowie darauf hinwirken, dass der Berechtigte die für den Bezug von Wohngeld erforderlichen Schritte unternimmt, vor allem einen entsprechenden Antrag stellt.

 

In der Praxis des Elternunterhalts spielt die Frage des Wohngeldbezugs, der von den konkreten Einkommensverhältnissen abhängt, vornehmlich beim Unterhaltsberechtigten eine Rolle. Insbesondere in den Fällen der Heimunterbringung eines pflegebedürftigen Elternteils kommt dem Wohngeld dabei im Regelfall nicht die Funktion zu, einen erhöhten Wohnbedarf auszugleichen.

2. Rechtslage zwischen dem 1.1.05 und dem 31.12.15

Seit dem 1.1.05 wird Wohngeld neben der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht mehr gewährt (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 und 6 WoGG). Der Sozialhilfeträger muss deshalb zunächst die gesamten angemessenen Wohnkosten sicherstellen (§ 35 Abs. 1 S. 1-3 SGB XII). Das gilt auch dann, wenn der sozialhilfeberechtigte Elternteil in einem Pflegeheim lebt.

 

Gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII geht der Unterhaltsanspruch bis zur Höhe der vom Sozialhilfeträger gewährten Leistungen auf diesen über.

 

MERKE | Der Unterhaltsanspruch geht nur bis zur Höhe der vom Sozialhilfeträger tatsächlich geleisteten Aufwendungen auf diesen über. Übersteigt die Sozialhilfe den geschuldeten Unterhalt, steht der übergegangene Unterhaltsanspruch in voller Höhe dem Sozialhilfeträger zu.

 

Ist die Sozialhilfe geringer als der Unterhaltsanspruch, so geht dieser nur in Höhe der gezahlten Sozialhilfe auf den Sozialhilfeträger über. Der darüber hinausgehende zivilrechtliche Unterhaltsanspruch verbleibt beim sozialhilfeberechtigten Elternteil.

 

Der Grundsatz der Anknüpfung und Begrenzung des Forderungsübergangs durch die Höhe der Sozialleistungen erfährt jedoch eine Durchbrechung bei den Kosten der Unterkunft. Hier ist bzw. war bis zum 31.12.15 die Einschränkung des Anspruchsübergangs nach § 94 Abs. 1 S. 6 i. V. m. § 105 Abs. 2 SGB XII zu beachten.

 

a) Einschränkung des Anspruchsübergangs

Gemäß § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII galt für Leistungsempfänger nach dem Dritten Kapitel (Hilfe zum Lebensunterhalt) und dem Vierten Kapitel (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) für den Anspruchsübergang § 105 Abs. 2 SGB XII entsprechend. Nach dieser Vorschrift unterliegen von den Kosten der Unterkunft 56 Prozent nicht der Rückforderung. Etwas anderes gilt im Hinblick auf die Kosten für die Heizungs- und Warmwasserversorgung.

 

MERKE | Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass etwa 56 Prozent der Wohnkosten (ohne Heizung und Warmwasser) früher als Wohngeld gewährt wurden. Dieser Satz von 56 Prozent ist abgeleitet von den empirischen Werten der Wohngeldstatistik 2001 (BT-Drucksache 15/1516 S. 63 zu § 40 SGB XII; BT-Drucksache 15/1761 S. 7).

 

Die Verweisung in § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII auf § 105 Abs. 2 SGB schließt auch die Kosten für die Unterkunft im Rahmen einer stationären Einrichtung ein. Deshalb gehen 56 Prozent der Wohnkosten (mit Ausnahme der Kosten für Heizung und Warmwasser) auch dann nicht auf den Sozialhilfeträger über, wenn der hilfebedürftige Elternteil in einem Pflegeheim untergebracht ist (BGH 17.6.15, XII ZB 458/14).

 

MERKE | Diese Einschränkung des Anspruchsübergangs hatte zur Folge, dass der Sozialhilfeträger, der die gesamten angemessenen Wohnkosten sicherzustellen hat (§ 35 Abs. 1 S. 1-3 SGB XII), einen Anteil von 56 Prozent der Unterkunftskosten (ohne Heizung und Warmwasser) von dem unterhaltspflichtigen Kind nicht zurückfordern konnte. Der Anspruchsübergang war auf einen Anteil von 44 Prozent der Wohnkosten beschränkt.

