· Fachbeitrag · Personalmanagement
Fehlzeitenminimierung in der Physiopraxis: Diese Instrumente stehen Ihnen zur Verfügung
von RA Alexander Schlicht, Osborne Clarke Köln
| Personalausfälle durch Krankheit tun weh. Vor allem in Physiotherapiepraxen, die personell traditionell „auf Kante genäht sind“. Viele Inhaber fragen sich deshalb, welche ‒ auch rechtlichen ‒ Möglichkeiten und Instrumente zur Verfügung stehen, um Fehlzeiten zu minimieren. Im folgenden Beitrag finden Sie die Antworten. |
Die Anwesenheitsprämie
Fehlzeiten können Sie minimieren, indem Sie für Mitarbeiter zusätzliche Anreize schaffen, nicht zu fehlen. Das geht z. B. über eine Anwesenheitsprämie.
Als Sondervergütung vereinbaren
Eine Anwesenheitsprämie als Sondervergütung schafft bei Ihren Mitarbeitern einen Anreiz, ihre Fehlzeiten zu reduzieren. Gewähren Sie zusätzlich zum normalen Arbeitsentgelt Leistungen (Sondervergütungen), können Sie im Arbeitsvertrag vereinbaren, dass diese Sondervergütungen für Zeiten von (krankheitsbedingter) Arbeitsunfähigkeit gekürzt werden.
PRAXISHINWEIS | Damit die Anwesenheitsprämie überhaupt als Sondervergütung angesehen werden kann, sollte sie im Vertrag systematisch gesondert zum Fixgehalt genannt und auch in einem anderen Rhythmus als das Arbeitsentgelt gezahlt werden. |
Wird die Prämie nämlich im Rhythmus mit dem Arbeitsentgelt gezahlt, ist sie als laufendes und daher nicht kürzbares Entgelt einzustufen (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 21.01.2009, Az. 10 AZR 216/08, Abruf-Nr. 164650). Ihre „Anwesenheitsprämie“ wäre laufendes Arbeitsentgelt und müsste (je nach Verhinderungsgrund) auch abwesenden Arbeitnehmern gezahlt werden.
So können Sie die Anwesenheitsprämie bei Fehlzeiten kürzen
Die Anwesenheitsprämie soll ja die Anwesenheit belohnen. Ziel ist daher, dass die Prämie gekürzt wird, wenn der Mitarbeiter fehlt. Hier setzt Ihnen aber das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Grenzen. Die Sondervergütung darf nur um ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, für jeden Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gekürzt werden (§ 4a EFZG).
Wichtig | Auch für vergleichbare Fehlzeiten (z. B. Mutterschutz, Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz), in denen eine Vergütungspflicht wegen berechtigten Fehlens des Arbeitnehmers besteht, sollte eine Kürzung auf ein Viertel pro Fehltag beschränkt sein. Regeln Sie dies am besten im Arbeitsvertrag.
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Ihr Mitarbeiter erhält ein Jahresbruttogehalt von 24.000 Euro. Zusätzlich zahlen Sie eine Anwesenheitsprämie von 800 Euro (brutto). Fallen auf das Jahr 250 Arbeitstage, können Sie arbeitsvertraglich vereinbaren, dass für jeden Tag der krankheitsbedingten Abwesenheit die Anwesenheitsprämie um ein Viertel gekürzt wird.
Der Kürzungsbetrag errechnet sich wie folgt: Jahresbruttogehalt, geteilt durch Arbeitstage im Jahr x 4, mal Anzahl der Fehltage Bei 30 Fehltagen ergibt das: 24.000 Euro / (250 x 4) x 20 = 24 Euro x 20 = 480 Euro. Die Anwesenheitsprämie verkürzt sich daher von 800 Euro auf 320,00 Euro (brutto). |
PRAXISHINWEIS | Für andere Fehlzeiten gelten andere Kürzungsregeln.
Die Rechtsprechung stellt erhebliche Anforderungen an die Bestimmtheit der Kürzungsregelungen (Landesarbeitsgericht [LAG] Hamm, Urteil vom 07.03.2007, Az. 18 Sa 1663/06, Abruf-Nr. 080626). Dennoch stellt die Kürzung einer Anwesenheitsprämie einen guten Anreiz für Arbeitnehmer dar, nicht zu fehlen. Darüber hinaus gilt: Fehlt der Mitarbeiter unberechtigt (z. B. wegen Arbeitsverweigerung), können Sie Sonderzahlungen (wie auch das Gehalt) in voller Höhe des Fehltags kürzen. Einer vertraglichen Regelung bedarf es nicht. Es gilt der Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“ (§§ 614 S. 1, 326 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). |
Die Kürzung des vertraglichen Urlaubsanspruchs
Um Mitarbeiter zur Anwesenheit zu motivieren, haben Sie ‒ theoretisch ‒ auch die Möglichkeit, den übergesetzlichen (vertraglichen) Urlaubsanspruch zu kürzen. Der Normalfall sieht ja so aus, dass Sie mehr als den gesetzlichen Urlaub gewähren. Üblich sind 30 Tage. Diesen vertraglichen Urlaub können Sie frei regeln. Sie können z. B. vereinbaren, dass sich der vertragliche Urlaubsanspruch automatisch kürzt, wenn der Mitarbeiter eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen im Jahr aufgrund von Krankheit fehlt.
