· Fachbeitrag · Vorausvermächtnis
Wer hat bei einem Vermächtnis die Darlehensschuld zu übernehmen?
von RA und Notar, StB, FA ErbR Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, Paderborn
| Ist einem von mehreren Erben zusätzlich zu seinem Erbteil im Wege eines Vorausvermächtnisses ein Grundstück zugewandt worden, das noch mit Grundschulden belastet ist, kann sich die Frage stellen, wer die damit gesicherte Darlehensschuld zu übernehmen hat. Der Vermächtnisnehmer oder die Erben in ihrer Gesamtheit? Diese spannende Frage hatte das OLG Bremen in seinem Urteil vom 19.11.20 zu klären. |
Sachverhalt
Die spätere Erblasserin M errichtete ein notarielles Testament. Darin setzte sie ihre beiden Kinder S und T zu je 1/2 zu ihren Erben ein. Weiter bestimmte sie folgendes Vorausvermächtnis: „Mein Hausgrundstück A-Straße, einschließlich darauf ruhender Belastungen, erhält im Wege des Vorausvermächtnisses mein Sohn S. Diese Vermächtnisanordnung erfolgt vor dem Hintergrund, dass meine Tochter T bereits zu Lebzeiten das Hausgrundstück W-Straße lastenfrei erhalten hat.“ Der Erwerb des der T übertragenen Hauses W-Straße wurde durch ein Darlehen finanziert. Besichert wurde das Darlehen über eine Grundschuld, die an dem Objekt A-Straße eingetragen wurde.
Nach dem Tode der M übertrug die T dem S in Erfüllung des Vorausvermächtnisses das Eigentum an dem Grundstück A-Straße. S löste die Grundschuld durch Zahlung von insgesamt 184.471,19 EUR ab. Der Aktivnachlass belief sich auf 20.123,65 EUR, der Passivnachlass (unter Einbeziehung der Darlehnsschuld) auf 175.614,67 EUR.
S nimmt nun T auf Zahlung der Hälfte des Darlehnsbetrages in Anspruch. T hat daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung der Annahme der Erbschaft nach ihrer Mutter sowie deren Ausschlagung wegen Irrtums erklärt. Als Begründung gab sie an, dass sie im Hinblick auf den Verlauf des Rechtsstreits davon ausgehen müsse, dass der Nachlass überschuldet sei, was sie bei Annahme der Erbschaft nicht gewusst habe. Das OLG hat der T recht gegeben (OLG Bremen 19.11.20, 5 U 22/20, Abruf-Nr. 221997). S hat demzufolge die Darlehensschuld allein zu tragen.
Entscheidungsgründe
Der von S verfolgte Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass beide Parteien Gesamtschuldner hinsichtlich der Darlehensschuld sind. Dieses Gesamtschuldverhältnis folgt aus § 2058 BGB, wenn beide Parteien Miterben sind und es sich um eine gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeit handelt. Da nach dem Testament beide Parteien zu gleichen Teilen zu Miterben eingesetzt worden waren, waren sie damit gemeinschaftliche Miterben i. S. v. § 2032 BGB. Die Darlehensschuld stellt eine vom Erblasser herrührende Verbindlichkeit i. S. v. § 1967 Abs. 2 BGB dar, sodass beide Erben hierfür gem. § 1967 Abs. 1 BGB haften. Danach bestand grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch des S gegen die T.
§ 426 Abs. 1 BGB regelt einen Ausgleich zu gleichen Teilen, soweit nichts Anderes bestimmt ist. Eine anderweitige Bestimmung könnte sich hier aus § 1192 Abs. 1 i. V. m. § 2166 BGB ergeben. Danach haftet der Vermächtnisnehmer im Fall eines vermachten, mit einer Grundschuld belasteten Grundstücks auch für die damit gesicherte persönliche Forderung, sofern es sich um einen typischen Realkredit (Sicherungsgrundschuld) handelt. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass das der Grundschuld zugrunde liegende Darlehen nicht für den Erwerb des Grundstücks „A-Straße“ verwendet worden ist, sondern zum Erwerb des Grundstücks „W-Straße“. Nach verbreiteter Auffassung soll § 2166 BGB nicht auf die mit einer Grundschuld gesicherte Forderung angewendet werden, wenn die abgesicherte Forderung weder in Bezug zum Grundstück steht noch diesem zugutekommt (vgl. Palandt/Weidlich, § 2166 Rn. 3 m. w. N.).
Allerdings handelt es sich bei § 2166 BGB um eine Zweifelsregel. Hier hatte sowohl der das Testament beurkundende Notar als auch der anwesende Zeuge bekundet, dass nach dem erklärten Willen der M die S das Grundstück A-Straße, die T das Grundstück W-Straße erhalten und die Verbindlichkeiten geteilt werden sollten. Damit bleibt es zunächst bei der je hälftigen Haftung der Parteien für die Darlehensschuld.
Allerdings ist die T hier nicht Miterbin geworden, weil sie die Annahme der Erbschaft wirksam angefochten hat (§§ 1954, 1957 Abs. 1 BGB). Nach h. M. stellt die Überschuldung des Nachlasses eine verkehrswesentliche Eigenschaft i. S. v. § 119 Abs. 2 BGB dar; der Erbe kann also die Annahme der Erbschaft wegen Irrtums anfechten, wenn er die Überschuldung nicht bemerkt hat und er in Kenntnis der Sachlage die Erbschaft ausgeschlagen hätte (vgl. OLG München 28.7.15, 31 Wx 54/15).
MERKE | Vorliegend ist der Sachverhalt insoweit besonders, als der T die Überschuldung im Grundsatz bekannt war, sie aber davon ausging, sie trete aufgrund der Regelung im Vorausvermächtnis nicht ein, weil die durch die Grundschuld gesicherte Forderung nur von S zu befriedigen sei. Der BGH (8.2.89, IVa ZR 98/87) ist der Auffassung, dass ein Irrtum über die Überschuldung auch vorliegen kann, wenn es um die Belastung des Nachlasses mit einer wesentlichen Verbindlichkeit geht, deren rechtlicher Bestand ungeklärt ist. |
Im Streitfall macht die T geltend, sie habe erst nach der Beweisaufnahme erster Instanz erkannt, dass der Nachlass überschuldet sei. Zuvor sei sie ‒ irrtümlich ‒ davon ausgegangen, dass die Darlehensverbindlichkeit allein von T als Begünstigtem des Vorausvermächtnisses zu tragen gewesen sei. Damit ist sie nach Auffassung des BGH zur Anfechtung berechtigt.
Relevanz für die Praxis
Wird ein Grundstücksvermächtnis angeordnet, sollte immer auch eine Bestimmung mit aufgenommen werden, wer etwaige durch den Vermächtnisgegenstand gesicherte Verbindlichkeiten zu übernehmen hat: der Begünstigte des Vermächtnisses oder die Erben. Zwar bestimmt § 2166 BGB, dass der Vermächtnisnehmer im Zweifel die mit dem Grundpfandrecht gesicherten Darlehen zu übernehmen hat. Allerdings handelt es sich hierbei nur um eine Zweifelsregelung. Der Rechtsstreit hätte vermieden werden können, wenn diese Frage ausdrücklich geregelt worden wäre.