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· Fachbeitrag · Elternunterhalt

Keine Gleichbehandlung von Verheirateten und nichtehelichen Lebensgemeinschaften

von RiOLG Dagny Liceni-Kierstein, Berlin/Brandenburg

| Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften stellt sich die Frage, wie die Leistungsfähigkeit des nicht betreuenden Lebenspartners für den von ihm geschuldeten Elternunterhalt zu berechnen ist. Hierzu hat der BGH jetzt Stellung genommen. Er schafft damit eine weitere für die Praxis im Bereich des Elternunterhalts relevante Klarstellung. |

1. Ausgangsproblematik

Die Zahl von Menschen, die ohne Trauschein zusammenleben und gemeinsame Kinder haben, steigt. Äußerlich sind häufig keine Unterschiede in der Lebensführung zu verheirateten Paaren zu erkennen. Das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt führt in der Realität zu einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft. Vielfach bestreiten die Lebenspartner die gemeinsame Lebensführung „aus einem Topf“. Das ist vor allem der Fall, wenn gemeinsame (jüngere) Kinder vorhanden sind und ein Partner zugunsten der Haushaltsführung und persönlichen Kinderbetreuung auf eine Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise verzichtet.

 

Antragsteller (Ast) ist der Sozialhilfeträger. Antragsgegner (Ag) ist der Sohn des 1941 geborenen V. Seit Anfang 2010 wird V von einem Pflegedienst in der eigenen Wohnung betreut und versorgt. Die hierfür anfallenden Kosten kann V nicht selbst decken. Er bezieht deshalb laufende Sozialhilfe nach §§ 61 ff. SGB XII. Der Ast begehrt vom Ag aus übergegangenem Recht (§ 94 Abs. 1 SGB XII) ab Januar 2012 rückständigen und laufenden Elternunterhalt. Der Ag lebt seit 2007 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Aus dieser ist eine 2008 geborene Tochter hervorgegangen. Die Lebensgefährtin des Ag ist geschieden. Ihre beiden aus der früheren Ehe stammenden minderjährigen Kinder leben im gemeinsamen Haushalt. Die Betreuung aller Kinder erfolgt durch die Lebensgefährtin.

 

Auf der Grundlage eines bereinigten Monatseinkommens von rund 2.148 EUR (2012) bzw. 2.235 EUR (2013) hat das Amtsgericht den Ag zur Zahlung von Elternunterhalt verpflichtet. Auf die Beschwerde des Ag hat das OLG den geschuldeten Elternunterhalt für die Vergangenheit auf insgesamt 9.569 EUR und ab Dezember 2014 auf monatlich 271 EUR begrenzt. Dagegen wendet sich der Ag mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde. Er beruft sich auf den Familienselbstbehalt und wendet seine Leistungsunfähigkeit ein.

 

2. Grundlagen des Familienselbstbehalts

Der Familienselbstbehalt bemisst sich seit dem 1.1.15 auf mindestens (1.800 EUR + 1.440 EUR =) 3.240 EUR. Im hier relevanten Jahr 2012 lag er bei mindestens (1.500 EUR + 1.200 EUR =) 2.700 EUR und in den Jahren 2013 und 2014 bei mindestens (1.600 EUR + 1.280 EUR =) 2.880 EUR.

 

Familienselbstbehalt zuzubilligen beruht auf der Prämisse, dass das zum Elternunterhalt verpflichtete Kind verheiratet ist, die Ehegatten zusammenleben und sich wechselseitig Unterhalt schulden. Der einander geschuldete Ehegattenunterhalt ist gemäß § 1609 Nr. 2 BGB gegenüber dem Elternunterhalt (§ 1609 Nr. 6 BGB) vorrangig. Allerdings kann der eigene angemessene Unterhaltsbedarf (§ 1603 Abs. 1 BGB) des pflichtigen Kinds nicht losgelöst vom vorhandenen Familieneinkommen bestimmt werden.

 

Deshalb billigt es der BGH dem verheirateten Unterhaltspflichtigen einen Familienselbstbehalt zu belassen, der sich bei einem Familieneinkommen der Eheleute, das ihren Mindestselbstbehalt übersteigt, in Höhe der Hälfte dieser Differenz auf einen sog. individuellen Familienselbstbehalt erhöht.