Wichtig | Die Rechtsprechung stellt an diese Klauseln hohe Anforderungen. Das BAG hält schon die Verwendung des Begriffs „Krankheitstag“ für intransparent. Denn es ist nicht erkennbar, ob jeder „Krankheitstag“ ‒ also auch Sonn- und Feiertage ‒ dazu führen, dass der vertragliche Urlaubsanspruch gekürzt wird (BAG, Urteil vom 15.10.2013, Az. 9 AZR 374/12, Abruf-Nr. 193881). Weil der Urlaub für Mitarbeiter ein hohes Gut und entsprechend emotional besetzt ist, sind Kürzungsregelungen in der Praxis deshalb die absolute Ausnahme.
Praxis: Kann man trotz AU-Bescheinigung arbeiten?
Arbeitsunfähigkeit (AU) liegt vor, wenn ein Mitarbeiter krank ist und deshalb die Tätigkeit, die er vor der Krankheit ausgeübt hat, nicht mehr ausführen kann (oder nur unter der Gefahr, dass sich die Erkrankung verschlimmert).
Die Arbeitsunfähigkeit aus Ihrer Sicht als Arbeitgeber
Leidet der Mitarbeiter aber an einer Krankheit, mit der er die bisherige Tätigkeit uneingeschränkt ausüben kann (z. B. Bänderriss bei einer Rezeptions- oder Verwaltungskraft), liegt keine Arbeitsunfähigkeit vor. Das ist jedoch eher ein theoretischer Fall. Gehen Sie davon aus, dass Ärzte ihre Berufspflichten kennen und die Arbeitsunfähigkeit bezogen auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit medizinisch korrekt bewerten.
Wenn die Initiative zur Arbeitsaufnahme vom Mitarbeiter ausgeht
Egal, ob Sie jetzt eine Anwesenheitsprämie ausgelobt haben oder nicht: Es gibt immer wieder Mitarbeiter, die früher wieder arbeiten wollen als sie krankgeschrieben sind. Das ist auch möglich. Ein Mitarbeiter muss sich dafür auch nicht wieder „gesundschreiben“ lassen. Eine AU-Bescheinigung verbietet dem Arbeitnehmer das Arbeiten grundsätzlich nicht.
PRAXISHINWEISE |
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Auf häufige Kurzzeiterkrankungen richtig reagieren
Für den Praxisbetrieb, vor allem aber auch für die Atmosphäre im Team, ist es schädlich, wenn sich Mitarbeiter regelmäßig kürzere Zeit krankmelden. Was haben Sie da an Reaktionsmöglichkeiten?
Personalgespräch
Die erste Maßnahme sollte sein, mit dem Mitarbeiter das Gespräch zu suchen. In einem solchen Gespräch können Sie den Mitarbeiter auch auf die Ausmaße seiner Fehlzeiten ansprechen. Das kann schon heilende Wirkung haben. Vielleicht fühlt sich der oder die Betreffende „ertappt“ und stellt seine „Krankmeldungspraxis“ ein, wenn er merkt, dass das registriert worden ist.
PRAXISHINWEIS | Mitarbeiter müssen nur in Ausnahmefällen an einem Personalgespräch teilnehmen. Voraussetzung ist, dass das Gespräch aus betrieblichen Gründen unverzichtbar ist und dem Mitarbeiter das Erscheinen gesundheitlich zugemutet werden kann. Für die Unverzichtbarkeit sind Sie darlegungs- und beweispflichtig (BAG, Urteil vom 02.11.2016, Az. 10 AZR 596/15, Abruf-Nr. 190038). |
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung frühzeitig verlangen
Erkrankt der Arbeitnehmer arbeitsunfähig, muss er Sie unverzüglich von der AU und deren Dauer unterrichten. Die AU-Bescheinigung muss er Ihnen spätestens am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit/Krankheit vorlegen (§ 5 Abs. 1 S. 2 EFZG). Den Grund muss er nicht nennen.
PRAXISHINWEISE |
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Medizinischen Dienst der Krankenkassen bemühen
Je nach Einzelfall können Sie den medizinischen Dienst der Krankenkassen einschalten. Die Krankenkassen sind verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit durch den medizinischen Dienst überprüfen zu lassen, wenn dies nach Art, Dauer, Schwere und Häufigkeit der Erkrankung erforderlich ist (§ 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V). Solche Zweifel sind i. d. R. anzunehmen, wenn die Krankheiten auffällig häufig in Verbindung mit dem Wochenanfang oder -ende auftreten (§ 275 Abs. 1a Buchst. a) SGB V). Das gilt jedoch nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer.
