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· Fachbeitrag · Umsatzsteuer

„Nachhaltigkeit“ ‒ die große Unbekannte bei der Beurteilung der Unternehmereigenschaft

| Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Gewerblich oder beruflich ausgeübt werden kann nur eine nachhaltige Tätigkeit. Die Nachhaltigkeit wiederum ergibt sich aus dem „Gesamtbild der Verhältnisse“ und damit aus einer wertenden Beurteilung. Letztere wiederum birgt sowohl für den potenziellen Unternehmer als auch für seinen Berater erhebliche Gefahren, wie nicht zuletzt das Urteil des FG Hamburg vom 16.10.2019 (2 K 312/17 ) zeigt. |

1. Beurteilung des Einzelfalls

Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nachhaltig ausgeübt, wenn sie auf Dauer zur Erzielung von Entgelten angelegt ist. Für eine nachhaltige Betätigung sprechen (vgl. Abschn. 2.3 Abs. 5 Satz 4 UStAE):

 

Checkliste / 

  • Mehrjährige Tätigkeit
  • Planmäßiges Handeln
  • Auf Wiederholung angelegte Tätigkeit
  • Die Ausführung mehr als nur eines Umsatzes
  • Vornahme mehrerer gleichartiger Handlungen unter Ausnutzung derselben Gelegenheit oder desselben dauernden Verhältnisses
  • Langfristige Duldung eines Eingriffs in den eigenen Rechtskreis
  • Intensität des Tätigwerdens
  • Beteiligung am Markt
  • Auftreten wie ein Händler
  • Unterhalten eines Geschäftslokals
  • Auftreten nach außen z. B. gegenüber Behörden
  • Der nicht nur vorübergehende, sondern auf Dauer angelegte Verkauf einer Vielzahl von Gegenständen über eine Internet-Plattform

 

  • Beachten Sie | Die Beurteilung der Nachhaltigkeit hängt nicht von einer bereits beim Einkauf der Gegenstände vorhandenen Wiederverkaufsabsicht ab (BFH 26.4.12, V R 2/11, BStBl I 12, 634)!
  • Der planmäßige, wiederholte und mit erheblichem Organisationsaufwand verbundene Verkauf einer Vielzahl fremder Gebrauchsgegenstände über eine elektronische Handelsplattform

 

  • Beachten Sie | Dieser Einstufung steht nicht entgegen, dass die Tätigkeit nur für kurze Dauer und ohne Gewinn ausgeübt wird und ein Wareneinkauf nicht festgestellt werden kann (BFH 12.8.15, XI R 43/13, BStBl II 15, 919)!
 

Die für und gegen die Nachhaltigkeit sprechenden Merkmale müssen gegeneinander abgewogen werden. Abschn. 2.3 Abs. 5 UStAE listet eine Vielzahl von Tatbestandsmerkmalen auf, die für eine nachhaltige Betätigung sprechen. Abschn. 2.3 Abs. 6 UStAE nennt Einzelfälle, in denen mal die Nachhaltigkeit gegeben ist und mal nicht. Entscheidend ist jeweils das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall.

 

PRAXISTIPP |

  • 1. Maßgebend ist also nicht das einzelne Charakteristikum; es ist vielmehr erforderlich, die für oder gegen die Nachhaltigkeit sprechenden Merkmale gegeneinander abzuwägen.

 

  • 2. „Nachhaltigkeit“ ist damit ein unbestimmter Rechtsbegriff. Während manche Betätigungen eindeutig nachhaltig oder eindeutig nicht nachhaltig erfolgen, wird man sich über andere Betätigungen trefflich streiten können.

 

  • 3. Aufgrund der u. U. gravierenden Auswirkungen von Fehleinschätzungen ist es im Zweifel zu empfehlen, die eigene Einschätzung durch eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung (§ 89 AO) abzusichern. Da die nämlichen Betätigungen in der Regel mit zeitlichem Vorlauf geplant und langfristig angelegt sind, sollte insoweit der Zeitfaktor (Bearbeitungsdauer des Finanzamts) keine Rolle spielen.
 

