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· Fachbeitrag · Religionsfreiheit

Kopftuchverbot im Privatunternehmen

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Ist eine allgemeine Anordnung in der Privatwirtschaft, die auch das Tragen auffälliger religiöser Zeichen verbietet, aufgrund der von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) geschützten unternehmerischen Freiheit unter dem Aspekt des Verbots der Benachteiligung aus religiösen Gründen stets gerechtfertigt? Wie ist die Religionsfreiheit der ArbN zu berücksichtigen, die von der GRC, der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und den Grundfreiheiten sowie dem GG geschützt wird? |

 

Sachverhalt

Der ArbG ist ein Unternehmen des Einzelhandels. Die klagende ArbN ist bei ihm als Verkaufsberaterin und Kassiererin beschäftigt gewesen und dann in Elternzeit gegangen. Sie ist muslimischen Glaubens. Vor Eintritt in ihre Elternzeit hat sie kein Kopftuch getragen oder ihre Religion in einer anderen Weise sichtbar kenntlich gemacht.

 

Nach der Rückkehr aus der Elternzeit trug die ArbN ein Kopftuch. Nach ihrer Auffassung erfülle sie damit ein für sie zwingendes islamisches Bedeckungsgebot. Der ArbG forderte die ArbN auf, das Kopftuch am Arbeitsplatz abzulegen. Dieser Aufforderung kam die ArbN nicht nach. Der ArbG bezieht sich hinsichtlich seiner Weisung auf eine für alle Verkaufsfilialen geltende Kleiderordnung. Diese verbietet das Tragen auffälliger großflächiger religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Zeichen am Arbeitsplatz.

 

Mit ihrer Klage begehrt die ArbN die Feststellung, dass die Weisung des ArbG unwirksam ist. Sie ist der Auffassung, die Weisung sei unwirksam, weil sie dadurch wegen ihrer Religion diskriminiert werde. Der ArbG beruft sich auf seine unternehmerische Freiheit und den Schutz der negativen Religionsfreiheit seiner Kunden und ArbN.

 

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt (LAG Nürnberg 27.3.18, 7 Sa 304/17), da die Weisung des ArbG wegen Verstoßes gegen die Religionsfreiheit rechtswidrig sei.

 

Entscheidungsgründe

Das BAG (30.1.19, 10 AZR 299/18 (A), Abruf-Nr. 208521) konnte in der Sache nicht entscheiden, da es dafür auf die unionsrechtliche Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie als Ausprägung des europäischen Vertragsrechts ankomme.

 

Das Verbot eines Unternehmens der Privatwirtschaft, auffällige großflächige Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz zu tragen, werfe Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht auf. Diese Fragen müssten im Zusammenhang mit Konventions- und Verfassungsrecht durch ein Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, das der 10. Senat des BAG an den EuGH richtet.

 

Das BAG sieht sich im Spannungsfeld zwischen der unternehmerischen Freiheit eines privaten ArbG und der Religionsfreiheit einer ArbN. Im Kern stellt das BAG mit seinen Vorlagefragen auf den Punkt ab, ob ein generelles Verbot für das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen angemessen sei.

 

Relevanz für die Praxis

Die ArbN arbeitet in der Privatwirtschaft. Sie hat eine Tätigkeit auszuführen, die Kundenkontakt mit sich bringt. Der ArbG weist keinerlei Nähe zu einer Religionsgemeinschaft auf und legt in seinem unternehmerischen Leitbild Wert auf eine weltanschauliche und religiöse Neutralität. Dem steht wiederum der Wunsch der ArbN entgegen, ihre religiöse Überzeugung durch ein Kopftuch zum Ausdruck zu bringen.

 

Es ist auch verfassungsrechtlich schwierig, diese beiden Rechtspositionen sachgerecht abzuwägen. Das BVerfG konnte sich bisher zu diesem Fragenkomplex nur umfassend im Hinblick auf öffentliche ArbG dahingehend äußern, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen und sonstige Pädagoginnen an öffentlichen Schulen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit muslimischer Frauen gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in nicht gerechtfertigter Weise verletze (BVerfG NJW 15, 1359). Es müsse eine konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität und den Einrichtungsfrieden vorliegen, um dahingehende Verbote zu rechtfertigen. Dies sei durch das Tragen eines Kopftuchs noch nicht der Fall. Nach Ansicht des BVerfG besteht kein Anspruch darauf, vom Anblick religiöser oder weltanschaulicher Zeichen insgesamt verschont zu bleiben.

 

Europarechtlich wird bei der Abwägungsentscheidung maßgeblich die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78 EG als Ausprägung des primärrechtlichen Gleichheitssatzes und der Religionsfreiheit zu beachten sein.

 

Die jüngste Rechtsprechung des EuGH betont demgegenüber stark die unternehmerische Freiheit. Für zwei in der Privatwirtschaft tätige Muslima, namentlich eine Rezeptionistin (EuGH 14.3.17, C-157/15, Abruf-Nr. 192793) und eine im Kundendienst tätige IT-Expertin (EuGH 14.3.17, C-188/15, Abruf-Nr. 192794) stellte der EuGH fest, dass ein Kopftuchverbot gerechtfertigt sein könne, wenn das Unternehmen hiermit einen legitimen Zweck verfolge und die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen seien. Ein solch legitimer Zweck könne etwa der Unternehmenswunsch nach einem neutralen Auftreten nach außen sein. Eine Ungleichbehandlung von ArbN könne nach Art. 4 (1) Richtlinie 2000/78/EG ausnahmsweise zulässig sein, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle und hiermit ein legitimer Zweck in angemessener Weise verfolgt werde. Hierbei sei im Kern auf die berufliche Tätigkeit abzustellen. Ein bloßer Kundenwunsch sei indes nicht hinreichend, um ein Kopftuchverbot zu rechtfertigen.

Quelle: Seite 135 | ID 45990544