· Fachbeitrag · Personalmanagement
Wann verfallen Urlaubsansprüche? ‒ Die aktuellen Regeln im Überblick
von Rechtsanwältin Dr. Viktoria Winstel, Osborne Clarke, Köln
| Der Verfall von Urlaubsansprüchen führt oft zu Streit mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (nachfolgend kurz: Mitarbeiter). ASR stellt Ihnen daher die aktuellen Regeln kurz vor, wann Urlaubsansprüche verfallen. |
Verfall setzt Bestehen eines Urlaubsanspruchs voraus
Dass Urlaubsansprüche verfallen können, setzt voraus, dass solche bestehen. Anspruchsberechtigt ist insofern jeder Mitarbeiter (§ 1 BUrlG). Irrelevant ist, ob er in Voll- oder Teilzeit arbeitet bzw. ob er fest oder befristet angestellt ist. Ein anteiliger Urlaubsanspruch entsteht bereits nach dem ersten Monat der Vertragsbeziehung (§ 5 Abs. 1 BUrlG). Den vollen Urlaubsanspruch erwirbt ein Mitarbeiter erstmals, wenn das Arbeitsverhältnis sechs Monate besteht (§ 4 BUrlG).
Grundsatz: Urlaub verfällt am Ende eines Kalenderjahrs
Hat Ihr Mitarbeiter einen Urlaubsanspruch erworben, kann er diesen nicht unbegrenzt geltend machen. Grundsätzlich verfallen Urlaubsansprüche am Ende eines Kalenderjahrs (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG). Das „Verfalls-Risiko“ ist dem Zweck des Urlaubsanspruchs geschuldet: Er soll der Erholung und der Wiederauffrischung der Arbeitskraft im laufenden Kalenderjahr dienen.
Wichtig | Ihr Mitarbeiter verliert seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb, weil er keinen Urlaub beantragt hat. Der Anspruch verfällt nur, wenn Sie als Arbeitgeber nachweisen, dass der Mitarbeiter aus freien Stücken in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und es ihm tatsächlich möglich gewesen wäre, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Nur dann steht der Verfall des Anspruchs und ‒ bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ‒ der Wegfall einer finanziellen Vergütung im Einklang mit Unionsrecht (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Rs. C-619/16, Abruf-Nr. 205301, EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Rs. C-684/16, Abruf-Nr. 205302).
Ausnahmen: Urlaubsanspruch verfällt später
In bestimmten Fällen verfällt der Urlaubsanspruch nicht schon zum Jahresende, sondern später.
Übertragung bis zum 31.03. des Folgejahres
Als Ausnahmefall normiert § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG eine Übertragung von Urlaubstagen in das Folgejahr. Dafür müssen aber dringende betriebliche oder Gründe in der Person des Mitarbeiters vorliegen, die es ihm unmöglich gemacht haben, den Urlaub im maßgeblichen Kalenderjahr zu nehmen.
- Dringende betriebliche Gründe sind gegeben, wenn Ihr Interesse als Arbeitgeber, den Urlaub erst im Übertragungszeitraum, und nicht im laufenden Kalenderjahr zu gewähren, gegenüber dem Interesse Ihres Mitarbeiters an einer fristgerechten Inanspruchnahme bis zum 31.12. eines Jahres überwiegt. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn eine besonders arbeitsintensive Zeit bevorsteht. Es genügt nicht, wenn die Anwesenheit des Mitarbeiters im Autohaus oder Kfz-Betrieb lediglich wünschenswert ist.
- In der Person eines Mitarbeiters liegende Gründe sind in der Regel Erkrankungen und eine damit verbundene Arbeitsunfähigkeit zum Ende des Jahres, die der Inanspruchnahme des Urlaubs entgegensteht. Spiegelbildlich liegt kein Übertragungsgrund in der Person eines Mitarbeiters vor, wenn er so rechtzeitig wieder arbeitsfähig ist, dass der ihm (noch) zustehende Urlaubsanspruch gewährt werden kann. In diesem Fall wird nur der Teil des Urlaubs übertragen, welcher zeitlich nicht mehr genommen werden konnte.
Liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG vor, so vollzieht sich die Übertragung kraft Gesetzes. Ihr Mitarbeiter muss keinen Antrag auf Übertragung stellen, und Sie müssen als Arbeitgeber die Übertragung nicht aktiv herbeiführen und nicht in die Übertragung einwilligen.
