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· Fachbeitrag · Elternunterhalt

Die Grundsätze des Elternunterhalts

von RA Michael Thoennissen, Waltrop

| Das Thema Elternunterhalt hat in der anwaltlichen Praxis in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dies liegt an der sich wandelnden Altersstruktur und den geänderten Lebensverhältnissen. Der folgende Beitrag stellt die Anspruchsvoraussetzungen vor und gibt Hinweise für die Mandatsbearbeitung. |

1. Ausgangsproblematik

Heute gibt es in Deutschland ca. 2,5 Mio. Pflegefälle. In 2030 werden es rund 3,1 Millionen sein. Durch die wachsende Mobilität leben Eltern und Kinder oft an unterschiedlichen Orten. Dadurch wird zwangsläufig die Abhängigkeit von fremden Pflegekräften immer größer. Die Situation, in der die Mandanten in der Regel auf anwaltliche Hilfe angewiesen sind, zeigt folgendes Beispiel:

 

  • Beispiel

Vater V wird pflegebedürftig und muss in ein Pflegeheim, da die intensive Pflege von den Angehörigen - hier Mutter M - nicht gewährleistet werden kann. V kann für die immensen Pflegekosten nicht selbst aufkommen. Auch das gemeinsame Einkommen von V und M reicht - wie bei den Meisten - nicht aus. In diesen Fällen tritt das Sozialamt ein und zahlt dem V im Wege der Sozialhilfe laufende Hilfe zur Pflege. Gleichzeitig beginnt es zu ermitteln, ob Unterhaltspflichtige - in der Regel Kinder - vorhanden sind. Diese erhalten dann eine sogenannte Überleitungsanzeige. Darin wird mitgeteilt, dass die Sozialämter die zwischen dem Elternteil und dem Unterhaltspflichtigen bestehenden Unterhaltsansprüche selbst geltend machen können. Der Übergang der Ansprüche erfolgt gemäß § 94 Abs. 1 SGB XII. Gleichzeitig werden die potenziell Unterhaltspflichtigen zumeist aufgefordert, umfassend Auskunft über das Einkommen und das Vermögen zu erteilen. Der Auskunftsanspruch ergibt sich aus § 1605 BGB.

 

2. Anspruchsvoraussetzungen

§ 1601 BGB regelt die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten in gerader Linie und bildet somit die Anspruchsgrundlage für den Elternunterhalt. Grundsätzlich gilt für die Unterhaltspflicht gegenüber Eltern ein anderer, abgeschwächter Maßstab, als bei der Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern (BGH 23.10.02, XII ZR 266/99, Abruf-Nr. 021610). Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen:

 

a) Bedürftigkeit

Die Bedürftigkeit richtet sich nach § 1602 Abs. 1 BGB und beruht in der Regel darauf, dass die Eltern im Alter nicht im Stande sind, die Kosten für ihre Heimunterbringung aufzubringen. Das heißt es fehlt sowohl ein entsprechendes Einkommen als auch Vermögen.

 

Zum Einkommen zählen alle Einkünfte im steuerrechtlichen Sinn, z.B. aus Erwerbstätigkeit (Renteneinkünfte), Vermietung, Verpachtung, Gewerbe, Kapitalvermögen etc. Auch Leistungen der Grundsicherung sind bedarfsdeckend in Anspruch zu nehmen (BGH 20.12.06, XII ZR 84/04, Abruf-Nr. 071999).

 

PRAXISHINWEIS | Allein die Tatsache der Zahlung von Sozialhilfe führt noch nicht zu einem schlüssigen Regressanspruch des Sozialhilfeträgers (OLG Oldenburg 25.10.12, 14 UF 82/12, Abruf-Nr. 130196).

 

Das Vermögen von Unterhaltsberechtigten verringert im Regelfall die Bedürftigkeit und ist somit zu verwerten. Ausgenommen davon ist das Schonvermögen. Nach Sozialhilferecht verbleibt den Betroffenen ein anrechnungsfreier „Notgroschen“ von derzeit ca. 2600 EUR (BGH FamRZ 04 186). Weiteres Schonvermögen enthält die nicht abschließende Aufzählung in § 90 SGB XII. Bei der Verwertung von Vermögen ist eine umfassende Zumutbarkeitsabwägung auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Unterhaltspflichtigen vorzunehmen (BGH NJW 98, 978).

 

Beim Vermögen ist in der anwaltlichen Praxis unbedingt darauf hinzuweisen, dass auch Rückforderungsansprüche gemäß § 528 BGB auf den Sozialhilfeträger übergeleitet und geltend gemacht werden. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn Eltern ihren Kindern zu Lebzeiten Grundbesitz übertragen. Da die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen eine Verarmung i.S. von § 528 BGB bedeutet, besteht für den Sozialhilfeträger ein Anspruch auf Herausgabe des Geschenks. Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn zur Zeit des Eintritts der Bedürftigkeit zehn Jahre seit Vollzug der Schenkung verstrichen sind (§ 529 Abs. 1 BGB). Anders als im Erbschaftsteuerrecht beginnt die Frist hier trotz Gewährung von Wohn- bzw. Nießbrauchsrechten.