 

  • Beispiel

Das unterhaltspflichtige Kind erzielt ein bereinigtes Monatseinkommen von 4.000 EUR, sein Ehegatte eines von 1.000 EUR. Das Familieneinkommen beträgt 5.000 EUR, der Familiensockelselbstbehalt ist mit (1.800 EUR + 1.440 EUR =) 3.240 EUR zu bemessen. Nach Abzug dieses Mindestselbstbehalts vom Gesamteinkommen der Eheleute verbleibt ein Betrag von (5.000 EUR -3.240 EUR =) 1.760 EUR.

 

Nach der vom BGH entwickelten Berechnungsmethode ist dieser Rest um eine mit 10 Prozent zu bemessende Haushaltsersparnis zu kürzen. Die Hälfte des sich ergebenden Betrages, also (1.760 EUR - 10 Prozent) : 2 = 792 EUR, ist dem Mindestselbstbehalt hinzuzurechnen. Es ergibt sich für beide Ehegatten zusammen ein individueller Familienbedarf von (3.240 EUR + 792 EUR =) 4.032 EUR. Zu diesem individuellen Familienbedarf hat das unterhaltspflichtige Kind entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte beider Ehegatten (5.000 : 4.000 =) 80 Prozent beizutragen. Die Differenz zum eigenen Einkommen von (4.000 EUR - 80 Prozent x 4.032 EUR =) 774,40 EUR kann für den Elternunterhalt eingesetzt werden.

 

MERKE | Bei guten wirtschaftlichen Verhältnissen liegt der sog. individuelle Familienselbstbehalt der Ehegatten immer über dem Mindestselbstbehalt. Anders als im Bereich des Ehegatten- und Kindesunterhalts ist der angemessene Eigenbedarf, der dem Unterhaltspflichtigen beim Elternunterhalt zusteht, nicht stets mit einem bestimmten festen Betrag anzusetzen. Maßgebend ist vielmehr die konkrete Lebensstellung des unterhaltspflichtigen Kindes, die sich aus seinen persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse ergibt.

 

3. Keine Gleichstellung mit ehelichen Gemeinschaften

Der BGH verweist den Ag auf den Selbstbehalt für Alleinstehende. Den Partnern in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist kein Familienselbstbehalt zuzubilligen. Anders als für Ehegatten, die gemäß § 1360 BGB zum Familienunterhalt beizutragen haben, besteht für nicht verheiratete Partner eine solche rechtliche Verpflichtung nicht. Mit Ihrer Entscheidung gegen eine Heirat wollen sie eine entsprechende rechtliche Verpflichtung gerade nicht übernehmen. Daran müssen sich die nichtehelichen Lebenspartner festhalten lassen. Sie können nicht in einem Teilbereich, in dem es für die nichteheliche Lebensgemeinschaft wirtschaftlich günstiger wäre, (nach Art einer „Rosinentheorie“) eine Gleichstellung mit der Ehe und den daraus resultierenden Rechten und Pflichten verlangen. Das würde ihrer eigenen grundsätzlichen Entscheidung gegen die Ehe zuwiderlaufen.

 

Da der Ag nicht verheiratet ist, kann ihm im Rahmen des Elternunterhalts nur der Sockelbetrag für Alleinstehende von monatlich 1.500 EUR (für 2012) und 1.600 EUR (für 2013 und 2014) bzw. 1.800 EUR (ab 2015) zuzüglich der Hälfte seines darüber hinausgehenden Einkommens als Selbstbehalt zugebilligt werden.

 

MERKE | Aus diesem rechtlichen Ansatz ergibt sich zugleich die Konsequenz, dass auf Seiten des Ag kein erhöhter Wohnbedarf für alle Mitglieder der Wohngemeinschaft zu berücksichtigen ist, der zu einer Erhöhung seines Selbstbehalts für Alleinstehende führen könnte. In den Selbstbehaltssätzen ist bereits ein Betrag von 450 EUR bzw. 480 EUR (ab 2015) für Unterkunft und Heizung enthalten. Hinzuzurechnen ist aber auch der im Unterhalt für das gemeinsame Kind der Partner enthaltene Wohnkostenanteil von etwa 20 Prozent.

