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· Fachbeitrag · Plausibilitätsprüfung

Hohe Fallzahl rechtfertigt nicht per se Zeitprofilüberschreitungen

von RA, FA MedizinR, Mediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, kanzlei-am-aerztehaus.de

| Rechnet eine hausärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) regelhaft zeithinterlegte Leistungen ab, die etwa dem Zweifachen des Zeitkontingents entsprechen und zeigen sich zudem an einer Vielzahl von Tagen tagesbezogene Zeiterfassungen von über zwölf Stunden, so erweist sich die Abrechnung als fehlerhaft. Die KV ist dann im Wege der Plausibilitätsprüfung zur Berichtigung der Abrechnung gehalten (Sozialgericht [SG] Marburg, Urteil v. 06.04.2021, Az. S 12 KA 119/18). |

 

Sachverhalt

Für die hausärztliche BAG mit zwei Ärzten wurde eine Honorarrückforderung in Höhe von ca. 650.500 Euro wegen der Überschreitung der Tages- und Quartalsprofile im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung festgesetzt. In den relevanten Quartalen wurden Tagesprofilzeiten ‒ unter Einbezug ergänzender Not- und Bereitschaftsdienstleistungen ‒ von mehr als zwölf Stunden an 63 Tagen im Quartal (!) festgestellt. Das Quartalszeitprofil, das praxisbezogen bei 1.560 Stunden angesetzt wurde, überschritt die BAG regelhaft um rund 100 Prozent.

 

Entscheidungsgründe

Das SG entschied zulasten der BAG. Die Plausibilitätsprüfung stelle ein Verfahren dar, mit dessen Hilfe aufgrund bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen die rechtliche Fehlerhaftigkeit ärztlicher Abrechnungen vermutet werden könne. Die Überschreitung des Quartalszeitprofils von 780 Stunden pro Arzt bedinge weitere Überprüfungen, die hier zur Feststellung führten, dass die Abrechnung fehlerhaft sei. Soweit die maßgebliche Richtlinie aus dem Jahr 2018 dahin ergänzt wurde, dass auch quartalsbezogene Pauschalen oder überdurchschnittliche Fallzahlen oder eine fachliche Spezialisierung entlastend berücksichtigt werden könnten, wirke dies nicht zugunsten der BAG, so das Gericht. Es sei ferner auch davon auszugehen, dass die BAG jedenfalls grob fahrlässig agiert habe. Damit sei der KV ein (weites) Schätzungsermessen eröffnet, um die Honorarrückforderung zu ermitteln. Die vorgenommene Berechnung, den Leistungsanteil, der jenseits von zwölf Stunden liege, zu regressieren, sei nicht zu beanstanden.

 

FAZIT | Die strenge Linie des Gerichts ist insgesamt nachvollziehbar. Unglücklich ist, dass auch an sich entlastende Argumente nicht zum Zuge kommen. Dies gilt etwa für die Erhöhung des Quartalszeitprofils aufgrund einer Tätigkeit auch am Wochenende. Denn die Quartalszeitprofile beruhen darauf, dass ein Arzt pro Woche im Quartal an fünf Tagen je zwölf Stunden tätig sein könnte. Ist er aber regelhaft an sechs oder gar sieben Tagen tätig, muss konsequenterweise auch das Quartalszeitprofil angepasst werden. Selbst die ansonsten überaus strikte KV Westfalen-Lippe berücksichtigt „Wochenendtätigkeiten“ entlastend. Ferner überzeugt im Grundsatz auch die Entlastungsnotwendigkeit bei einer hohen Fallzahl, gegebenenfalls in Kombination mit der dadurch unvermeidlichen Zeitbelastung bei den quartalsbezogenen Pauschalen. Es bleibt aber ‒ so liest sich das Urteil auch ‒ eine Bewertung im jeweiligen Einzelfall.

 
Quelle: Seite 12 | ID 47526953