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· Fachbeitrag · Heimvertrag

Rechtsprechung zum Heimrecht

von RA Thomas Stein, FA Familienrecht und Erbrecht, Limburg

| Grundlage jeden Heimaufenthalts ist ein Heimvertrag, der für die Beteiligten Rechte und Pflichten schafft. Wie überall bei vertraglichen Beziehungen, ergeben sich auch hier Konflikte, die von der Rechtsprechung gelöst werden müssen. Dabei ist das Spektrum breit gefächert, es reicht von unzulässigen Vertragsklauseln über Verkehrssicherungspflichten bis zu Testierverboten und anderem mehr. Die folgende Rechtsprechungsübersicht soll ‒ ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit ‒ aufzeigen, mit was sich Gerichte schon beschäftigt haben. |

1. Auflösung Mietvertrag bei Umzug ins Heim

Das LG Duisburg (WuM 99, 691) hat entschieden, dass der Mieter, der in eine altengerechte Wohnung umziehen möchte, einen Anspruch auf vorzeitige Entlassung aus dem Mietvertrag hat. Vorausgesetzt,

  • er stellt einen angemessenen Nachmieter oder
  • für den Vermieter ist die Neuvermietung ohne Weiteres möglich.

 

Dies gilt natürlich erst recht bei einem aufgrund von Pflegebedürftigkeit notwendigem Umzug eines Mieters in ein Alten- und Pflegeheim.

2. Sondennahrung und Verpflegungsentgelt

Der BGH (FamRZ 04, 539) hat entschieden, dass das Heimentgelt um den Verpflegungsanteil zu reduzieren ist, wenn ein Heimbewohner die Heimkost nicht verzehrt, weil er auf eine von der gesetzlichen Krankenkasse finanzierte Sondennahrung angewiesen ist.

3. Abwesenheitsklausel im Heimvertrag

Der BGH (NJW 05, 3632) hat weiter entschieden, dass eine Klausel in einem Heimvertrag wirksam ist, nach der für den Fall einer Abwesenheit von bis zu drei Tagen keine Erstattung ersparter Aufwendungen durch das Heim erfolgen muss.

4. Einzelzimmerzuschlag

In derselben Entscheidung wie zuvor hat der BGH entschieden, in Heimverträgen mit Leistungsempfängern der Pflegeversicherung bedarf die Gewährung und Berechnung von Zusatzleistungen, der vorherigen schriftlichen Vereinbarung. Im konkreten Fall ging es um ein Einzelzimmer im Pflegeheim, für das der Heimträger einen Zuschlag erheben wollte.

 

Fehlt eine solche, kann der Heimträger für Zusatzleistungen auch keine Bereicherungsansprüche geltend machen.

5. Haftungsklausel bei Räumungsschäden

Das OLG Hamm(22.8.14, 12 U 127/13, SR 14, 206) hat sich mit einer Vertragsklausel des Heimbetreibers beschäftigt, die ihm nach Vertragsende und fruchtloser Nachfrist die Räumung des überlassenen Wohnraums und die Einlagerung der persönlichen Sachen des Heimbewohners auf dessen Gefahr und Kosten gestatten sollte. Das OLG Hamm hat hier einen Verstoß gegen die §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 309 Nr. 7 BGB angenommen und dem Heimbetreiber untersagt, die Klausel weiter zu verwenden.

6. Kautionsvereinbarung

§ 14 WBVG gibt dem Heimbetreiber die Möglichkeit, mit Heimbewohnern die Leistung einer Kaution zu vereinbaren. Ausgeschlossen ist dies allerdings, wenn der Heimbewohner Leistungen nach SGB XI bezieht und der Heimbetreiber mit dem Sozialhilfeträger unmittelbar abrechnet, so das OLG Köln (16.12.16, 6 U 71/16, SR 17, 80).

7. Sturzprophylaxe bei verwirrten Bewohnern

Das OLG Dresden (23.9.04, 7 U 753/04, FamRZ 05, 1174) sieht es als Pflicht des Heimbetreibers an, wenn eine zeitweise verwirrte und hochbetagte Heimbewohnerin innerhalb eines Monats dreimal zur Nachtzeit aufsteht und in ihrem Zimmer stürzt, sogenannte Sturzprophylaxe zu betreiben. Konkret sieht das OLG dies so, dass in der Nacht ein Bettgitter hochzuziehen ist, auch wenn die Bewohnerin ihre Einwilligung hierzu versagt.

8. Schlechterfüllung Heimvertrag

Bei Schlechterfüllung eines Heimvertrags steht dem Bewohner für seinen Eigenanteil ein Minderungsrecht zu, welches rückwirkend für höchstens sechs Monate geltend gemacht werden kann und nicht von den Minderungsansprüchen der Kostenträger abhängig ist.

 

Das Kürzungsverlangen ist eine geschäftsähnliche Handlung, die gegenüber dem Träger vorzunehmen, also geltend zu machen, ist, so das OLG Düsseldorf (4.4.11, 24 U 130/10, NJW-RR 11, 1683).

