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· Fachbeitrag · Leistungsfähigkeit

Kindesunterhalt als Abzugsposition beim Elternunterhalt: Hier lässt sich viel herausholen

| In der Praxis ist auf die Frage, in welchem Umfang der gegenüber dem Elternunterhalt vorrangige Kindesunterhalt im Rahmen des Familienunterhalts zu berücksichtigen ist, ein besonderes Augenmerk zu legen. Denn Kinder sind teuer, es geht also um relevante Abzugsbeträge. Vieles ist hier allerdings noch nicht höchstrichterlich entschieden. Daher können in der anwaltlichen Praxis fantasievolle Verteidigungsstrategien und tragfähige Argumente zur Höhe des Kindesunterhalts entwickelt werden. |

1. Grundlagen

Der Familienunterhalt, der in den §§ 1360 ff. BGB geregelt ist, soll den Lebensunterhalt der eigenen durch Art. 6 GG geschützten Familie des zum Elternunterhalt verpflichteten Kindes sichern. Er setzt eine bestehende Lebensgemeinschaft der Ehegatten voraus. Der Familienunterhalt dient der Deckung des Bedarfs der gesamten Familie. Er umfasst daher den Eigenbedarf des unterhaltspflichtigen Kindes, den Bedarf seines Ehegatten und den Bedarf etwaiger eigener Kinder, sofern diese noch unterhaltsberechtigt sind.

 

MERKE | Nicht zum Familienunterhalt gehören dagegen Unterhaltsansprüche von Eltern gegen ein Familienmitglied. Die Eltern stehen außerhalb des Familienverbands i. S. v. §§ 1360 ff. BGB ihres unterhaltspflichtigen Kindes.

 

Der Familienunterhalt besteht ‒ vom Taschengeld abgesehen ‒ grundsätzlich nicht als Barunterhaltsanspruch. Er ist deshalb nicht auf eine monatliche Geldrente gerichtet, über die der Empfänger frei verfügen kann. Vielmehr dient der Familienunterhalt der Befriedigung der gesamten Lebensbedürfnisse der Familie (z. B. für Wohnen, Urlaube, sportliche und kulturelle Bedürfnisse) und durch Arbeitsleistung sowie Haushaltsführung. Er wird deshalb zumeist als Naturalunterhalt erbracht.

 

Tritt der Anspruch auf Elternunterhalt in Konkurrenz mit dem Familienunterhalt, den das unterhaltspflichtige Kind seinem Ehegatten und den eigenen unterhaltsberechtigten Kindern zu gewähren hat, so muss dieser Unterhalt in Geld veranschlagt ‒ also „monetarisiert“ ‒ werden. Die Unterhaltspflicht muss für jedes minderjährige oder volljährige Kind in einem Geldbetrag ausgedrückt und ihm konkret zugeordnet werden. Der BGH hat die Frage, in welchem Umfang der Kindesunterhalt im Rahmen des Familienunterhalts im Einzelfall zu berücksichtigen ist, bislang nicht geklärt.

 

Auch die Rechtsprechung der Instanzgerichte hierzu hat noch nicht ausreichende Konturen gewonnen, obwohl in der Praxis Unterhaltsansprüche von hilfsbedürftigen Eltern nicht selten in Konkurrenz zu Unterhaltsansprüchen ihrer volljährigen oder auch noch minderjährigen Enkelkinder treten.

2. Konkurrierende Ansprüche von Eltern und ihren Enkelkinder

Elternunterhaltsansprüche stehen nach § 1609 Nr. 6 BGB auf der vorletzten Rangstufe. Die Unterhaltslasten für die Mitglieder der jetzigen Familie, also der minderjährigen und volljährigen Kindern sowie des Ehegatten, sind gegenüber dem Elternunterhalt vorrangig (§ 1609 Nr. 1 bis 4 BGB).

