· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Arzneimittellieferung durch Krankenhaus ‒ Streit mit Kostenträgern um Umsatzsteuer geht weiter
von Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuer- und Sozialrecht Gabriele Ritter, Ritter&Partner mbB, Rechtsanwälte und Steuerberater, Wittlich
| Der BFH hatte mit Urteil vom 24.09.2014 (Az. V R 19/11 ) entschieden, dass die Verabreichung von Zytostatika im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung umsatzsteuerfrei ist. Darauf folgte ein jahrelanger Streit zwischen Kostenträgern und Krankenhäusern über die Rückabwicklung zuviel gezahlter Umsatzsteuer. Seit Ende 2019 streiten Kostenträger und Krankenhäuser erneut ‒ diesmal über Bemessungsgrundlagen und Steuersätze im Fertigarzneimittelbereich. Erste Klagen auf Rückzahlung sind bereits anhängig. |
Überlegungen der Krankenkassen zum Steuersatz
Arzneimittellieferungen unterliegen hierzulande grundsätzlich dem Umsatzsteuersatz von 19 Prozent. Nur in besonders eng auszulegenden Ausnahmefällen liegt ein umsatzsteuerfreier Umsatz vor. Dies hat der BFH für die durch Krankenhäuser selbst hergestellten und auf die Patienten individuell zugeschnittenen Zytostatika bejaht (BFH, Urteil vom 24.09.2014, Az. V R 19/11, Abruf-Nr. 173569). Das BMF schloss sich dem an und gab Umsetzungshinweise (BMF, Schreiben vom 28.09.2016, Az. III C 3 ‒ S 7170/11/10004, Abruf-Nr. 190163).
Fertigarzneimittel und die Umsatzsteuer
Fertigarzneimittel, die in engen Grenzen ebenfalls durch Krankenhäuser abgegeben werden können, erfüllen die BFH-Kriterien eindeutig nicht. Gleichwohl vertreten einige (wenige) Kostenträger die Ansicht, dass auch die Fertigarzneimittel, die durch Krankenhäuser abgegeben werden, auf der Grundlage des BFH-Urteils umsatzsteuerfrei zu stellen sind. Fertigarzneimittel seien zwar nicht individuell hergestellt. Sie seien aber durch die unmittelbare Verabreichung in die Behandlung ebenso stark eingebunden (siehe dazu auch Klaßmann in „der Krankenhaus-Justitiar“, I/2020, 29 ff. und Kissenkötter/Thoms-Meyer in „das Krankenhaus 3/2019, 214).
Angesichts der restriktiv auszulegenden Befreiungsvorschriften dürfte diese Rechtsauffassung m. E. als zu weit abgelehnt werden (siehe dazu auch EuGH, Urteil vom 13.03.2014, Rs. C-366/12, Abruf-Nr. 140927, Seite 7). Die meisten Krankenkassen und privaten Krankenversicherer gehen (deshalb) davon aus, dass die Abgabe von Fertigarzneimitteln dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent unterliegt, sofern die Krankenhäuser Zweckbetriebe nach § 67 AO sind. Diese Sicht beruht auf verschiedenen Urteilen des BFH, u. a.
- zur ertragsteuerlichen Beurteilung der Abgabe von Zytostatika durch eine Krankenhausapotheke an ambulante Patienten des Krankenhauses (BFH, Urteil vom 31.07.2013, Az. I R 82/12, Abruf-Nr. 134047),
- zur ertragsteuerlichen Beurteilung der Versorgung mit sog. Faktorpräparaten (Medikamente zur Blutgerinnung) für den häuslichen Bereich (BFH, Urteil vom 18.10.2017, Az. V R 46/16, Abruf-Nr. 198656),
- zur ertragsteuerlichen Beurteilung der Abgabe von Zytostatika durch eine Krankenhausapotheke; hier allerdings zu dem speziellen Fall, dass der behandelnde Arzt als ermächtigter Krankenhausarzt im Rahmen seiner selbstständig ausgeübten Nebentätigkeit auftritt (BFH, Urteil vom 06.06.2019, Az. V R 39/17, Abruf-Nr. 210296) .
Kostenträger fordern zuviel gezahlte Umsatzsteuer zurück
In allen Fällen ging der BFH davon aus, dass die Leistungen dem Zweckbetrieb nach § 67 AO zuzuordnen waren. Diese Rechtsprechung aufgreifend fordern die Kostenträger nunmehr auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG Umsatzsteuer in beachtlicher Größenordnung von den Krankenhäusern zurück. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG ist auf Leistungen der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke gemäß §§ 51 bis 68 AO verfolgen, der ermäßigte Steuersatz anzuwenden.
Als Anspruchsgrundlage stützen sich die Krankenkassen auf die Urteile des BGH vom 20.02.2019 (Az. VIII ZR 115/18, Abruf-Nr. 208196, Az. VIII ZR 7/18, Abruf-Nr. 208177, Az. VIII ZR 66/18, Abruf-Nr. 208175 und Az. VIII ZR 189/18, Abruf-Nr. 207841) bzw. auf das Urteil des BSG vom 09.04.2019 (Az. B 1 KR 5/19 R, Abruf-Nr. 214215). Danach können die Krankenkassen nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung oder ‒ bei Bestandskraft der Steueranmeldungen ‒ aufgrund einer Nebenpflichtverletzung aus der jeweils getroffenen Vereinbarung einen Rückzahlungsanspruch gegenüber den Krankenhäusern auf die zuviel gezahlte Umsatzsteuer haben. Einen Schaden sollen die Krankenhäuser dadurch nicht erleiden, weil sich der Rückforderungsanspruch nach den Vorstellungen der Gerichte auf das beschränken soll, was die Krankenhäuser infolge ihrer Korrekturmeldungen als Rückerstattung von ihren Finanzämtern erhalten. Soweit aber die (Jahres)-Steueranmeldungen bestandskräftig sind, kann sich daraus ein echter Schaden für die Krankenhäuser ergeben.
