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· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

OLG Nürnberg lässt in Leasingsache den dolo-agit-Einwand greifen

| In der Juli-Ausgabe haben wir auf der Seite 115/116 auf das Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 17.12.15 (8 O 3938/14) hingewiesen. Das OLG Nürnberg will die Berufung des Kl. gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen. |

 

Sachverhalt

Aus eigenem Recht, sowie als Prozessstandschafter der Leasinggeberin, hat der Kl. (= Leasingnehmer) die Fahrerin und den Halter des gegnerischen Fahrzeugs auf Schadenersatz verklagt. Der KH-VR, der auf 50 Prozent-Basis reguliert hat, wurde nicht mitverklagt. Das LG hat die Klage bis auf einige Zinsen abgewiesen. Begründung: Aus eigenem Recht nur 50 Prozent, aus in Prozessstandschaft geltend gemachtem Recht (Reparaturkosten/Wertminderung) zwar an sich 100 Prozent, aber im Ergebnis auch nur 50 Prozent. Argument: Den Bekl. steht ein Ausgleichsanspruch unter Gesamtschuldnern in Höhe von 50 Prozent zu, den sie dem Kl. entgegenhalten können (dolo-agit-Einrede).

 

Entscheidungsgründe

Dieser Beurteilung hat sich das OLG Nürnberg angeschlossen (19.7.17, 13 U 45/16, Abruf-Nr. 195685). Dass der BAB-Spurwechsel-Unfall nicht mehr aufzuklären war und damit keine Seite der anderen ein Verschulden nachweisen konnte, stand in zweiter Instanz außer Streit. Auch die gleich hohe Gewichtung der beiderseitigen Betriebsgefahren (50 : 50) war kein Thema mehr. Damit liegt genau diejenige Konstellation vor, die in Rspr. und Lit. besonders umstritten ist: Der in der Schuldfrage ungeklärte Unfall mit Haftung nur nach StVG ohne Anrechnung der Betriebsgefahr zulasten der Leasinggeberin, also 100 Prozent pro Leasinggeberin.

 

Die gleichfalls strittige Vorfrage, ob die prozessuale Ermächtigung der Leasinggeberin zumindest insoweit unwirksam ist, als sie auf eine quotenfreie Rechtsverfolgung gerichtet ist (so Lemcke, r+s 14, 577), hat das OLG ausdrücklich offengelassen. Einiges spreche für Unwirksamkeit, meint der Senat (ohne BGH 7.3.17, VI ZR 125/16, auch nur zu erwähnen). Jedenfalls greife die dolo-agit-Einrede durch. Ein Kl. könne nicht aus fremden Recht fordern, was er als Gesamtschuldner aus eigener Mithaftung sofort wieder ausgleichen müsse.

 

Die Voraussetzungen eines Gesamtschuldnerausgleichs hat das OLG bejaht. Auch der Kl. hafte der Leasinggesellschaft für den eingetretenen Schaden an dem Leasing-Pkw. Zwar nicht aus § 823 BGB (und schon gar nicht aus §§ 7, 18 StVG), wohl aber aus dem Leasingvertrag, hier Klausel XI Nr. 1 der Leasing-AGB, Haftung „auch ohne Verschulden“. Da der Anspruch der Leasinggeberin gegen die Schädiger und ihr vertraglicher Anspruch gegen den Leasingnehmer „besonders eng verwandt“ seien, sei die erforderliche Identität des Leistungsinteresses gewahrt.

 

Des Weiteren sieht das OLG einen Anspruch der Leasinggeberin gegen den Kl. als Leasingnehmer aus § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer verhaltensbezogenen Nebenpflicht (Eigentumsverletzung). Den erforderlichen Entlastungsbeweis nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB habe der Kl. nicht geführt, weil er seine Schuldlosigkeit an dem Unfall nicht habe beweisen können.

 

Relevanz für die Praxis

In einem Abwasch oder getrenntes Waschen mit unterschiedlichen Quoten? Sich in dieser heiklen Frage für eine Gesamt(be)reinigung zu entschieden, hat auch in der Konstellation des Streitfalls ‒ ungeklärter Unfallhergang ‒ einiges für sich. Auf Kritik stoßen muss der Weg über § 522 Abs. 2 ZPO. Denn die Berufung ist keineswegs evident aussichtslos.

 

  • Ob bei einer Konstellation wie im Entscheidungsfall ein Gesamtschuldnerausgleich eröffnet ist, ist umstritten. Dazu Diederichsen, ehemals VI. ZS: „Etwaige vertragliche Ansprüche des Leasinggebers gegen den Halter und Leasingnehmer können mangels Gleichstufigkeit mit den Ansprüchen aus Gefährdungshaftung keine Gesamtschuld zwischen Halter und Haftpflichtversicherer begründen“ (DAR 11, 306). Zu prüfen wäre ferner, ob die Haftungsklausel (Übernahme der Sachgefahr) überhaupt wirksam ist. Soweit das OLG Nürnberg im Anschluss an Nugel (NZV 09, 313) auf § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB als weitere vertragliche Anspruchsgrundlage zurückgreift, ist das angesichts BGH NJW 11, 996 Tz. 13 zumindest fragwürdig.

 

  • Selbst wenn man sich über all diese Bedenken gegen die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses bei nicht nachgewiesenem Verschulden des Leasingnehmers/Fahrers hinwegsetzt, bleibt die Frage: Handelt der Kl. treuwidrig, wenn er in gewillkürter Prozessstandschaft, nicht etwa als Abtretungsgläubiger, den Fahrer und den Halter ‒ nicht auch den KH-VR ‒ auf 100 Prozent in Anspruch nimmt?
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  • Auch das bedarf höchstrichterlicher Klärung. Bis dahin ist Anwälten von Leasingnehmern zu empfehlen, sich an dem OLG-Beschluss zu orientieren, wenn sie eine Klage in gewillkürter Prozessstandschaft (oder kraft Zession) in Betracht ziehen.

 

Abgesehen von der dolo-agit-Problematik ist der OLG-Beschluss aus einer Reihe weiterer Gründe interessant: Bemessung des Gegenstandswerts für die vorgerichtlichen RA-Gebühren, RA-Kosten für die Einholung der Deckungszusage der RSV (Erstattungsfähigkeit verneint) und Verzinsung (hier: nur Prozesszinsen).

 

Einsender: Rechtsanwalt Bert Handschumacher, Berlin

Weiterführender Hinweis

  • Zur Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft in Bezug auf Ansprüche einer Finanzierungsbank/Sicherungseigentümerin: BGH 7.3.17, VI ZR 125/16, Abruf-Nr. 194089
Quelle: Seite 155 | ID 44817527