 

Reicht das Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes nicht aus, um den angemessenen Bedarf aller Unterhaltsberechtigten zu befriedigen, kommt die gesetzliche Rangfolge zum Tragen. Es gilt der Grundsatz der vollen Rangpriorität. Eltern kommen deshalb mit ihren Unterhaltsansprüchen gegen das Kind erst zum Zuge, wenn die Unterhaltsansprüche aller vorrangig Berechtigten vollständig befriedigt sind. An nachrangig Berechtigte kann nur ein etwa noch verbleibender Rest verteilt werden.

 

Beachten Sie | Vor diesem Hintergrund ist es in der Praxis erforderlich, den Unterhaltsanspruch der eigenen Kinder ‒ der neben dem Elementarunterhalt auch einen unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf und/oder Sonderbedarf umfassen kann ‒ sorgfältig und möglichst erschöpfend zu bestimmen. Bei Auseinandersetzungen über die Leistungsfähigkeit des zum Elternunterhalt verpflichteten Kindes sind der Unterhaltsbedarf der eigenen Kinder sowie ihre Bedürftigkeit im Einzelnen darzulegen und ggfs. nachzuweisen.

 

MERKE | Die Rangverhältnisse gemäß § 1609 BGB bei mehreren unterhaltsberechtigten Personen beziehen sich nur auf gesetzliche Unterhaltsansprüche. Bloß vertragliche Unterhaltsansprüche ‒ z. B. eines volljährigen studierenden Kindes nachdem die gesetzliche Unterhaltspflicht der Eltern ihm gegenüber bereits erfüllt wurde ‒ genießen im Regelfall keinen Vorrang gegenüber den gesetzlichen Unterhaltsansprüchen von Eltern, auch wenn diese erst auf der 6. Rangstufe stehen. In einem solchen Fall würde aus dem früheren Vorrang (des gesetzlichen Kindesunterhalts) ein Nachrang (des vertraglich vereinbarten Kindesunterhalts).

 

3. Bemessung des unterhaltsrechtlichen Regelbedarfs

Der Kindesunterhalt im Familienunterhalt ist nicht nach einem bestimmten Prozentsatz vom Gesamteinkommen der Kindeseltern zu bestimmen. Wie auch sonst, wenn es um den Barunterhaltsanspruch eines Kindes gegenüber einem Elternteil oder beiden Eltern geht, ist der elementare Unterhaltsbedarf (Regelbedarf) des Kindes auch im Rahmen des Elternunterhalts im Ansatz nach den Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle (bzw. der Unterhaltsleitlinien des jeweiligen OLG) zu bemessen. Diese orientieren sich nach dem für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehenden Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils bzw. beider Eltern. Denn die Lebensstellung eines unterhaltsberechtigten Kindes, das noch keine eigenständige Lebensstellung besitzt, beurteilt sich ‒ auch während seiner Ausbildung und bei einem eigenen Hausstand ‒ grundsätzlich nach dem zur Verfügung stehenden Familieneinkommen. Soweit beide Eltern berufstätig sind, erhöht sich damit zugleich der angemessene Unterhaltsbedarf des Kindes.

 

MERKE | Bei gehobenen wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern kann der Kindesunterhalt auch mit Beträgen zu veranschlagen sein, die über den Höchstsätzen der Düsseldorfer Tabelle liegen.

 

In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die Sätze der Düsseldorfer Tabelle für die Bemessung des Kindesunterhalts im Rahmen des Elternunterhalts nicht unbesehen übernommen werden dürfen. Die Tabelle ist ihrer Funktion nach auf die Situation einer auseinander gebrochenen Familie zugeschnitten, in der die Ehegatten bzw. Eltern nicht mehr zusammenleben. Im Hinblick auf die nachwirkende Solidarität zwischen den Ehegatten und ihren Versorgungsaufgaben gegenüber den gemeinsamen Kindern soll die Düsseldorfer Tabelle eine möglichst gerechte Verteilung der vorhandenen Finanzmittel gewährleisten.

 

Anders verhält es sich bei dem im Familienunterhalt enthaltenen Kindesunterhalt, der für die Frage des geschuldeten Elternunterhalts in einem Geldbetrag ausgedrückt werden muss. In diesem Fall handelt es sich um intakte Familien, die in einer Wirtschaftseinheit zusammenleben und sich damit in einer wirtschaftlich günstigeren Situation befinden als auseinander gebrochene Familien.

