· Fachbeitrag · Verjährung
BGH ändert Rechtsprechung zur Verjährung von Taten nach § 266a StGB
von RA Boris Salzmann LL.M., Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
| Der für das Steuerstrafrecht zuständige 1. Strafsenat des BGH hat ‒ unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung ‒ entschieden, dass die Verjährungsfrist bei Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB bereits mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts zu laufen beginnt, und damit die Rechtsprechung zur Verjährung der Beitragsvorenthaltung derjenigen zur Steuerhinterziehung nach § 370 AO angenähert. |
Sachverhalt
Der Angeklagte setzte als Geschäftsführer der H. GmbH 2007 bis 2012 illegal beschäftigte Mitarbeiter ein, um Bauleistungen zu erbringen, und verschleierte dies durch Abdeckrechnungen. Die Arbeitnehmer meldete er nicht bei der zuständigen Einzugsstelle zur Sozialversicherung, obwohl er seine Verpflichtung kannte. Er enthielt dadurch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung vor (Fälle 1 bis 62 der Urteilsgründe). Ebenso ließ er in Kenntnis seiner Pflicht die durch die Scheinrechnungen verdeckten Schwarzlöhne nicht an die BG Bau melden und führte auch die Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung nicht vollständig ab (Fälle 63 bis 67 der Urteilsgründe). Schließlich machte er in Bezug auf die Abdeckrechnungen gegenüber dem FA unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen und verkürzte dadurch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag (Fälle 68 bis 103 der Urteilsgründe). In den Fällen 1 bis 17 lag der Fälligkeitszeitpunkt für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen dem 29.1.07 und dem 29.5.08. Im Fall 63 erfolgte die ‒ unvollständige ‒ Meldung an die Berufsgenossenschaft am 6.2.08. Die unrichtigen Steuererklärungen in den Fällen 68 bis 72 gab der Angeklagte zwischen dem 5.4.07 und dem 9.4.08 ab.
Die Strafverfolgungsverjährung wurde durch einen Durchsuchungsbeschluss des AG vom 25.1.12 im Hinblick auf sämtliche Taten unterbrochen. Die Anklage ging am 28.10.16 beim LG ein, und das Hauptverfahren wurde mit Beschluss vom 30.5.18 eröffnet. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Verfahren in den Fällen 68 bis 72 (Steuerhinterziehungstaten) wegen Verjährung einzustellen und die Revision im Übrigen als unbegründet zu verwerfen. Lediglich die Schadensberechnung sei jeweils fehlerhaft, was sich aber nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt habe.
Der Senat beabsichtigt, das Verfahren auch im Hinblick auf die Fälle 1 bis 17 sowie 63 wegen Verjährung dieser Taten (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB) einzustellen und den Gesamtstrafenausspruch aufzuheben. Er kann dies aber nicht ohne Anfrage gem. § 132 Abs. 2 und 3 GVG entscheiden. Denn nach bisheriger ständiger BGH-Rechtsprechung beginnt die Verjährungsfrist bei Taten gem. § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB wie in den Fällen 1 bis 17 erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht, sodass keine Verjährung eingetreten wäre ([Anfrage-]Beschluss vom 13.11.19, 1 StR 58/19, Abruf-Nr. 213675).
Entscheidungsgründe
Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung trat bei Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB Beendigung erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht ein (BGH 19.12.18, 1 StR 444/18, StraFo 19, 215). Sofern kein anderer Erlöschensgrund gegeben ist (z. B. spätere Entrichtung der Beiträge, Wegfall des Beitragsschuldners durch Liquidation, Ausscheiden des Täters aus seiner Vertreterstellung), beginnt die fünfjährige strafrechtliche Verjährungsfrist bei einer vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung aufgrund der sozialrechtlichen Verjährungsregelung in § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV dann erst 30 Jahre nach dem Fälligkeitstermin zu laufen.
An der bisherigen Ansicht, den Verjährungsbeginn an das Erlöschen der Beitragspflicht anzuknüpfen, hält der 1. Strafsenat nicht länger fest. Die Verjährungsfrist der Beitragsvorenthaltung beginne vielmehr bereits mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts zu laufen. Dogmatisch begründet wird die Vorverlagerung des Verjährungsbeginns damit, dass die Rechtsgutsverletzung mit Nichtzahlung im Zeitpunkt der Fälligkeit irreversibel eingetreten sei und durch weiteres Untätigbleiben nicht mehr vertieft werden könne.
Vor allem aber hatte der 1. Strafsenat einen sonst gegebenen Wertungswiderspruch zur Verjährung der (Lohn-)Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO im Blick: Diese ist in der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO mit Ablauf der gesetzlichen Anmeldefrist (10. Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldezeitraums) vollendet und beendet, sodass entsprechende Taten bereits fünf Jahre nach der Tatvollendung verjähren.
Der Senat stellt zunächst klar, dass sich § 370 Abs. 1 AO und § 266a Abs. 2 StGB nicht nur in der Tatbestandsstruktur ähneln, sondern auch den gleichen Strafrahmen aufweisen. Zudem fielen das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und die Lohnsteuerhinterziehung in der Praxis häufig zusammen. Schließlich sei die Lohnsteuer als Anmelde- bzw. Fälligkeitssteuer ausgestaltet, sodass zwischen Lohnsteuer- und Beitragserhebungsverfahren deutliche Parallelen bestünden.
In begrüßenswerter Deutlichkeit hebt der Senat hervor, dass kein Grund für die unterschiedliche Behandlung ersichtlich ist. Die Diskrepanz im Hinblick auf den Verjährungszeitpunkt sei insbesondere befremdlich, wenn ein Täter beide Delikte zugleich verwirklicht. Es sei daher aufgrund der genannten Parallelen zwischen den Tatbeständen geboten, dass die Taten zu annähernd gleichen Zeitpunkten verjähren.
Relevanz für die Praxis
Abzuwarten bleibt die Reaktion der übrigen Strafsenate des BGH auf die Anfrage des 1. Strafsenats. Aufgrund der bisherigen „gefestigten“ Rechtsprechung lässt sich nicht ausschließen, dass einer der Senate, von dessen Rechtsprechung hier abgewichen werden soll, an seiner Rechtsauffassung festhält. Entscheiden müsste dann der Große Senat für Strafsachen des BGH.

MERKE | Der 1. Strafsenat des BGH hatte mit Beschluss vom 24.9.19 (1 StR 346/18, Abruf-Nr. 212015) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung bereits entschieden, dass der Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft im Rahmen des § 266a StGB ebenso wie bei § 370 AO nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB (Tatbestandsirrtum) und nicht nach § 17 StGB (Verbotsirrtum) zu behandeln ist. |
Weiterführender Hinweis
- Wegner, Strafrechtlicher Vorsatz in sozialrechtlich schwierigen oder sonst komplexen Strukturen, PStR 20, 55