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· Fachbeitrag · Elternunterhalt

Mandanten fragen: Erstattungsansprüche unter Geschwistern für verauslagte Pflegekosten?

von RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, RiOLG a.D., Berlin

| Oft kommt es vor, dass ein Geschwisterteil für Pflegekosten der Eltern in Anspruch genommen wird. Dann stellt sich die Frage, ob der Betroffene alleine zahlen muss oder ob er einen Ausgleich für seine finanziellen Aufwendungen gegenüber seinen Geschwistern hat. |

 

  • Sachverhalt

Die in einem Pflegeheim untergebrachte verwitwete Mutter E des Mandanten M ist im Jahr 2018 verstorben. Sie hatte neben M einen weiteren Sohn S. Beide Söhne haben die Erbschaft nach ihrer Mutter mangels Werthaltigkeit des Nachlasses ausgeschlagen. Im August 2019 wird M, der ein monatliches Nettoeinkommen von 2.500 EUR erzielt, aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen. Er hatte diese Bürgschaft für die ungedeckten Pflegeheimkosten seiner Mutter, die nur über eine sehr kleine Witwenrente verfügte, übernommen. Der Bruder S erzielt ein Nettoeinkommen von 2.200 EUR. Er hatte im Vorfeld bereits alle Zahlungen endgültig abgelehnt.

 

Frage: Kann M einen anteiligen finanziellen Ausgleich seiner Bürgschaftsaufwendungen von seinem Bruder S verlangen?

 

Antwort: In Betracht kommen hier verschiedene Anspruchsgrundlagen. Die Frage ist jedoch, ob hier die Voraussetzungen einer oder sogar mehrere dieser denkbaren Anspruchsgrundlage vorliegen.

 

  • Zunächst könnte man an eigene Unterhaltsansprüche der verstorbenen E denken, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) übergegangen sind.
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  • Abgesehen davon, dass auch ein rückständiger Elternunterhalt für einen in der Vergangenheit liegenden Unterhaltszeitraum nur unter den ‒ hier aber nicht geschaffenen ‒ Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB verlangt werden könnte, kommen solche Ansprüche von vornherein nicht in Betracht. Denn der M ist nicht Erbe nach seiner Mutter geworden. Vielmehr hat er das Erbe ausgeschlagen.

 

  • Es könnte eine Ausgleichspflicht des S nach § 426 Abs. 1 BGB in Betracht kommen.
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  • Nach dieser Bestimmung sind Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet. § 426 BGB regelt das Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern. Derartige Ansprüche auf einen Gesamtschuldnerinnenausgleich kommen hier jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil M und S als Geschwister nicht gesamtschuldnerisch haften. Sie trifft vielmehr eine anteilige Haftung für den Elternunterhalt (siehe dazu Liceni-Kierstein, SR 19, 176).

 

  • Weiterhin könnte § 1607 BGB in den Blick genommen werden.
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  • § 1607 Abs. 1 BGB regelt die sog. Sekundärhaftung, wenn ein vorrangig haftender Verwandter mangels Leistungsfähigkeit ausscheidet. Die Brüder M und S sind jedoch grundsätzlich gleichrangig Haftende. Keiner von ihnen ist leistungsunfähig. S ist daher schon nicht Ersatzschuldner im Sinne von § 1607 Abs. 1 BGB.
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  • Auch ein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 1607 Abs. 3 BGB kommt hier nicht infrage. Denn die Vorschrift sieht eine Legalzession nur bei einer Vorleistung für den Kindesunterhalt durch einen nicht unterhaltspflichtigen Dritten vor. Vorliegend geht es aber nicht um Kindesunterhalt, sondern (umgekehrt) um Elternunterhalt.