Die Forderungen der Kostenträger reichen weit zurück. Mit der Veröffentlichung des Urteils vom 31.07.2013 im Bundessteuerblatt im Jahre 2015 sowie der zeitgleichen Änderung des AEAO zu § 67 AO, mit der es erstmals zu einer Definition des Zweckbetriebs „Krankenhaus“ kam, seien ‒ so die Kostenträger ‒ die Krankenhäuser verpflichtet gewesen, die umsatzsteuerlichen Rückschlüsse zu ziehen. Die Rückzahlungsansprüche reichen ‒ so die Überlegungen der Kostenträger ‒ mindestens bis in das Jahr 2010 zurück.
Wichtig | Die Erfolgsaussichten der Klagen zum ermäßigten Steuersatz werden ebenfalls zurückhaltend beurteilt. Zum einen entschied der BFH (Urteil vom 23.07.2019, Az. XI R 2/17, Abruf-Nr. 212364), dass § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG nicht mit Unionsrecht vereinbar ist, weil einer unionsrechtskonformen Auslegung des Satzes eins der Wortlaut der Vorschrift entgegensteht. Zum anderen gilt die Steuerermäßigung für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden nur, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) S. 3, 1. Alternative UStG). Daran fehlt es bereits aufgrund des Wettbewerbs zu den öffentlichen Apotheken, deren Leistungen der vollen Umsatzbesteuerung unterliegen. Es gebietet der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung nicht unterschiedlich behandelt werden (EuGH, Urteil vom 13.03.2014, Rs. C-366/12, Abruf-Nr. 140927, Rz. 28).
Wichtig | Ungeachtet der umsatzsteuerlichen Rechtslage ist auch der tatsächliche Sachverhalt zu analysieren. Die Kostenträger differenzieren z. B. nicht, ob die mit der Arzneilieferung verbundene ärztliche Leistung durch das Krankenhaus oder durch einen ermächtigten Krankenhausarzt erbracht wurde. Bei letzterem wäre weiter zu prüfen, ob dieser insofern selbstständig oder unselbstständig tätig war. Denn erst durch das Urteil des BFH vom 06.06.2019 wurde festgestellt, dass die in Nebentätigkeit ausgeübte Behandlung eines Krankenhausarztes vom Zweckbetrieb nach § 67 AO umfasst ist.
Weiterer Streitpunkt: Die Bemessungsgrundlage
Nach Ansicht des FG Münster ist bei der Abgabe von Arzneimitteln an Endverbraucher oder Kostenträger auf sog. Herstellerrabatte keine Umsatzsteuer zu berechnen (FG Münster, Urteil vom 13.03.2018 (Az. 15 K 832/15 U, Abruf-Nr. 200963). Eine Aufwendung (Zahlung) sei nur dann Entgelt bzw. Gegenleistung für eine bestimmte Leistung, wenn sie „für die Leistung“ bzw. „für diese Umsätze“ gewährt wird. Entscheidend sei, dass zwischen Leistung und Gegenleistung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, der sich regelmäßig aus dem „Rechtsverhältnis“ ergibt. Dies gelte sinngemäß auch für die Zahlung eines Dritten. Unter Anwendung dieser Grundsätze sei der Herstellerrabatt nach § 130a SGB V nicht als ein Entgelt zu qualifizieren. Gegen dieses Urteil wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az. beim BFH V B 38/18).
Bewertung des Vorgehens in der Praxis
Es ist sicherlich nicht zu beanstanden, wenn Kostenträger mangels Vorsteuerabzugsberechtigung versuchen, die Zahlung von Umsatzsteuer zu vermeiden. Auch darf in der Sache vor den Gerichten gestritten werden. Allerdings entwickelt sich ein Störgefühl, wenn die Kostenträger insbesondere in den Fällen der Fertigarzneimittel eine derart weitreichende Rückwirkung ihres Begehrens einfordern, obgleich es dazu noch keine gesicherte und veröffentlichte Rechtsmeinung der Finanzverwaltung gibt. Die im Bundessteuerblatt veröffentlichten Urteile des BFH beziehen sich allesamt auf die Ertragsbesteuerung und haben nicht zwangsläufig umsatzsteuerliche Konsequenzen.
Wichtig | Soweit die Steueranmeldungen der Krankenhäuser schon bestandskräftig sind, stellt sich daher die Frage, ob überhaupt ein (rückwirkender) Regressanspruch möglich ist. Denn das BSG hat in seiner Entscheidung vom 09.04.2019 immer wieder auf die (einschlägige) Rechtsauffassung der Finanzverwaltung und der Gerichte hingewiesen. Diese gibt es aber noch nicht. Die Auffassung der Krankenkassen ist nichts anderes als eine eigene Rechtsauffassung. Deshalb können insbesondere zum Zeitpunkt der erstmaligen Zahlungsaufforderung der Krankenkassen Ende 2019 bereits bestandskräftige Anmeldungen m. E. keine Rückzahlungsverpflichtung auslösen.