PRAXISHINWEIS | Die Krankenkasse fordert Sie i. d. R. auf, kurz Stellung zu nehmen, warum Sie Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben. Dann holt sie eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes ein. In Einzelfällen hat sich so schon der Verdacht bestätigt, dass Mitarbeiter eine Arbeitsunfähigkeit nur vortäuschen. |
Schreiben an den behandelnden Arzt
Ein Schreiben an den behandelnden Arzt hat i.d. R. wenig Aussicht auf Erfolg. Ihnen stehen mehrere Hürden im Weg:
- Der Grund der Arbeitsunfähigkeit wird Ihnen oft nicht bekannt sein.
- Der Arzt unterliegt der Schweigepflicht.
- Er muss auf Ihr Schreiben außerdem nicht reagieren.
- Die AU-Bescheinigung gilt als gesetzliches Nachweismittel, mit dem der Mitarbeiter Ihnen die AU sowie deren Dauer nachweist.
Detektiv beauftragen
Unter bestimmten Voraussetzungen können Sie auch einen Detektiv beauftragen, einen Mitarbeiter zu observieren. Dazu muss allerdings der begründete Verdacht vorliegen, dass der Mitarbeiter eine Straftat begangen hat (§ 32 Abs. 1 S. 2 Bundesdatenschutzgesetz). Eine solche könnte in einem Arbeitszeitbetrug liegen. Das ist etwa der Fall, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Mitarbeiter „krankfeiert“ ‒ die AU-Bescheinigung also unrichtig ist (PP 05/2016, Seite 7).
PRAXISHINWEIS | Die Rechtsprechung stellt an das Verdachtsmoment hohe Anforderungen. Der Verdacht ist gegeben, wenn der Mitarbeiter bei einer Auseinandersetzung am Arbeitsplatz eine nachfolgende AU angekündigt hat (BAG, Urteil vom 19.2.2015, Az. 8 AZR 1007/13, Abruf-Nr. 143970). Haben Sie den Mitarbeiter aber rechtswidrig durch einen Detektiv überwachen lassen, steht dem Mitarbeiter unter Umständen ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. |
(Außerordentliche) Kündigung des Mitarbeiters
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Sie auch die Möglichkeit haben, das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt ‒ ordentlich ‒ zu kündigen. Sind Arbeitnehmer in Betrieben mit i. d. R. mehr als zehn Mitarbeitern länger als ein halbes Jahr beschäftigt, genießen sie Kündigungsschutz nach dem KSchG. Die krankheitsbedingte Kündigung muss daher sozial gerechtfertigt sein. Arbeitsgerichte prüfen die soziale Rechtfertigung in vier Stufen:
- Feststellung einer negativen Gesundheitsprognose: Zum Zeitpunkt der Kündigung legen objektive Umstände nahe, dass es zu weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten im bisherigen Umfang kommen wird (BAG, Urteil vom 12.07.2007, Az. 2 AZR 716/06, Abruf-Nr. 161497).
- Die prognostizierten Fehlzeiten müssen dazu führen, dass Ihre betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen erheblich beeinträchtigt sind (BAG, Urteil vom 16.07.2015, Az. 2 AZR 15/15, Abruf-Nr. 182824).
- Fehlzeiten dürfen nicht durch mildere Mittel behebbar sein (BAG, Urteil vom 20.11.2014, Az. 2 AZR 755/13, Abruf-Nr. 176329).
- Die umfassende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien fällt zuungunsten des Mitarbeiters aus.
FAZIT | Die arbeitsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten sind vielseitig, um Fehlzeiten ‒ zumindest in einem gewissen Maße ‒ zu steuern und zu reduzieren. Nicht außer Acht lassen sollten Sie die Möglichkeit, Arbeit umzustrukturieren und somit das Betriebsklima positiv zu beeinflussen. Auch eine Kombination mit den aufgezeigten Anreizen könnte dazu führen, dass sich der Krankenstand in Ihrer Praxis reduziert und sich die angespannte Personalsituation verbessert. |
Weiterführende Hinweise
- „Urlaub und Erkrankung bei Teilzeitarbeit ‒ wie ist das zu berechnen?“ (PP 05/2017, Seite 13)
- „Typische Fehler bei einem schwierigen Thema: So kündigen Sie Arbeitsverträge richtig“ (PP 04/2017, Seite 15)
- „Praxen dürfen arbeitsunfähigen Mitarbeitern wegen organisatorischer Probleme kündigen“ (PP 03/2017, Seite 12)
- „AU und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: häufig gestellte Fragen“ (PP 11/2016, Seite 10)
- „Schrankkontrollen, Videos, Observationen und Detektive - was darf der Arbeitgeber?“ (PP 05/2016, Seite 7)