 

Beachten Sie | Deshalb kann der tatsächliche Bedarf des unterhaltsberechtigten und mit seinen Eltern zusammen lebenden Kindes deutlich über den Tabellensätzen liegen.

 

  • In Rechtsprechung und Literatur wird es deshalb teilweise für richtig gehalten, beim Elternunterhalt die Tabellensätze der Düsseldorfer Tabelle als unterste Grenze für den Elementarunterhaltsbedarf des Kindes zugrunde zu legen und um einen angemessenen Zuschlag von etwa 10 Prozent zu erhöhen.

 

  • Alternativ ist an eine Höhergruppierung innerhalb der Tabelle (um 1 oder 2 Einkommensgruppen) zu denken.

 

MERKE | Schuldet der zum Elternunterhalt Verpflichtete einem Kind, mit dem er nicht zusammenlebt (z. B. aus einer früheren Ehe oder einer außerehelichen Beziehung) Kindesunterhalt, so ist ein etwa bestehender Unterhaltstitel maßgebend.

 

Existiert ein solcher nicht, wird aber tatsächlich Kindesunterhalt geleistet, so ist der konkrete Zahlbetrag zugrunde zu legen, sofern dieser sich im Rahmen der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung hält. Das ist konkret darzulegen und ggfs. zu beweisen.

 

Wird ein geringerer als der materiell-rechtlich an sich geschuldete Kindesunterhalt geleistet, ist ebenfalls nur der tatsächliche Zahlbetrag als Unterhaltsbelastung des zum Elternunterhalt verpflichteten Kindes anzuerkennen.

 

4. Abschläge bei den Bedarfssätzen

Die Regelbedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle sind seit dem 1.1.10 darauf zugeschnitten, dass der Unterhaltspflichtige zwei berechtigten Personen Unterhalt zu gewähren hat. Der Rang der Unterhaltsberechtigten spielt hierbei keine entscheidende Rolle.

 

Erhöht sich die Anzahl der unterhaltsberechtigten Personen auf mehr als zwei ‒ z. B. durch das Hinzutreten eines unterhaltsbedürftigen Elternteils ‒ so wird von der Rechtsprechung teilweise nach Anmerkung A 1 zur Düsseldorfer Tabelle eine Herabstufung des Kindesunterhaltsbedarfs um eine oder auch mehrere Einkommensgruppen in Betracht gezogen (z. B. OLG Hamm 9.7.15, 14 UF 70/15). Die Verringerung des Kindesunterhalts führt gleichzeitig zu einer entsprechenden Erhöhung der Leistungsfähigkeit des zum Elternunterhalt verpflichteten Kindes.

 

Im umgekehrten Fall ist nach Anmerkung A 1 zur Düsseldorfer Tabelle bei einer geringeren Anzahl als zwei unterhaltsberechtigte Personen eine Erhöhung der Bedarfssätze in Betracht zu ziehen. Hier stellt sich die Frage, ob bei einer Unterhaltspflicht nur gegenüber einem Kind durch das Hinzutreten eines unterhaltsberechtigten Elternteils eine vormalige Höhergruppierung mit Blick auf die Lebensstandardgarantie in Wegfall geraten kann.

 

In diesem Zusammenhang können die allgemeinen Regeln zur Bedarfsbemessung ebenfalls nicht unbesehen auf die andersartige Situation beim Familien- und Elternunterhalt übertragen werden. Das zum Elternunterhalt verpflichtete Kind muss nach der ständigen Rechtsprechung des BGH keine spürbare und dauerhafte Senkung seiner bisherigen berufs- und einkommenstypischen Lebensverhältnisse hinnehmen (BGH 23.10.02, XII ZR 266/99, Abruf-Nr. 021610).

 

Diese Lebensstandardgarantie erstreckt sich nicht nur auf das unterhaltspflichtige Kind selbst sondern auch auf seine eigenen Kinder. Dementsprechend bestehen Bedenken gegen eine Herabgruppierung des Enkelkindes in der Tabelle und eine Einschränkung seines bisherigen Unterhaltsbedarfs durch das Hinzutreten eines unterhaltsberechtigten Großelternteils.