 

Von den gesamten Wohnkosten des Ag von 840 EUR wird damit ein Betrag von über 500 EUR abgedeckt. Die verbleibende Differenz von gut 300 EUR entfällt auf die Lebensgefährtin als Mitmieterin und ihre beiden Kinder aus der geschiedenen Ehe.

 

4. Der Ausweg über den Betreuungsunterhalt

Die Ablehnung eines Familienselbstbehalts für nichteheliche Lebensgemeinschaften bedeutet allerdings nicht, dass auch alle tatsächlichen Aufwendungen des unterhaltspflichtigen Kindes für seinen Lebensgefährten unberücksichtigt bleiben. Wird ihm tatsächlich Unterhalt gewährt - gleichgültig, ob in Form von Geldzahlungen oder von Naturalleistungen - so ist das bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit für die Zahlung von Elternunterhalt von Bedeutung, wenn und soweit eine rechtliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung besteht. Außerdem muss der Unterhaltsempfänger dem bedürftigen Elternteil nach § 1609 BGB im Rang vorgehen.

 

Auch der Lebensgefährtin des Ag kann hier nach Aktenlage ein verlängerter Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1615 l BGB zustehen. Ein solcher Anspruch führt zwar nicht dazu, dass sich der Ag doch noch auf einen Familienselbstbehalt berufen kann. Der rechtlich geschuldete und gemäß § 1609 Nr. 2 BGB vorrangige Betreuungsunterhalt ist aber als sonstige Verpflichtung des Ag i. S. v. § 1603 Abs. 1 BGB vorrangig von seinem Einkommen abzuziehen.

 

§ 1615 l Abs. 2 S. 2 BGB sieht eine dreijährige Regelbetreuung vor. In dieser Zeit darf der betreuende Elternteil nicht auf eine Fremdbetreuung des Kindes verwiesen werden und kann den vollen Betreuungsunterhalt verlangen.

 

MERKE | Während der dreijährigen Regelbetreuung besteht folglich auch keine Erwerbsobliegenheit. Ein gleichwohl erzieltes Erwerbseinkommen des betreuenden Elternteils ist deshalb überobligatorisch und entsprechend § 1577 Abs. 2 BGB nur nach Billigkeit auf den Betreuungsunterhaltsanspruch anzurechnen.

 

Ist das gemeinsame Kind - wie hier - älter als drei Jahre, so steht dem betreuenden Lebensgefährten nach § 1615 l Abs. 2 S. 4 BGB ein fortdauernder Anspruch auf Betreuungsunterhalt zu, wenn dies der Billigkeit entspricht. In die Billigkeitsabwägung sind kindbezogene Gründe (z. B. bei einer Behinderung oder langfristigen Erkrankungen des Kindes) oder elternbezogene Umstände (z. B. bei einer Ausbildungsunterbrechung infolge Geburt und Kinderbetreuung) einzubeziehen. Sie können die Fortsetzung einer persönlichen Betreuung des Kindes erforderlich machen und damit zu einer Einschränkung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Lebensgefährten führen.

 

Darüber hinaus hat der BGH den Lebensgefährten im Rahmen ihrer intakten nichtehelichen Lebensgemeinschaft einen gewissen Entscheidungsspielraum im Hinblick auf die Fortdauer der (teilweisen) persönlichen Betreuung des gemeinsamen Kindes nach seinem dritten Geburtstag (bis zur Grenze eines möglichen Missbrauchs) eingeräumt.

 

MERKE | Für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus trägt der nach § 1615 l BGB unterhaltsberechtigte Lebensgefährte die Darlegungs- und Beweislast. Diese geht im Rahmen des Elternunterhalts auf das unterhaltspflichtige Kind über. Aus der Tatsache, dass die Lebensgefährtin des Ag neben der gemeinsamen Tochter noch zwei Kinder aus ihrer geschiedenen Ehe betreut, kann sie im Rahmen eines Anspruchs auf einen verlängerten Betreuungsunterhalt nach § 1615 l BGB allerdings nichts für sich herleiten.