Wichtig | Übertragen wird der Anspruch allerdings nur in das 1. Quartal des Folgejahres. Daher muss Ihr Mitarbeiter den übertragenen Urlaub zwingend bis zum 31.03. des Folgejahres komplett aufbrauchen und Sie müssen ihm den Urlaub gewähren.
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Mechatroniker A ist vom 10.09.2018 bis 15.01.2019 arbeitsunfähig krank. Ab 16.01.2019 arbeitet er wieder. Aus 2018 hat er noch 15 Urlaubstage.
Die 15 Tage werden automatisch in das Jahr 2019 übertragen. A kann die 15 Urlaubstage bis zum 31.03.2019 komplett aufbrauchen. |
Ausnahme: Übertragung bis zu 15 Monate
In besonderen Ausnahmefällen ist ein Urlaubsanspruch dagegen nicht nur in das 1. Quartal des Folgejahres zu übertragen, sondern bis zu 15 Monate.
Der EuGH entschied 2011, dass Urlaub, den ein Mitarbeiter aus von ihm nicht beeinflussbaren Gründen nicht nehmen konnte, so lange nicht verfallen dürfe, wie die Zwecke des Urlaubs noch erreicht werden könnten.
Wichtig | Beim Erholungszweck zieht der EuGH die Grenze nach Ablauf von 15 Monaten. D. h., in Fällen wie z. B. einer langfristigen Erkrankung oder einer nur kurzen Erkrankung bis zum Ende des Übertragungszeitraums nach § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG muss der Urlaubs bis zum 31.03. des zweiten Folgejahres übertragen werden (EuGH, Urteil vom 22.11.2011, Rs. C-214/10, Abruf-Nr. 113900).
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Kfz-Verkäufer B ist das ganze Jahr 2018 über arbeitsunfähig krank. Anfang August 2019 ist er wieder gesund und erscheint bei der Arbeit.
B stehen der gesamte Urlaub für 2018 und der gesamte Urlaub für 2019 zu. |
Ausnahme: Abweichende Regelungen
Von den Bestimmungen des § 7 BUrlG darf nur zugunsten des Mitarbeiters abgewichen werden. Dies kann durch Arbeits-, Tarifvertrag oder betriebliche Übung erfolgen.
Abweichungen von § 7 BUrlG regeln auch das Mutterschutzgesetz (MuSchG) und das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG):
- So kann eine Frau ihren Urlaub, den sie vor Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig erhalten hat, nach dem Ende des Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen (§ 24 MuSchG). Die Übertragung erfolgt also nicht nur in das 1. Quartal, sondern in das gesamte Folgejahr.
- Geht ein Mitarbeiter in Elternzeit, muss der Arbeitgeber Urlaub, den der Mitarbeiter vor Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten hat, nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr gewähren (§ 17 BEEG). Erst danach verfällt der Urlaubsanspruch.
Urlaubsabgeltungsansprüche sind vererbbar
Nach deutschem Recht gehörten Urlaubsansprüche bisher nach § 7 Abs. 4 BUrlG in Verbindung mit § 1922 Abs. 1 BGB nicht zur Erbmasse und konnten demnach nicht vererbt werden.
Der EuGH stellt aktuell aber klar: Stirbt ein Mitarbeiter im noch laufenden Arbeitsverhältnis und steht ihm ein noch unerfüllter Urlaubsanspruch zu, wandelt sich dieser in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um. Und dieser Anspruch geht dann auf die Erben über (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Rs. C-569/16 und C-570/16, Abruf-Nr. 205303).
Umgang in der betrieblichen Praxis
Aufgrund der verschiedenen Regelungen und Ausnahmen bezüglich des Verfalls von Urlaubsansprüchen können sich schnell Fehler bei der Urlaubsberechnung und -gewährung einschleichen. Behalten Sie daher die Urlaubsansprüche Ihrer Mitarbeiter im Blick und fordern Sie sie ggf. ‒ nachweisbar ‒ auf, ihren Urlaub zu nehmen.
Denken Sie daran: Wenn Sie als Arbeitgeber die Nichterteilung des Urlaubs zu vertreten haben, erlischt zwar der originäre Urlaubsanspruch Ihres Mitarbeiters. Er erwirbt dann aber einen Schadenersatzanspruch in entsprechender Höhe. Streitigkeiten sind da vorprogrammiert.