 

b) Bedarf

Der Bedarf bestimmt sich im wesentlichen durch die aktuellen Einkommens-und Vermögensverhältnisse des betreffenden Elternteils. Die Höhe des konkreten Unterhaltsbedarfs ist jedoch abhängig von den tatsächlich anfallenden Kosten für die Pflegeeinrichtung (BGH NJW 13, 301, Abruf-Nr. 130014). Es gilt die generelle Obliegenheit, den Unterhaltspflichtigen möglichst wenig zu belasten. Deshalb muss sich die Wahl der Pflegeeinrichtung an den Lebensverhältnissen des Unterhaltsberechtigten orientieren. Abzustellen ist dabei auf eine objektiv vernünftige Lebensführung mit dem vorhandenen Einkommen.

 

c) Leistungsfähigkeit

Beim Elternunterhalt gilt der Grundsatz, dass nur derjenige unterhaltspflichtig ist, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen im Stande ist ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Ob das Kind leistungsfähig ist, bestimmt sich nach seinem Einkommen und seinem Vermögen. Als Einkommen gelten alle ihm zufließenden Einkünfte, bereinigt um Steuern und Sozialabgaben. Allerdings darf das unterhaltspflichtige Kind im Rahmen der sekundären Altersvorsorge fünf Prozent seines Bruttoeinkommens für die eigene zusätzliche Altersvorsorge einsetzen (BGH 30.8.06, XII ZR 98/04, Abruf-Nr. 062699).

 

PRAXISHINWEIS0R | Die Rechtsprechung der letzten Jahre zeigt, dass sich im Rahmen der Einkommensermittlung Besonderheiten zugunsten von unterhaltspflichtigen Kindern ergeben. Dies ist auf die Schwäche und den Nachrang des Elternunterhalts zurückzuführen. Exemplarisch dafür ist die Berücksichtigung fiktiven Einkommens zu nennen. Die Zumutbarkeitsschwelle für dessen Berücksichtigung als Sanktion für die Verletzung einer Erwerbsobliegenheit ist ungleich höher als bei der Unterhaltsverpflichtung von Eltern gegenüber ihren Kindern.

 

Eine besondere Problematik ist der sogenannten „verdeckte Schwiegerkindesunterhalt“. Eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung von Schwiegerkindern ihren Schwiegereltern gegenüber besteht nicht. Dennoch spielt das Einkommen des Schwiegerkinds für den Elternunterhalt im Rahmen des Familienunterhalts eine Rolle. Denn bei verheirateten Unterhaltspflichtigen ist für die Frage der Leistungsfähigkeit der individuelle Familienselbstbehalt maßgeblich (OLG Hamm 27.11.07, I UF 50/07). Immer, wenn der Selbstbehalt des elternunterhaltspflichtigen Kindes ganz oder teilweise durch den Familienunterhalt gedeckt wird, kann das Kind grundsätzlich auch noch auf Elternunterhalt in Anspruch genommen werden, wenn sein Einkommen unterhalb des Selbstbehaltssatzes liegt.

 

Bei der Bemessung des Familienunterhalts wird kein Erwerbstätigenbonus abgezogen, da uneingeschränkt der Halbteilungsgrundsatz gilt (BGH 12.12.12, XII ZR 43/11, Abruf-Nr. 130308).

 

d) Selbstbehalt

Aktuell bestehen folgende Selbstbehalte beim Elternunterhalt:

  • Zum Elternunterhalt verpflichtetes Kind = 1.600 EUR
  • Ehegatte = 1.280 EUR

 

PRAXISHINWEISE |  

  • Schulden werden beim Elternunterhalt i.d. Regel großzügiger berücksichtigt als beim Ehegatten- und Kindesunterhalt. Für ihre Anerkennung kommt es auf den Zeitpunkt der Kreditaufnahme an. Schuldverbindlichkeiten, die im Rahmen einer angemessenen Lebensführung vor Bekanntwerden der Unterhaltsverpflichtung eingegangen werden, sind als „negatives Vermögen“ zu berücksichtigen (OLG Hamm 21.11.12, II-8 UF 14/12, Abruf-Nr. 130172). Der Sozialhilfeträger dürfte insofern für den Zeitpunkt der Kenntnis beweisbelastet sein.
  • Gemäß § 1606 III BGB haften Geschwister anteilig nach ihren Erwerbs-und Vermögensverhältnissen. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bestehen umfassende, wechselseitige Auskunftsansprüche.
 

Weiterführende Hinweise

  • Zur Vermögensverwertung selbstgenutzter Immobilien, S. 1 in dieser Ausgabe
Quelle: Ausgabe 01 / 2013 | Seite 9 | ID 42303954