9. Sturzgefährdung und Schadenersatz

Das OLG Koblenz (17.6.13, 3 U 240/13, NJW-RR 14, 458) hat festgestellt, wenn ein Heimbewohner sich nicht krankheitsbedingt permanent in einer Gefahrenlage befinde, so sei er zur Vermeidung eines Sturzes im normalen Tagesablauf nicht ständig zu fixieren oder ununterbrochen zu bewachen. Kommt es gleichwohl zu einem Sturz, haftet der Heimbetreiber nicht auf Schadenersatz.

 

Die Entscheidung sticht hervor durch eine sorgfältige Abwägung zwischen den Pflichten des Heimbetreibers und der Würde, den Interessen und Bedürfnissen der Bewohner auf Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.

10. Obhutspflichten bei WC-Begleitung

Das OLG Jena (27.8.15, 1 U 558/14, NJW-RR 16, 273) hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem es bei einer behinderten Heimbewohnerin nach unmittelbar vorausgegangenem Toilettengang zu einem Fenstersturz gekommen war. Das OLG Jena kam zu dem Ergebnis, dass den Mitarbeitern des Heims bei der Abwägung zwischen angestrebten therapeutischen und medizinischen Zielen, dem Interesse der Betroffenen an größtmöglicher Autonomie und dem Grundsatz der Unterbringung unter normalen Lebensverhältnissen im Vergleich zu gegenüberstehenden Gefahren und möglichen Schädigungen ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen sei. Diesen hätten die Heimmitarbeiter im konkreten Fall nicht falsch ausgefüllt, indem sie die Betroffene auf dem Toilettengang unbeaufsichtigt gelassen hätten.

 

Zu dieser Beurteilung dürfte insbesondere ein früheres Gutachten zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit der Betroffenen geführt haben, nach welchem diese nicht ständig hätte beaufsichtigt werden müssen.

 

Geklagt hatte übrigens nicht etwa die Betroffene, sondern die Krankenkassen aus übergegangenem Recht.

11. Temperaturbegrenzer in Dusche

Das OLG München (FamRZ 06, 1676) erwartet von einem Heimbetreiber, dass er in einer sogenannten beschützenden Abteilung für untergebrachte Bewohner in der Dusche einen Temperaturregler bzw. Temperaturbegrenzer einbaut. Im konkreten Fall war ein Heimbewohner mit schwerer Demenzerkrankung auf einem Toilettenstuhl in der Nasszelle seines Zimmers für einen Zeitraum von ca. 20 Minuten alleingelassen worden, in der Zeit hatte er sich mit zu heißem Wasser aus der Dusche schwere Verbrennungen zugefügt.

 

Dem Urteil hat zugrunde gelegen, dass eine klagende Krankenkasse aus übergegangenem Recht für ihren Versicherungsnehmer Schadenersatz wegen der verauslagten Behandlungskosten gefordert hatte.

12. Heißer Tee bei Demenz

Das Schleswig-Holsteinische OLG hat in einer Entscheidung festgestellt, dass es bei großenteils demenzerkrankten Heimbewohnern dem Personal nicht abverlangt werden kann, ständig Aufsicht zu führen. Dies würde den Grundgedanken des Heimrechts, wonach Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der Heimbewohner zu wahren und zu fördern sind, widersprechen. Es hat aber im konkreten Fall eine Verletzung der Obliegenheitspflicht des Personals dahingehend festgestellt, wenn Heimbewohner in einem Aufenthaltsraum mit heißem Tee gefüllten Thermoskannen alleingelassen werden und sich mit diesem verbrühen, kommt eine Schadenersatzpflicht in Betracht.

 

Das OLG hat die Erwartung zugrunde gelegt, dass die Kannen vom Personal beim Verlassen des Raumes mitgenommen werden (OLG Schleswig-Holstein 31.5.13, 4 U 85/12).

13. Bearbeitungsgebühr für die Heimaufnahme

Der VGH Hessen (12.12.06, 10 UZ 1061/06, Leitsatz in FamRZ 07, 1812) hat festgestellt, dass es einem Heimträger untersagt ist, von einem Bewerber um einen Heimplatz im Heimvertrag eine Bearbeitungsgebühr zu verlangen, wenn das Aufnahmeverfahren sich auf Tätigkeiten beschränkt, die notwendig sind, um den Bewerber entsprechend seinen persönlichen Bedürfnissen fachgerecht Unterkunft, Verpflegung und Betreuung gewähren zu können.

14. Schuldbeitritt für Heimentgelt

Ein Heimbetreiber hatte Interessenten bei Vertragsverhandlungen u. a. eine vorformulierte Anlage übergeben, in der die Vereinbarung eines Schuldbeitritts durch dritte Personen vorgesehen war. Damit wollte der Heimbetreiber seine Ansprüche zusätzlich absichern. Das OLG Zweibrücken (23.7.14, 1 U 143/13, NJW-Spezial 14, 642) hat dies als Verstoß gegen die Regelungen des WBVG angesehen und dem Heimbetreiber auf Klage eines Verbraucherverbands untersagt, diese Geschäftspraxis fortzuführen.