 

Ein besonderer Betreuungsbedarf bei mehreren Kindern ist unterhaltsrechtlich nur dann zu berücksichtigen, wenn alle Kinder von dem nach § 1615 l BGB unterhaltspflichtigen Elternteil abstammen. Hier ist jedoch nicht der Ag sondern der geschiedene Ehemann der Lebensgefährtin für den erhöhten Betreuungsumfang durch die beiden weiteren Kinder verantwortlich. Dieser Anteil ist deshalb für die beim Elternunterhalt zu berücksichtigende Verpflichtung des Ag zur Leistung von Betreuungsunterhalt ohne Relevanz.

 

5. Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat nach dem Vortrag des Ag einen verlängerten Anspruch seiner Lebensgefährtin auf Betreuungsunterhalt gemäß § 1615 l Abs. 2 BGB dem Grunde nach für möglich erachtet. Da er mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen durch die Vorinstanzen die Frage des Betreuungsunterhaltsanspruchs nicht abschließend beantworten konnte, hat er das Verfahren an das OLG zur weiteren Aufklärung der damit zusammenhängenden Umstände zurückverwiesen. Sofern der Ag im Ergebnis der weiteren Feststellungen über kein ausreichendes Einkommen verfügt, um sowohl seiner Lebensgefährtin als auch seinem Vater (den vollen) Unterhalt zu zahlen, geht der Betreuungsunterhalt gemäß § 1609 Nr. 2 BGB dem Elternunterhalt vor. In der Konsequenz kann dieser Vorrang die Unterhaltsverpflichtung des Ag gegenüber seinem Vater schmälern oder sogar entfallen lassen.

6. Wie wird das OLG einen möglichen Anspruch berechnen?

Der nach § 1615l BGB geschuldete Unterhalt des betreuenden Lebensgefährten richtet sich allein nach seiner eigenen Lebensstellung gemäß § 1610 BGB (z. B. seinem vor der Geburt erzielten, jetzt ausfallenden Verdienst). Die Höhe des Betreuungsunterhalts wird nicht durch einen daneben geltend gemachten Unterhaltsanspruch eines ebenfalls unterhaltsbedürftigen Elternteils beeinflusst.

 

Ebenso lehnt der BGH eine Bedarfsbemessung nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des unterhaltspflichtigen Partners ab. Das gilt selbst bei Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, da der gemeinsame tatsächliche Lebensstandard in diesem Fall nur auf freiwilligen Leistungen des besser verdienenden Partners beruht, die keine nachhaltig gesicherte Rechtsposition für den anderen begründet.

 

Leben die Partner - wie hier - in einem gemeinsamen Haushalt zusammen, so werden Aufwendungen regelmäßig nicht in Form von Geldzahlungen sondern vor allem in Form von Naturalien (z. B. Wohnung, Lebensmittel) vorgenommen. Um die damit hier einhergehende Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Ag gemäß § 1603 Abs. 1 BGB anhand der Vorgaben des 1615 l BGB bestimmen zu können, ist es erforderlich, die Gewährung von Naturalunterhalt durch den Ag zu „monetarisieren“. Es ist der Geldwert des Naturalunterhalts zu bestimmen und mit dem (hypothetischen) Anspruch der Lebensgefährtin auf Betreuungsunterhalt in Form einer Geldzahlung zu vergleichen, den sie im Falle einer Trennung gegen den Ag hätte.

 

MERKE | In gleicher Weise müssen die Unterhaltsleistungen des Ag für die gemeinsame Tochter „monetarisiert“ werden. Ihr Anspruch ist wegen des Zusammenlebens im Haushalt des Ag und seiner Lebensgefährtin (abgesehen vom Taschengeld) nicht auf eine Geldzahlung sondern auf die Gewährung von Wohnung, Nahrung, Kleidung und sonstige Leistungen in Form von Naturalien gerichtet.

 

Der gegenüber dem Elternunterhalt vorrangige Kindesunterhalt lässt sich aber nur dann vom Einkommen des Ag abziehen, wenn er mit dem hypothetischen Anspruch auf Barunterhalt veranschlagt wird, den das Kind im Fall einer Trennung seiner Eltern gegen dem barunterhaltspflichtigen Elternteil hätte.

 

Weiterführende Hinweise

  • Zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs der Eltern bei Heimunterbringung, SR 16, 4
  • Zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs eines Elternteils, SR 14, 116
  • Zur möglichen versteckten Haftung des Schwiegerkindes, SR 14, 92
Quelle: Ausgabe 05 / 2016 | Seite 83 | ID 44027981