2. Abgrenzung zur „Liebhaberei“

Bei Nachhaltigkeit kann damit auch eine aufgrund von Dauerverlusten ertragsteuerlich als Liebhaberei einzustufende Tätigkeit die Unternehmereigenschaft begründen oder den Rahmen eines schon bestehenden Unternehmens erweitern. Zur Abgrenzung einer nachhaltig ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit und einer aus außerunternehmerischen Gründen betriebenen Betätigung ist insbesondere auf die Dauer und Intensität der Tätigkeit, die Zahl der Kunden, die Höhe der Einnahmen, die Beteiligung am Markt und das Vorhandensein eines Geschäftslokals abzustellen (Abschn. 2.3 Abs. 5, Abs. 6 UStAE).

 

  • Beispiel

Der An- und Verkauf von Wein stellt nur dann eine unternehmerische Tätigkeit dar, wenn sich die Betätigung deutlich von einer privaten Versorgung des Bekannten- und Freundeskreises abhebt. Bei einem Weineinkauf von rund 120 Flaschen pro Jahr spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen das geschäftsmäßige Betreiben eines Weinhandels (FG Hessen 8.11.00, 6 K 4774/96, EFG 01, 599).

 

Beachten Sie | Die Aufwendungen im Zusammenhang mit einer ertragsteuerlichen Liebhaberei fallen nicht unter das Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG, sondern sind bereits aus den übergeordneten Gesichtspunkten des § 2 EStG ertragsteuerlich unbeachtlich. Die Vorsteuer aus Vorbezügen unterliegt damit nicht dem Abzugsverbot des § 15 Abs. 1a UStG i. V. m. § 12 Nr. 1 EStG. Bei Unternehmern, für die § 4 Abs. 5 EStG ertragsteuerlich keine Bedeutung hat, weil sie keinen Gewinn zu ermitteln haben, ist für Zwecke der Umsatzsteuer darauf abzustellen, ob die Aufwendungen ihrer Art nach unter das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 ‒ 4, 7 EStG fallen (Abschn. 15.6 Abs. 3 UStAE).

3. Einzelfälle aus der Rechtsprechung

3.1 Unternehmer durch Verkauf von Jahreswagen?

Nach der Rechtsprechung des BFH muss nach der Haltefrist des Fahrzeugs unterschieden werden:

 

  • Verkäufe in Abständen von über einem Jahr: Ein Angehöriger einer Automobilfabrik, der von dieser unter Inanspruchnahme des Werks-angehörigenrabatts fabrikneue Automobile erwirbt und diese nach mehr als einem Jahr wieder verkauft, ist nicht nachhaltig als Unternehmer tätig (BFH 18.7.91, V R 86/87, BStBl II 91, 776).

 

  • Verkäufe in Abständen von unter einem Jahr: Ein Angehöriger einer Automobilfabrik, der regelmäßig von dieser unter Inanspruchnahme des Werksangehörigenrabatts fabrikneue Automobile erwirbt und diese bis zum Ablauf der vom Werk gesetzten Verkaufssperrfrist ausschließlich zu privaten Zwecken nutzt, kann die auf den Erwerb des Automobils entfallende Umsatzsteuer nicht gemäß § 15 Abs. 1 UStG 1967 als Vorsteuer abziehen, unterliegt aber mit dem jeweiligen Verkauf der Automobile als Unternehmer der Umsatzsteuer (BFH 26.4.79, V R 46/72, BStBl II 79, 530).

 

PRAXISTIPP | Bei Verkäufen in Abständen von über einem Jahr ist die Intensität der wirtschaftlichen Betätigung so gering, dass eine unternehmerische Betätigung entfällt.