 

Mit der Neufassung des §§ 105 Abs. 2 SGB XII sollte erreicht werden, dass sich der zum 1.1.05 eingetretene Ausschluss u. a. der Sozialhilfeempfänger vom Wohngeldbezug rechtlich und tatsächlich nicht auf den Betroffenen auswirkt. Wohngeld unterliegt grundsätzlich nicht der Erstattung. Deshalb sollte der Hilfsbedürftige nach der Vorstellung des Gesetzgebers durch § 105 Abs. 2 SGB XII so gestellt werden, wie er stünde, wenn er Wohngeld erhalten hätte. Das hat auch Auswirkungen auf den Unterhaltspflichtigen. Beim Bezug von Wohngeld kann bei ihm kein Rückgriff genommen werden.

 

Dagegen wäre der Rückgriff ohne § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII auch hinsichtlich der Unterkunftskosten möglich. Um diese Vergünstigung auch dem unterhaltspflichtigen Kind zukommen zu lassen, bestimmte § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII, dass § 105 Abs. 2 SGB XII entsprechend gilt. Es sollte also verhindert werden, dass nicht nur der hilfsbedürftige Elternteil sondern im Hinblick auf § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII auch das unterhaltspflichtige Kind durch die Einbeziehung der Unterkunftskosten in die Sozialhilfe und den daraus folgenden Ausschluss der Wohngeldberechtigung schlechter gestellt wird. Denn nach früherem Recht konnte auch der Hilfeempfänger Wohngeld beantragen (z. B. § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG in der Fassung vom 2.1.01), während er seit dem 1.1.05 vom Wohngeldbezug nur deshalb ausgeschlossen war, weil er z. B. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII bezog (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 WoGG und § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 WoGG).

 

  • Berechnungsbeispiel für einen eingeschränkten Forderungsübergang:

Der pflegebedürftige Elternteil E des unterhaltspflichtigen Kindes K ist in einem Pflegeheim untergebracht und bezieht ergänzende Sozialhilfe in Höhe von monatlich 800 EUR. Der Sozialhilfeträger verlangt von K Elternunterhalt aus übergegangenem Recht. Die Unterkunftskosten des E im Heim sind von dem ihm gewährten Sozialleistungen anteilig umfasst. Der Sozialhilfeträger leistet damit der Sache nach die gesamten Heimkosten und zusätzlich den sozialhilferechtlichen Barbetrag, soweit sie nicht durch das Einkommen des E und die Pflegeversicherung gedeckt sind. Somit sind die Unterkunftskosten Teil des gegenüber K geltend gemachten Anspruchsübergangs.

Die von dem Pflegeheim für das Jahr 2014 erstellten Abrechnungen weisen die (gesamten) Unterkunftskosten mit monatlich 246 EUR aus.

 

Trägt der Sozialhilfeträger hierzu nichts Substanziiertes vor, so lässt sich der in den Unterkunftskosten enthaltene Anteil für die Heizungs- und Warmwasserversorgung gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 287 ZPO schätzen. Unsicherheiten bei der Schätzung gehen zulasten des Sozialhilfeträgers, der für den Umfang des Anspruchsübergangs die Darlegungs- und Beweislast trägt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung kann davon ausgegangen werden, dass die für den Pflegebedürftigen E im Heim zur Verfügung stehende Wohnfläche (einschließlich Anteil an den Gemeinschaftsräumen) jedenfalls nicht geringer ist als 20 m². Zur Schätzung ist sodann § 6 Abs. 2 Nr. 1, 2 WoGV (in der bis zum 31.12.15 geltenden Fassung) heranzuziehen.

 

Es errechnet sich Heiz- und Warmwasserkosten in Höhe von (0,80 EUR + 0,15 EUR) x 20 m² = 19 EUR. Die durchschnittlichen Unterkunftskosten ohne Heiz- und Warmwasserkosten sind dann mit (246 EUR - 19 EUR =) 227 EUR anzusetzen. 56 Prozent hiervon sind gerundet 127 EUR. Dieser Betrag unterliegt nicht der Rückforderung und steht damit einem Anspruchsübergang nach § 94 SGB XII entgegen.

 

b) Umsetzung des eingeschränkten Anspruchsübergangs

Für die Unterhaltsberechnung lässt sich die Einschränkung des Anspruchsübergangs nach § 94 Abs. 1 S. 6 i. V. m. § 105 Abs. 2 SGB XII auf zwei Wegen umsetzen:

 

  • Bei der einen Variante wird zunächst der Unterhaltsanspruch errechnet. Von diesem Betrag wird sodann der nicht übergegangene Wohnkostenanteil in Abzug gebracht.