15. Akteneinsicht in Pflegedokumentationen

Liegt eine Einwilligung des Heimbewohners oder seines gesetzlichen Betreuers oder Bevollmächtigten vor, kann einem Krankenversicherer aus übergegangenem Recht ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation gegen Kostenerstattung zustehen. Dasselbe Recht steht dem Heimbewohner selbst infolge seines informellen Selbstbestimmungsrechtes zu, so der BGH (FamRZ 10, 969).

16. Verstoß gegen Rauchverbot

Der beharrliche Verstoß gegen das in einem Heimvertrag festgelegte Rauchverbot kann ein Kündigungsgrund sein, selbst wenn bei dem betreffenden Bewohner die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit eingeschränkt ist.

 

Dagegen werden einzelne Vorfälle wie das Ausspucken oder Werfen von Essensresten in einem Pflegeheim als nicht so ungewöhnlich angesehen, dass sie einen Kündigungsgrund darstellen könnten. Auch Betteln in der Umgebung eines Heims soll kein Kündigungsgrund sein (LG Freiburg 5.7.12, 3 S 48/12, NJW-RR 13, 503).

17. Kündigung wegen Schreiattacken

Das OLG Frankfurt (22.7.16, 8 W 38/16, NJW-RR 2016, 1394) hat es als wichtigen Grund für die Kündigung eines Heimvertrags angesehen, wenn es öfters zu Schreiattacken eines Heimbewohners gekommen ist.

 

Zwar hatte das OLG in diesem Beschluss nur noch eine Kostenentscheidung zu überprüfen, hat aber gleichwohl ausdrücklich festgehalten, dass die bestrittenen Schreiattacken, so sie denn bei Fortführung des Rechtsstreits bewiesen worden wären, als Grund für eine wichtige Kündigung ausgereicht haben.

 

18. Heimrecht und Testierfreiheit

Das OLG Stuttgart (21.3.13, 8 W 253/11, FamRZ 14, 1492) hat entschieden, dass die Erbeinsetzung eines Heimträgers durch einen Heimbewohner in einem Testament nur nichtig ist, wenn der Heimträger von dieser Erbeinsetzung vor dem Erbfall Kenntnis erlangt. Die Kenntnis des Landesverbands des Heimträgers sei, so das Gericht weiter, diesem nicht zuzurechnen, schade also der Erbeinsetzung nicht.

 

Das OLG Frankfurt (12.5.15, 21 W 67/14, FamRZ 15, 1840) hat entschieden, dass die zum früheren § 14 Heimgesetz entwickelten Grundsätze auch im Rahmen des jetzt geltenden § 7 HGBP (Hessisches Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen) Anwendung finden. Das Gericht hat weiter die Feststellung getroffen, dass für die Erbeinsetzung der Geschäftsführerin eines ambulanten Pflegedienstes durch eine zu pflegende Person in einem Erbvertrag bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung gelte, dass diese Erbeinsetzung mit den Pflegeleistungen in Zusammenhang stehe. Die Erbeinsetzung ist dann unwirksam.

19. Heimaufenthalt und Einkommensteuer

Der Bewohner eines Wohn- oder Pflegeheimes kann die ihm neben den allgemeinen Heimkosten gesondert in Rechnung gestellten und von Dritten nicht erstatteten Kosten ggf. als außergewöhnliche Belastung nach dem Einkommensteuergesetz geltend machen. Diese besonderen Kosten müssen neben den allgemeinen Unterbringungskosten entstehen und gesondert erfassbar sein (BGH 15.4.10, VI R 51/09, NJW 10, 3054).

20. Fazit

Der Rechtsprechungsüberblick belegt, dass der Heimaufenthalt alles andere als im etwa rechtsfreien Raum stattfindet. Angesichts der demografischen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass die Rechtsprechung für diesen Bereich zunimmt. Dabei gibt es im Heimrecht gesetzliche Vorgaben, die weithin unbekannt und durch die Rechtsprechung noch überhaupt nicht ausgelotet sind.

 

So regelt z. B. § 23 Abs. 1 Nr. 3 des Hessischen Gesetzes über die Betreuungs- und Pflegeleistungen einen Ordnungswidrigkeitstatbestand, wonach mit einem Bußgeld bis zu 25.000 EUR belegt werden kann, wer „seiner Verpflichtung nach § 8, für eine gewaltfreie und menschenwürdige Pflege zu sorgen, nicht nachkommt“. Diese Vorschrift führt bisher ein absolutes Schattendasein, man darf aber vermuten, dass viele Betroffene sowie ihre Betreuer/Bevollmächtigte aus Sorge vor eventuell weiteren Repressalien davor zurückschrecken, solche Ordnungswidrigkeiten anzuzeigen, zumal man sich damit einhergehende Beweisschwierigkeiten gut vorstellen kann.

 

Insgesamt klingt „Heimrecht“ eher nach einer etwas drögen Materie, die vorstehende Übersicht sollte davon überzeugen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 65 | ID 45190884