 

3.2 Unternehmer durch den Verkauf von Gebrauchtwagen?

Eine unternehmerische bzw. wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuerrechts ist zu verneinen, wenn innerhalb von zwei Jahren zwar zehn Kfz angeschafft werden, über einen längeren Zeitraum aber lediglich zwei Fahrzeuge weiterveräußert werden und ein händlerähnliches Auftreten am Markt nicht dargetan wird (FG Hamburg 16.10.19, 2 K 312/17).

 

3.3 Unternehmer durch Verkäufe bei eBay?

Der Verkauf einer Vielzahl von Gegenständen über die Internet-Plattform eBay kann eine der Umsatzsteuer unterliegende (nachhaltige) unternehmerische Tätigkeit sein: Die Beurteilung als nachhaltig hängt nicht von einer bereits beim Einkauf vorhandenen Wiederverkaufsabsicht ab.

 

Bei der laufenden Veräußerung von Gegenständen in erheblichem Umfang liegt keine nur private Vermögensverwaltung vor, wenn der Verkäufer aktive Schritte zum Vertrieb der Gegenstände unternimmt, indem er sich ähnlicher Mittel bedient wie ein Händler i. S. v. Art. 4 Abs. 2 der 6. EG-RL (BFH 26.4.12, V R 2/11, BFH/NV 12, 1285).

 

PRAXISTIPPS |

  • 1. Wann ist der Verkauf von Gegenständen via eBay nur eine umsatzsteuerrechtlich irrelevante private Vermögensumschichtung oder doch eine wirtschaftliche Tätigkeit, wie das Unionsrecht den Begriff Steuerpflichtigen (= Unternehmer i. S. d. UStG) unter Hinweis auf „alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, insbesondere Umsätze, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen“ beschreibt?
  • 2. Weder ein absoluter Betrag allein (z. B. Verkauf des bisher privat erworbenen und genutzten Pkw für 50.000 EUR) noch die Zahl der Verkäufe allein (eine Sammlung von Briefmarken wird en bloc an einen Versteigerer gegeben) eignen sich als Kriterium.
  • 3. Verkäufe in den Grenzen der Kleinunternehmerregelung führen jedenfalls nicht zur Steuerpflicht.
  • 4. Im Übrigen gilt: Im Einzelfall ist aufgrund des Gesamtbildes der Verhältnisse zu beurteilen, ob die Voraussetzungen einer nachhaltigen Tätigkeit i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG erfüllt sind. Dabei ist eine Reihe verschiedener (nicht abschließend festgelegter) Kriterien zu würdigen, die je nach dem Einzelfall in unterschiedlicher Gewichtung für oder gegen die Nachhaltigkeit der Einnahmeerzielung sprechen können.
  • 5. Ohne Bedeutung ist auch, ob Gegenstände in Wiederverkaufsabsicht erworben wurden (BFH 26.4.12, V R 2/11, BStBl I 12, 634; vgl. auch Abschn. 2.3 Abs. 5 Satz 4 UStAE).
  • 6. Bei laufenden Verkäufen einer Vielzahl von Gegenständen über eBay ist auch der damit verbundene zeitliche und logistische Aufwand zu berücksichtigen. Dass die Gegenstände vorher gesammelt worden sind, schließt die Annahme einer unternehmerischen Tätigkeit nicht aus. Soweit der BFH in Entscheidungen der 80er-Jahre einen Briefmarken- und einen Münzsammler nicht als Unternehmer beurteilt hatte, beruhte darauf, dass beide jeweils en bloc eine Vielzahl von Gegenständen in eine Versteigerung gegeben, nicht dagegen jeden einzelnen Sammlungsgegenstand sukzessive selbst vermarktet hatten.
 

3.4 Privatverkäufe

Bei geringfügigen Verkäufen aus dem eigenen Haus heraus spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen das geschäftsmäßige Betreiben eines Handelsgeschäfts (FG Hessen 8.11.00, vgl. oben unter 2).

Quelle: Seite 455 | ID 46579286