 

Beachten Sie | Auch zu diesen Fragen gibt es noch keine klärende Entscheidung des BGH. Argumentativ lässt sich in diesem Zusammenhang bis zu einer höchstrichterlichen Klärung vieles vertreten.

5. Kindergeldanrechnung

Bei minderjährigen Kindern ist das Kindergeld nach § 1612 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB zur Hälfte zur Deckung des Barbedarfs zu verwenden, wenn ein Elternteil das Kind betreut. Die andere Hälfte des Kindergelds entfällt auf den betreuenden Elternteil. Diese Aufteilung des Kindergelds wird beim Elternunterhalt nicht dadurch hinfällig, dass bei zusammenlebenden Kindeseltern eine „Barunterhaltspflicht“ im eigentlichen Sinn nicht besteht, weil der Unterhaltsbedarf des Kindes aus dem Familienunterhalt finanziert wird.

 

MERKE | Auch wenn das halbe Kindergeld dem Elternteil zusteht, der die Betreuung des minderjährigen Kindes übernommen hat, handelt es sich insoweit nicht um Einkommen des betreffenden Elternteils. Vielmehr wird Kindergeld als Einkommen des Kindes behandelt. Das Kindergeld darf daher nicht einkommenserhöhend bei der Feststellung des unterhaltsrelevanten Einkommens des zum Elternunterhalt verpflichteten Kindes bzw. seines Ehegatten berücksichtigt werden.

 

In der Praxis wollen vielfach Sozialhilfeträger auch bei minderjährigen Kindern generell das volle Kindergeld von den Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle abziehen. Das ist jedoch in dieser Pauschalität nicht zu akzeptieren. Ein voller Kindergeldabzug kommt bei minderjährigen Kindern nur dann in Betracht, wenn beide Elternteile berufstätig sind (sog. Doppelverdienerehe) und damit auch von beiden Bar- und Betreuungsunterhalt geschuldet wird. Allerdings ist dann auch der Unterhaltsbedarf des Kindes nach den zusammengerechneten Einkünften beider Eltern zu bemessen, was eine Erhöhung des Bedarfs und Unterhaltsanspruchs des Kindes bewirkt. Auch bei volljährigen Kindern wird das Kindergeld vom jeweiligen Tabellenbedarfssatz des Kindes in voller Höhe abgezogen (§ 1612 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB).

 

  • Berechnungsbeispiel

Der Sozialhilfeträger will den S für die Zeit ab 1/2016 auf Zahlung von Elternunterhalt für seine Mutter heranziehen, die in einem Heim lebt. S erzielt ein bereinigtes Monatseinkommen von 3.000 EUR, seine ebenfalls berufstätige Ehefrau ein solches von 1.500 EUR. Die gemeinsame 14 Jahre alte Tochter T wird von beiden Elternteilen betreut und versorgt. Der Unterhaltsbedarf von T beläuft sich entsprechend dem Einkommen beider Eltern von 4.500 EUR nach der 9. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.1.16), Altersstufe 3 auf 684 EUR - 190 EUR (volles Kindergeld) = 494 EUR.

 

Hiervon entfällt nach dem Verhältnis der beiderseitigen Einkünfte ein Betrag von rund 329 (2/3) auf S und von rund 165 EUR (1/3) auf die Kindesmutter. Nach Abzug des jeweiligen vorrangigen Kindesunterhaltsanteils beträgt das anrechenbare Einkommen von S (3.000 EUR - 329 EUR =) 2.671 EUR, dasjenige seiner Ehefrau (1.500 EUR - 165 EUR =) 1.335 EUR; das anrechenbare Gesamteinkommen beider Kindeseltern beläuft sich auf (2.671 EUR + 1.335 EUR =) 4.006 EUR. Der Familiensockelselbstbehalt beträgt (1.800 EUR + 1.440 EUR =) 3.240 EUR. Nach Abzug dieses Betrags verbleibt ein Resteinkommen von (4.006 EUR - 3.240 EUR =) 766 EUR, wovon 10 Prozent als Ersparnis aufgrund gemeinsamer Haushaltsführung abzusetzen ist. Von dem Rest von (766 EUR - 76,60 EUR =) 689,40 EUR verbleibt den Ehegatten 1/2, also 344,70 EUR.