 

  • Zu denken wäre darüber hinaus noch an die Rechtsfigur eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs als Anspruchsgrundlage gegen S.
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  • Der BGH hat diesen Ersatzanspruch im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt. Der eigenständige familienrechtliche Ausgleichsanspruch ist für die Fälle anerkannt, in denen ein Elternteil allein für den Unterhalt eines gemeinsamen ehelichen Kindes aufgekommen ist, obwohl auch der andere Elternteil dem Kind zur Unterhaltsleistung verpflichtet und auch leistungsfähig ist. Dieser Ausgleichsanspruch beruht auf der Unterhaltspflicht beider Eltern gegenüber ihrem gemeinsamen Kind sowie dem Umstand, dass andernfalls der betreuende Elternteil gleichzeitig den Barunterhalt bestreiten müsste.
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  • Vorliegend geht es aber weder um Naturalunterhalt (für die verstorbenen E), noch ist der Kindesunterhalt betroffen. Für den Elternunterhalt kann die Rechtsfigur daher nicht analog angewendet werden.

 

  • Als weitere Anspruchsgrundlage wäre noch ein Anspruch des M gegen S aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) gemäß §§ 670, 677, 683 BGB zu prüfen.
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  • Ein solcher Anspruch scheitert jedoch am Fremdgeschäftsführungswillen des M. Denn als er die Bürgschaftsverpflichtung im Sinne von § 765 BGB eingegangen ist, hat er nicht mit einem Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt. Er wollte auch kein sog. „auch-fremdes“ Geschäft besorgen. Als er den Bürgschaftsvertrag abgeschlossen hat, stand auch nicht das Interesse seines Bruders S im Vordergrund, dass diese Handlung vorgenommen wird.

 

  • Schließlich wäre an Ansprüche aus Bereicherungsrecht gemäß § 812 Abs. 1 BGB zu denken.
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  • Bereicherungsrechtliche Ansprüche des M gegen S scheitern hier aber schon am Vorrang der Leistungsbeziehung zwischen der Erblasserin und dem M. Diese war (auch) Motivation für die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung durch M.

 

Fazit

Die Frage des M ist im Zusammenhang mit der Haftung von Geschwisterkindern für den Elternunterhalt zu sehen.

 

Eltern haben zwar Anspruch auf Unterhalt gegen ihre Kinder gemäß §§ 1601 ff. BGB. Sie müssen allerdings auch die Voraussetzungen hierfür schaffen. Das ist insbesondere der Fall, wenn es um rückständigen Unterhalt im Sinne von § 1613 Abs. 1 BGB geht. Die §§ 1601 ff. BGB sind die spezielleren Vorschriften, nach denen Eltern ihre Kinder auf Elternunterhalt in Anspruch nehmen können und aus denen sich eine anteilige Haftung von Geschwistern ergibt. Es ist Aufgabe der Eltern bzw. der Sozialhilfeträger, die unterhaltsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen gegen unterhaltspflichtige Kinder „zu aktivieren“.

 

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Kinder ‒ etwa aus wohlmeinender Fürsorge für ihre Eltern ‒ auf Veranlassung des Sozialhilfeträgers Leistungs- oder Sicherungspflichten übernehmen. Wie der vorstehende Fall zeigt, müssen sie dafür dann unter Umständen auch allein einstehen.

 

Es wäre notwendig gewesen, vor der Bürgschaftsübernahme durch M seine eigenen unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen sorgfältig zu prüfen und gleichzeitig einen finanziellen Ausgleich mit dem ebenfalls unterhaltspflichtigen Bruder S verbindlich zu regeln. Da dies versäumt wurde, ist hier ein Rechtsverlust eingetreten.

 

Ergebnis

M trifft die alleinige Einstandspflicht für seine Inanspruchnahme aus dem von ihm abgeschlossenen Bürgschaftsvertrag.

 

Weiterführende Hinweise

  • Das müssen Sie zur Geschwisterhaftung beim Elternunterhalt wissen: Liceni-Kierstein, SR 19, 176
  • Elternunterhalt: Die 9 wichtigsten Fragen zur Geschwisterhaftung: Liceni-Kierstein, SR 19, 29
  • Geschwisterhaftung bei Elternunterhalt: Liceni-Kierstein, SR 15, 8
  • Betreuungsverfahren: Nicht am Verfahren beteiligten Geschwistern steht keine Beschwerdebefugnis zu: BGH, SR 15, 23
  • Ein reicher und ein armer Bruder: Auslegung des § 43 Abs. 3 S. 6 SGB XII: Neumann, SR 15, 39
Quelle: Ausgabe 11 / 2019 | Seite 192 | ID 46145179