 

  • Bei der zweiten Variante wird der nicht übergehende Wohnkostenanteil faktisch als Wohngeld behandelt und verringert damit von vornherein die Bedürftigkeit des unterhaltsberechtigten Elternteils.

 

Ist das unterhaltspflichtige Kind uneingeschränkt leistungsfähig und unterliegt auch der rechnerisch bestehende Unterhaltsanspruch des Elternteils keiner Herabsetzung (z. B. wegen einer Verwirkung nach § 1611 Abs. 1 BGB), so ergeben sich im Ergebnis bei beiden Berechnungswegen keine Unterschiede.

 

Anders liegt der Fall jedoch, wenn der übergehende Unterhaltsanspruch prozentual gekürzt wird. Je nachdem, ob man den nicht übergehenden Wohnkostenanteil im Rahmen der Unterhaltsberechnung als bedarfsdeckendes Einkommen ansetzt und den sich sodann ergebenden (geringeren) Unterhaltsanspruch prozentual gekürzt, oder ob man zunächst den Unterhaltsanspruch errechnet, diesen sodann prozentual kürzt und erst von diesem reduzierten Unterhaltsanspruch den nicht übergehenden Wohnkostenanteil abzieht, ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse. Ebenso ergeben sich Unterschiede im Ergebnis bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.

 

Sinn und Zweck des §§ 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII war es, einen Ausgleich zu schaffen für den Wegfall des Wohngeldanspruchs bei Empfängern von Grundsicherung oder von Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 und 6 WoGG. Beabsichtigt war damit (vgl. BT-Drucksache 15/1761 S. 7), das unterhaltsverpflichtete Kind so zu stellen, als hätte der berechtigte Elternteil statt SGB XII-Leistungen Wohngeld erhalten, bei dem insoweit ein Rückgriff nicht stattfindet. Daher erscheint es interessengerechter, die zweite Berechnungsweise zu wählen und den nicht übergegangenen Wohnkostenanteil als fiktives bedarfsdeckendes Wohngeld in Ansatz zu bringen.

3. Die Neuregelung zum 1.1.16

Durch Art. 1 Nr. 19 des 12. SGB XII-Änderungsgesetzes vom 21.12.15 (BGBl. I, S. 2557) ist § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII aufgehoben worden. In der Gesetzesbegründung wird hierzu u. a. ausgeführt, die bisherige Verweisung in § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII auf § 105 Abs. 2 SGB XII sei systematisch verfehlt. Denn § 94 SGB XII ziele auf die Erstattung von Sozialhilfeleistungen durch einen Dritten und nicht durch die leistungsberechtigte Person ab (BR-Drucksache 344/15, S. 30). Damit entfällt auch die dargestellte Vergünstigung des unterhaltsverpflichteten Kindes. Folglich kann für Anspruchszeiträume ab dem 1.1.16 nicht mehr ohne Weiteres auf die oben zitierte Entscheidung des BGH zurückgegriffen werden.

 

In der Literatur werden allerdings unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Bedenken gegen diese Neuregelung vorgebracht. Denn der unterhaltsberechtigte Elternteil, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII bezieht, ist weiterhin vom Bezug von Wohngeld ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 und 6 WoGG).

 

Mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz werden schon jetzt Überlegungen angestellt, ob hinsichtlich der Unterkunftskosten für den Leistungsträger nicht auch in Zukunft eine Einschränkung des Anspruchsübergangs gilt. Für die Umsetzung wird als rechtlicher Anknüpfungspunkt vorgeschlagen, dass für den Leistungsträger im Umfang der bisherigen Einschränkung eines Anspruchsübergangs in Höhe von 56 Prozent der Unterkunftskosten (Bruttokaltmiete) ein Durchsetzungshindernis bestehen könnte. Alternativ soll der Wegfall des § 94 Abs. 1 S. 6 SGB XII über eine Heranziehung der Härteregelung in § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII kompensiert werden können.

 

Wie sich die Rechtsprechung zu dieser Frage positionieren wird, ist ungewiss und bleibt abzuwarten. Veröffentlichte gerichtliche Entscheidungen zur Neuregelung des § 94 SGB XII gibt es bislang nicht.

 

Weiterführender Hinweis

  • Zur Grundsicherung: Höheres Einkommen des reicheren Bruders darf nicht zulasten des ärmeren Bruders gehen, SR 15, 171
Quelle: Ausgabe 06 / 2016 | Seite 100 | ID 44052797