 

Die andere Hälfte zuzüglich des Familiensockelselbstbehalts ergibt einen individuellen Familienselbstbehalt von (3.240 EUR + 344,70 EUR =) rund 3.585 EUR. Hiervon muss der S mit seinem Einkommen eine Quote von (2.671 EUR : 4.006 EUR =) rund 67 Prozent decken, also (3.585 EUR × 67 Prozent =) rund 2.402 EUR. Im Ergebnis kann S von seinem Einkommen, das ihm nach Abzug des anteilig auf ihn entfallenden Kindesunterhalts verbleibt, einen Betrag in Höhe von (2.671 EUR ‒ 2402 EUR =) 269 EUR monatlich für den Elternunterhalt einzusetzen.

 

6. Bedarfserhöhung durch Mehrbedarf oder Sonderbedarf

In der Mehrzahl der Fälle entsteht ein Anspruch auf Elternunterhalt erst zu einer Zeit, in der die Unterhaltspflichten für die eigenen Kinder die ehelichen Lebensverhältnisse nicht mehr belasten, weil diese bereits die Ausbildung abgeschlossen haben und wirtschaftlich unabhängig sind. In zunehmendem Maß werden aufgrund langer Ausbildungszeiten Kinder erst in einem vorgerückten Alter ihrer Eltern geboren.

 

Hinzu kommt, dass oft Männer im fortgeschrittenen Alter nach einer gescheiterten ersten Ehe eine neue Ehe mit einer deutlich jüngeren Frau eingehen und im „biologischen Großvateralter“ nochmal Vater werden. Dadurch wächst auch die Zahl der Fälle, in denen die Unterhaltsansprüche pflegebedürftiger Eltern in Konkurrenz zu Unterhaltsansprüchen von volljährigen und auch minderjährigen Kindern treten.

 

Elternunterhalt wird ohnehin nur geschuldet, wenn mindestens der hohe Familiensockelselbstbehalt der Ehegatten von derzeit (1.800 EUR + 1.440 EUR =) 3.240 EUR überschritten wird. Lebt aber das unterhaltspflichtige minderjährige Kind in solchermaßen günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen, tritt häufig der Fall ein, dass neben dem Regelbedarf des eigenen Kindes (nach den Tabellenbeträgen der Düsseldorfer Tabelle) ein zusätzlicher unterhaltsrechtlicher Mehrbedarf oder ein Sonderbedarf zu berücksichtigen ist. Auch dieser Zusatzbedarf nimmt ‒ soweit er unterhaltsrechtlich anzuerkennen ist ‒ am Vorrang des Kindesunterhalts gegenüber dem Elternunterhalt nach § 1609 BGB teil.

 

a) Unterhaltsrechtlicher Mehrbedarf der Kinder

Mehrbedarf ist derjenige Teil des Lebensbedarfs (§ 1610 Abs. 2 BGB), der regelmäßig ‒ jedenfalls während eines längeren Zeitraums ‒ anfällt und durch die Tabellensätze der Düsseldorfer Tabelle nicht abgedeckt wird.

 

  • Der typische Fall des Mehrbedarfs ist der krankheitsbedingte Mehrbedarf eines behinderten oder dauernd pflegebedürftigen Kindes, soweit er nicht durch Leistungen Dritter (z. B. der Krankenkasse) abgedeckt wird.

 

  • Häufig fällt auch ein schulbedingter Mehrbedarf an, z. B. für einen länger andauernden Nachhilfeunterricht, für den Besuch einer Privatschule oder eines Internats.

 

  • Zum Mehrbedarf zählen auch die Kinderbetreuungskosten, z. B. für den Kindergarten oder durch Pflegepersonen, sowie die monatlichen Beiträge für (kostenintensive) sportliche oder musikalische Freizeitaktivitäten, z. B. für Reitunterricht oder die Musikschule.

 

MERKE | In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass zum notwendigen Lebensunterhalt von Kindern und Jugendlichen auch die verantwortliche Nutzung der Freizeit gehört (BGH 26.11.08, XII ZR 65/07, Abruf-Nr. 091593).

Dementsprechend umfasst das sächliche Existenzminimum des Kindes und damit auch der Mindestunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle neben anderen Bedarfspositionen (z. B. für Wohnen, Ernährung, Bekleidung, Gesundheitspflege, Verkehr) auch einen Betrag für Freizeit, Unterhaltung und Kultur. Entsprechendes gilt für die Regelsätze der höheren Einkommensgruppen.

 

Das OLG Hamm hat eine Berechnungsmethode entwickelt, um den anteiligen Betrag für sportliche und musikalische Freizeitaktivitäten, unter Heranziehung von § 287 ZPO zu bestimmen, der durch die Tabellensätze der jeweiligen Einkommensgruppen und Altersstufen abgedeckt wird (11.7.12, 12 UF 319/11). Es hat beispielsweise angenommen, dass im Jahr 2012 durch den Höchstbetrag der Düsseldorfer Tabelle nach der 10. Einkommensgruppe, Altersstufe 3 von (682 EUR ‒ 92 EUR =) 590 EUR ein geschätzter anteiliger Betrag von 60 EUR für sportliche oder musikalische Freizeitaktivitäten abgedeckt worden ist.

 

Erst wenn und soweit die tatsächlichen Kosten für sportliche und musikalische Freizeitaktivitäten des Kindes diesen bzw. den jeweiligen anteiligen Betrag deutlich übersteigen, können sie als Mehrbedarf den laufenden Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle erhöhen. Der Umfang der Mehrbedarfskosten muss sich allerdings in einem angemessenen Rahmen halten.

 

b) Unterhaltsrechtlicher Sonderbedarf der Kinder

Im Gegensatz zum Mehrbedarf ist Sonderbedarf ein unverhofft auftretender höherer Bedarf, der nicht auf Dauer besteht und daher zu einem einmaligen, jedenfalls aber zeitlich begrenzten Ausgleich neben dem laufenden Kindesunterhalt führen kann. Ein berechtigter Sonderbedarf ist daher zusätzlich zum Regelbedarf vom anrechenbaren Einkommen der Eltern des Kindes abzuziehen.

 

Zum typischen unterhaltsrechtlichen Sonderbedarf zählen zunächst die ungedeckten Kosten, die durch eine Krankheit oder einer Behinderung entstehen, z. B. für einen Rollstuhl, eine Brille oder eine Prothese, oder aus Anlass einer Kommunion/Konfirmation. Ferner kommen die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung sowie die Ausgaben für einen zeitlich begrenzten Nachhilfeunterricht, eine Klassenfahrt, ein teures Musikinstrument oder den Umzug des volljährigen Kindes in eine eigene Wohnung als unterhaltsrechtlicher Sonderbedarf in Betracht. Auch der abzugsfähige Sonderbedarf muss sich in einem angemessenen Rahmen halten. Er dient nicht der Finanzierung von unnötigen oder Luxusausgaben.

 

Bei der Frage, wie ein berechtigter Sonderbedarf des Kindes unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen ist, bietet es sich an, die anfallenden Kosten des Sonderbedarfs in Abhängigkeit von ihrer konkreten Höhe auf mehrere Monate (oder auch länger) umzulegen und neben dem laufenden Unterhaltsbedarf vorweg vom Einkommen der Kindeseltern bzw. eines Elternteils abzuziehen.

 

Weiterführende Hinweise

  • So berechnet der BGH den Unterhaltsbedarf von Eltern im Fall ihrer Heimunterbringung, SR 16, 4
  • Leistungsfähigkeit: Wohnvorteil und Elternunterhalt, SR 16, 17
Quelle: Sonderausgabe 02 / 2017 | Seite 21 | ID 44963788